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bildeten die europäischen Entdeckungen der vorhergehenden zwei Jahrhunderte sowie die fortschreitende Kolonisierung Nordamerikas.73 Die Society for the Propagation of the Gospel in Foreign Parts stand in der hochkirchlichen Tradition Richard Hookers und war eine der Kirche inkorporierte, anglikanisch-orthodoxe Gesellschaft unter bischöflicher Leitung. Die Missionare waren ordinierte Geistliche und zuerst Kirche und Bischof verantwortlich, dann erst der Missionsgesellschaft. Kirche, Kirchenordnung, apostolische Sukzession, Liturgie und Sakramente spielten eine große Rolle in der Missionsarbeit, was sich in der frühen Entscheidung zeigt, Bibeln immer zusammen mit dem Common Prayer Book abzugeben: «No Bibles be sent by the Society into the Plantations without Common Prayer Books bound up with them.»74 Das Siegel der Society for the Propagation of the Gospel in Foreign Parts trägt das – in der Mission immer wieder verwendete – Zitat aus Apg 16,9: «Komm herüber und hilf uns.»75. Das Arbeitsgebiet der Society for the Propagation of the Gospel in Foreign Parts lag |41| in den englischen Kolonien mit Schwerpunkt Nordamerika.76 Ab dem 19. Jahrhundert war sie als Nachfolgerin der Society for Promoting Christian Knowledge auch in Indien tätig. Die Missionsarbeit erstreckte sich dabei vor allem auf die weißen Siedler, Plantagenbesitzer und Kolonisten, später auch auf die Sklaven in Amerika und der Karibik.77 Ob die Society for the Propagation of the Gospel in Foreign Parts tatsächlich den dänischen König Frederik IV. zur Gründung der Dänisch-Halleschen Mission inspirierte, wie es O’Connor beschreibt, ist umstritten.78

      Im 17. Jahrhundert wurden im Pietismus die ernsthafte theologische Forderungen von Einzelnen wie Justinian von Welz79 wie auch von Seiten der niederländischen Nadere Reformatie nach einer Missionierung von Heiden und Juden lauter, brachten aber noch keine grundsätzliche Wende.80 Der Frage, warum der Pietismus erst im 18. Jahrhundert zu einem Neubeginn der Mission fand und welche Konzepte, Gedanken und Vorbilder aus dem 17. Jahrhundert dabei eine Rolle spielten, ist bislang in der Forschung nicht zufriedenstellend bearbeitet oder beantwortet worden. Laut Wellenreuther könnte eine mögliche Erklärung in der allgemeinen Indifferenz gegenüber der Mission im 17. Jahrhundert sowie einer gewissen Ratlosigkeit hinsichtlich der praktischen Bewerkstelligung und der dazu benötigten Mitarbeiter bestehen. Denkbar ist, dass es erst einer gewissen innergemeindlichen Konsolidierung sowie eines äußeren Anstoßes bedurfte, um der Forderung nach einer Heidenmission nachzukommen.81 |42|

      Die planmäßige Heiden-Mission auf protestantischer Seite begann am 9. Juli 1706 mit Bartholomäus Ziegenbalg und Heinrich Plütschau in Tranquebar an der Südostküste Indiens. König Frederik IV. von Dänemark suchte für seine Kolonien Missionare. Durch Vermittlung seines Hofpredigers Franz Julius Lüttkens kam er in Kontakt mit den beiden Theologen aus Halle, einem der wichtigsten Zentren des Pietismus im 18. Jahrhundert.82 Damit begann die Geschichte einer organisierten, kontinuierlichen protestantischen Missionsarbeit auf breiterer Basis. Zugleich markierte sie auch den Übergang von lutherisch-orthodoxer Zurückhaltung in der Frage der Mission zu pietistischer Missions-Euphorie. Die Dänisch-Hallesche Mission stellte einen Sondertyp lutherisch-pietistischer Mission dar. Die Initiative ging von der Obrigkeit aus. Die Mission stand stets unter behördlicher Dienst- und Verwaltungsaufsicht, unter der Aufsicht des Missionskollegiums (gegründet 1714), mit Sitz in Kopenhagen, das direkt dem König unterstellt war. Die lutherische Kirche in Dänemark reagierte zunächst mit Zurückhaltung, das Unternehmen des Königs war umstritten.83 Die ersten Missionare Ziegenbalg und Plütschau waren Schüler August Hermann Franckes, der zwar erst nachträglich, dann jedoch umso intensiver das neue Projekt zu seinem eigenen machte. Durch die Veröffentlichungen der Halleschen Berichte ab 1710, der ersten periodisch erscheinenden Missionszeitschrift überhaupt, rückte Francke das Anliegen der Mission in den Fokus der evangelischen Welt und machte sie zu ihrer Aufgabe.84 Das erste Zentrum der protestantischen Mission wurde dadurch Halle bzw. die dortigen Franckeschen Anstalten.85

