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offiziell nichts unternehmen konnte, weil Garstecki den Schutz des DDR-Kirchenbundes und der evangelischen Kirchenleitungen genoss. Erhard Eppler bemerkte auf dem 90. Deutschen Katholikentag in Berlin im Mai 1990 zu Garsteckis Wirken: „Einer von denen, die den Umbruch geistig und geistlich vorbereitet haben, ist ein Katholik im Dienste des Bundes der evangelischen Kirchen in der DDR. Wo es um Freiheit und Unfreiheit, um Recht und Unrecht, um Leben und Tod geht, da verflüchtigen sich die Trennungslinien zwischen den Konfessionen.“622 Mit Garsteckis Orientierung auf gesellschaftliche Fragen korrespondierte die ebenfalls nach dem Weggang Brockhoffs verstärkte Arbeit von Claus Herold, der den Fokus eher auf innerkirchliche Fragen richtete. Obwohl mit diesen Personen auch Flügelbildungen im Aktionskreis verbunden waren, haben sie die Arbeit der Gruppe nicht gelähmt, sondern für ein breites Themenspektum geöffnet.

      Den personellen und thematischen Veränderungen der Gruppe konnten nicht alle im AKH folgen. Bereits zwei Jahre nach seiner Gründung musste er einen veritablen Mitgliederschwund verzeichnen: „Mancher, der damals mit seiner Unterschrift seine Hoffnung bekundete, ist von dem Weg, den der AKH dann ging, enttäuscht worden. Einige haben ausdrücklich ihre Unterschrift zurückgenommen, andere scheinen durch ein beharrliches Fernbleiben von den Versammlungen schweigend ausgezogen zu sein.“623 Mitte der siebziger Jahre zeichnete sich dann eine tiefgreifende „Krise“ des AKH ab.624 Durch Umfragen unter den Mitgliedern wurde versucht, ein Erwartungsbild an den Kreis und seine Arbeit zu erstellen und dabei zu klären, ob die anvisierten Ziele realistisch waren und ob der erzielte Effekt den betriebenen Aufwand legitimiere.625 Die angestrebte Vitailisierung des Aktionskreises und seiner Mitglieder misslang jedoch. Infolge eines erheblichen Kräftedefizits im Sprecherkreis, wodurch selbst die minimale Erfüllung der anstehenden Aufgaben nicht mehr gewährleistet werden konnte, verordnete sich der Aktionskreis im Mai 1978 selbst eine vorläufige „Denkpause“.626 Der Briefversand und die Abhaltung von thematischen Vollversammlungen wurden auf unbestimmte Zeit ausgesetzt und ein interner Dialogprozess über die weitere Entwicklung des Kreises wurde initiiert.627 Hierfür wurden die an einer aktiven Mitarbeit im AKH Interessierten zu informellen Begegnungen nach Nienburg und Halle eingeladen.628 Bereits nach kurzer Zeit war klar, dass sich der AKH nicht nur als theologischer Gesprächs- oder spiritueller Meditationskreis verstand. Der Briefversand, die Vollversammlungen und eigene Stellungnahmen sollten auch zukünftig erhalten bleiben und die Arbeit und das Erscheinungsbild des Aktionskreises bestimmen.

      Hatte die enge Verbundenheit zum Freckenhorster Kreis und den zahlreichen bundesdeutschen Solidaritäts- und Priestergruppen 1969/70 zur Gründung des AKH geführt und hatte sich auch die geistige Verwandtschaft zu den bundesdeutschen Gruppen in der Folgezeit verschiedentlich ausgedrückt, so kann Gleiches für die Vernetzung des Aktionskreises mit anderen Gruppen und Personen im ostdeutschen Katholizismus nicht festgestellt werden. Zwar kannten sich die zentralen Protagonisten eines „kritischen Katholizismus“ in der DDR.629 Der AKH hatte Verbindungen zu Karl Herbst630, dem Maximilian-Kolbe-Kreis631 und zu den Leipziger Oratorianern. Dr. Wolfgang Trilling, der dem Kurs der Berliner Ordinarien- und Bischofskonferenz ebenfalls distanziert gegenüberstand, hat eine Kooperation mit dem AKH allerdings nie favorisiert. Der AKH veröffentlichte zwar gelegentlich seine Aufsätze oder Stellungnahmen.632 Auch trat Trilling in den 80er Jahren als Referent auf einer AKH-Vollversammlung zum Thema „Überlegungen zum gegenwärtigen Stand der Ökumene“633 auf. Doch letztlich unterschieden sich die Oratorianer durch ihre enge Bindung an die Ortsgemeinden von dem stärker akademisch geprägten, jenseits von Gemeindestrukturen agierenden AKH. Bemerkenswert ist dennoch, dass beide auf das Bild von Jona im Bauch des Fisches rekurrierten, wenn sie die kirchliche Situation in der DDR beschrieben.634 Damit setzten sich der AKH und Trilling von der Metapher des Berliner Kardinals ab, der seinerseits auf Daniel in der Löwengrube rekurrierte, um Christsein in der DDR zu beschreiben.635 Zu Hans Donat in Erfurt bestanden eher informelle Kontakte.636 Zum Herausgeberkreis der sog. progressiven katholischen Zeitschrift „Begegnung“ gab es nur phasenweise Kontakte einzelner637; Gleiches gilt für Verbindungen des AKH zur Ost-CDU. Eine Kooperation mit staatsgelenkten Gruppen in der DDR hat es nach Ausweis der Quellen nie gegeben.