      Das zweite große Missionswerk aus dem Bereich des Pietismus, die Herrnhuter Brüdermission und ihr Initiator Zinzendorf, wurde stark durch die Dänisch-Hallesche Mission beeinflusst. Zinzendorf selbst kam durch die Halleschen Missionsberichte sowie durch persönliche Begegnungen mit Missionaren in den Franckeschen Anstalten während seiner Zeit auf dem dortigen Pädagogium zu dem Entschluss, Missionar zu werden. Mit der Aussendung eines ‹Hottentotten›-Missionars nach Südafrika verwirklichte die Herrnhuter Mission später sogar eine von Ziegenbalg stammende Anregung. 1732 gingen die ersten beiden Missionare ins westindische St. Thomas. Wie das gesamte theologische Denken Zinzendorfs war auch die Herrnhuter Mission streng |43| christozentrisch orientiert. Die Missionare waren unabhängige Laien, die eine abgegrenzte Gemeinschaft von Erweckten sein wollten. Eine konfessionelle Prägung war ihnen fremd. Jedoch führte die von ihnen angestrebte «Sammlung der Erstlinge»86 zu einer Art konfessioneller Sondergestalt, die in ihrer Eigenart auch in den Missionsgebieten deutlich erkennbar war und bis heute Bestand hat.87

      Feststellen lässt sich jedoch, dass schon die englischen societies des 18. Jahrhunderts mit der Missionsarbeit auf dem europäischen Festland, insbesondere mit der Dänisch-Halleschen Mission, sehr eng verbunden waren und sie sich gegenseitig beeinflussten.88 Diese transnationalen Verbindungen setzten sich im 19. Jahrhunderts nicht nur fort, sondern wurden geradezu zu einem Kennzeichen von Erweckungs- und Missionsbewegung, der ‹protestantischen Internationalen›.89 |44|

      Schon vor dem 19. Jahrhundert bestanden also protestantische Missionsbestrebungen in England, Halle und Herrnhut, die für die späteren Missionsgesellschaften wichtige Weichen stellten. Das 19. Jahrhundert galt aber in besonderer Weise, gerade auch in der Eigenwahrnehmung der Beteiligten, als das ‹Missionsjahrhundert›.

      Ein ganz pragmatischer Grund für dieses neue protestantische Phänomen darf dabei nicht vergessen werden: Wie die katholische Mission waren auch die protestantischen Missionsunternehmungen wenn schon nicht auf die Unterstützung, so doch zumindest auf die Billigung der jeweiligen europäischen Kolonialmächte oder einheimischen Herrscher angewiesen. Protestantische Regierungen sperrten sich jedoch in der Regel bis zum Ende des 18. Jahrhunderts gegen Mission in ihren kolonialen Territorien.90 Die Entscheidung für ein ganz bestimmtes Missionsfeld war deshalb oft auch mit politischen Entwicklungen verknüpft wie z.B. die Öffnung Britisch-Indiens für Missionare durch die erneuerte Charta der East India Company im Jahr 1813.91 Der «große missionsgeschichtliche Aufbruch»92 seit den 1790er Jahren stand im Zusammenhang mit den geänderten machtpolitischen Rahmenbedingungen dieser Zeit, die der Mission neue Freiräume vor allem in den außereuropäischen Gebieten schuf. Hinzu kam eine neue Welle der Erweckungsbewegung, die Adel und Bürgertum gleichermaßen erfasste und so eine breite Basis für ein neues Interesse an Mission schuf. Neue evangelikale Netzwerke entstanden und verbanden die Akteure zu einer transnational und überkonfessionell ausgerichteten Mission. Der weit verbreitete Aufruf zur Mission der London Missionary Society im Jahr 1795 gab den Anstoß zur Gründung zahlreicher |45| Missionsvereine – der typischen sozialen Organisationsform der bürgerlichen Gesellschaft –, die sich nach und nach selbst zu aussendenden Missionsgesellschaften entwickelten.93

      Die Grenzen von Pietismus und Erweckung sind fließend und über den Pietismusbegriff, vor allem seine lokale und temporale Ausdehnung, herrscht keine Einigkeit.94 Mit meiner Definition des Pietismus schließe ich mich Wallmann an:

      «Der Pietismus ist eine im 17. Jahrhundert entstehende, im 18. Jahrhundert zu voller Blüte kommende religiöse Erneuerungsbewegung im kontinentaleuropäischen Protestantismus, neben dem angelsächsischen Puritanismus die bedeutendste religiöse Bewegung des Protestantismus seit der Reformation. Gleicherweise in der lutherischen wie in der reformierten Kirche entstanden, dringt der Pietismus auf Individualisierung und Verinnerlichung des religiösen Lebens, entwickelt neue Formen persönlicher Frömmigkeit und gemeinschaftlichen Lebens, führt zu durchgreifenden Reformen in Theologie und Kirche und hinterlässt tiefe Spuren im gesellschaftlichen

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