      3.3Themen, Stellungnahmen, Positionen

      Ein Großteil der historisch verifizierbaren Arbeit des AKH hat sich in den Vollversammlungen und Rundbriefen vollzogen. Ausgehend von der Struktur und Organisation des Kreises ist jedoch darauf zu verweisen, dass die thematische Orientierung vorwiegend von Impulsen des AKH-Sprecherkreises getragen war.

      Die anfangs vierteljährlich abgehaltenen Vollversammlungen des Aktionskreises fanden in den Räumen der KSG Halle, den Pfarreien Heilig Kreuz und St. Marien in Halle Silberhöhe638 sowie vereinzelt in Häusern der evangelischen Kirchen639 statt. Nach der „Denkpause“ 1978 fand sich der Aktionskreis nur noch zweimal jährlich zu einer Frühjahrs- und einer Herbstvollversammlung zusammen. Als regelmäßiger Treffpunkt Gleichgesinnter, offenes Diskussionsforum, Anlaufstelle für Interessierte und Kirchenkritiker, Bezugspunkt der Arbeitsgruppen und beschlussfassendes Organ stellten die Vollversammlungen nicht nur ein strukturelles und inhaltliches Kernelement des AKH dar. Sie waren zugleich Refugien einer erlebten Freiheit, die man in Staat und Kirche einforderte. Die mehr als 50 Vollversammlungen bis 1989 dienten im ostdeutschen Diasporakatholizismus daher nicht zuletzt der persönlichen Kommunikation und Vernetzung von Mitarbeitern und Sympathisanten. Die Veranstaltungen fanden stets an Wochenenden statt und dauerten zumeist von Freitagabend bis Samstagnachmittag. Eingeleitet durch einen Gottesdienst am Samstagmorgen, wechselten sich Vortragseinheiten von AKH-internen oder externen Referenten mit Sitzungen von Arbeitsgruppen und Diskussionsgruppen ab. Die Vollversammlungen wurden entweder mit dem Beschluss von Erklärungen oder konkreten Arbeitsanweisungen für den Sprecherkreis beendet. Seit 1975 wurde der Freitagabend gelegentlich für eine interne Mitgliederversammlung ohne Gäste genutzt, um die Ausrichtung und weitere Arbeit des Kreises zu besprechen.640

      Eine zweite Säule der Tätigkeit des AK Halle stellte der regelmäßige Versand der eigenen Rundbriefe dar.641 In der bundesdeutschen Kirche existierte durch die Vielzahl der Solidaritäts- und Priestergruppen ein breites Spektrum derartiger Publikationsorgane.642 Der Rundbrief des AKH war, nachdem der Evangelisch-Katholische Briefkreis von Karl Herbst und Günter Loske 1971 die Arbeit auf bischöfliches Drängen hin einstellen musste643, die einzige aus privater Initiative hervorgehende und überregional versandte katholische Publikation in der DDR. Neben dem von der BOK/ BBK im Auftrag herausgegebenen „Theologischen Bulletin“ (1968-1990)644 und dem „Theologischen Jahrbuch“ stellte er eine nicht unbedeutende Möglichkeit dar, auch an kirchenkritische Beiträge und Informationen zu gelangen. Vor allem die Veröffentlichung von Aufsätzen und Positionen bundesdeutscher Autoren und Gruppierungen, u.a. von Heinrich Böll645, Walter Dirks646, Erich Fromm647, Helmut Gollwitzer648, Norbert Greinacher649, Hubertus Halbfas650, Wolfgang Huber651, Hans Küng652, Johann Baptist Metz653, Jürgen Moltmann654, Karl Rahner655, Dorothee Sölle656, Luise Schottroff657 sowie von den Zeitschriften Imprimatur658 und Publik Forum659, ließen den AKH-Rundbrief zu einem weit verbreiteten und zugleich kritischen Informationsträger für den seit 1961 eingemauerten ostdeutschen Katholizismus avancieren. Die Informationssendungen hatten es sich auch zur Aufgabe gemacht, Themen und Berichte aufzunehmen, die auf anderem Weg nicht in der DDR publiziert wurden, so zum Beispiel die Kölner Erklärung von 1989.660 Die überwiegend aus bundesdeutschen Zeitschriften („Concilium“, „Diakonia“ und der „Herder-Korrespondenz“) übernommenen Artikel und Berichte waren dem kirchenkritischen Grundtenor des AK Halle verpflichtet und unterschieden sich daher von der offiziellen Kirchenpresse in der DDR.661 Unter Nutzung einer rechtlichen Grauzone - lediglich der Druck und Versand sogenannter interner Unterlagen war in der DDR von der strikten und eng limitierten Druckverordnung ausgenommen - verschickte der Aktionskreis seine Rundbriefe mit dem Vermerk „Nur für den innerkirchlichen Dienstgebrauch“. Über das allgemeine Informationsinteresse hinaus verfolgte der Sprecherkreis mit dem Versand der Briefe noch weitere Motive. Die Sendungen waren mitunter als „Ferienlektüre“662

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