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individueller Initiative versuchten die Glaubensmissionen in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, die Unmittelbarkeit missionarischer Erweckung und eschatologischen Glaubenslebens vor dem ‹Erkalten› zu bewahren. Die Linie der überkonfessionellen Missionsgesellschaften wurde hier in radikalerer Weise fortgesetzt und eigenständig gedeutet. Eine Gemeinsamkeit bestand in der eschatologischen Motivation der Mission. Doch nun sollte die endzeitliche Gottesherrschaft durch Missionsengagement und -erfolge herbei gezwungen und vorweggenommen werden.141 Die Missionare zogen ohne Vorbildung und finanzielle Sicherheit, nur mit ihrem Glauben |60| und ihrem Enthusiasmus ausgerüstet, ins Missionsgebiet. Die Ausbildung sollte dann als learning by doing vor Ort geschehen. Nicht langwierige Bemühungen um einzelne Gemeindegründungen standen im Vordergrund, sondern die ‹Schnellevangelisation›.142 Die Vertreter der Glaubensmissionen waren davon überzeugt, dass auf diese Art und Weise der Missionsgedanke von allen unsachgemäßen Schranken befreit war.

      Die Idee für eine so genannte ‹Glaubens›- oder ‹Freimission› war nicht neu. Schon in den älteren Missionen gab es Ansätze zu einer von organisatorischen und konfessionellen Begrenzungen losgelösten Missionsarbeit, deren Missionare sich und ihre Arbeit selbst finanzieren mussten. So wurde bereits 1835 der erste Basler Inspektor Blumhardt durch den englischen Freimissionar Anton Norris Groves zu einer unabhängigen und freien Missionstätigkeit nach dem Vorbild der Apostel angeregt und brachte eine Gruppe von Missionaren, angeführt von Hermann Mögling, dazu, ohne festen Lohn, unter Einhaltung des Zölibats und in apostolischer Genügsamkeit zu arbeiten. Nach Unruhe unter den anderen Missionaren sowie Bedenken von Seiten der Church Missionary Society und aus den eigenen Reihen gegen eine Mission ohne Anweisungen aus dem Heimatgebiet wurde von der Freimission wieder abgerückt.143 Auch Christian Friedrich Spittler und die Goßnersche Mission hatten diese Missionsrichtung vorbereitet.

      Zum Vorbild für die späteren Glaubensmissionen wurde dann aber besonders Karl Gützlaff, missionarischer Einzelkämpfer in China. Seine Arbeits­methode der Wanderpredigt und Schriftenverteilung durch chine­sische Mitarbeiter wurde zunächst in Europa begeistert zur Kenntnis genommen. Sein Werk brach jedoch nach seinem Tod zusammen und nachdem ­Missstände in seinem Chinesischen Verein bekannt wurden, machte sich Ernüch­­terung breit. Seine langfristige Wirkung ist dennoch nicht zu unterschätzen: Gützlaffs Arbeit bereitete der Basler, der Rheinischen und der Berliner Mission den Weg nach China und war das Vorbild der Glaubensmissionen, allen voran der China Inland Mission (CIM).144 |61|

      Die Goßner Mission und die Predigermission, welche sich von überkonfessionellen zu Glaubensmissionen entwickelten, zeigten es schon an: Von einer ‹Publikationsfreudigkeit› konnte bei den Glaubensmissionen keine Rede sein. Sie beschränkten sich meist auf eine Zeitschrift, in der sie von ihrer Arbeit berichteten und für die Sache der Mission warben. Immerhin gab die Allianz-Mission ihr Monatsblatt zusammen mit der Frauenhilfe der Allianz-Mission heraus und die Neukirchener Mission hatte eine Beilage für Kinder und Jugendliche in ihrem Missions- und Heidenboten.145

      Die Beschränkung auf wenige Schriften war auch aus der Not geboren: Waren die Missionszeitschriften für alle Missionsgesellschaften ein anerkanntes Mittel zur Spendenbeschaffung, so hatten sie für die Glaubensmissionen eine noch existenziellere Bedeutung. Sie verzichteten ja bewusst auf eine organisatorische Absicherung in Form von Hilfsvereinen oder einer Notkasse, die im Fall eines finanziellen Engpasses einspringen konnten. Die Missionsarbeit war eine private Angelegenheit, und die benötigten Mittel sollten allein durch Gottes Hilfe, in Form von freiwilligen, nicht einkalkulierten Spenden zustande kommen. Die einzige Möglichkeit, auf sich aufmerksam zu machen und Spenden zu generieren, waren deshalb mündliche Vorträge und die Verbreitung von hauseigenen Zeitschriften und Traktaten, wie die Grundsätze der Waisen- und Missionsanstalt in Neukirchen zeigen: «Es giebt auch keine irgendwie organisierte Missionsgemeinde, an die wir uns halten können; aber wohl haben wie einen weiten Kreis zerstreuter Freunde und Freundinnen, meist Leser unseres Blattes, die treu für uns beten und in Gottes Hand das Werkzeug sind, daß uns immer wieder zur rechten Zeit das Nötige freiwillig zugeht. […] Grundsätzlich nehmen wir auch in unseren Ansprachen nur selten auf die Anstalten Bezug, da es uns anliegt, alles direkte Werben für die eigene Sache möglichst zu meiden».146 Hier wird der gnadenhafte, apostolisch-ursprüngliche Charakter der Missionsarbeit und des Missionserfolges unterstrichen. Die ‹zerstreuten Freunde und Freundinnen› bekamen den Eindruck, an einer sehr exklusiven, besonders frommen und ernsthaften Unternehmung teilzuhaben. Trotz aller Distanzierung von institutionalisierten Formen der Mission wurde so eine gemeinsame Identität gestiftet, die eine der wichtigen Voraussetzung für die Entstehung eines treuen Unterstützerkreises war. Obwohl die Verlautbarungen der Missionsleitung suggerieren wollten, dass für den Erhalt und den Erfolg der Glaubensmission allein die göttliche Gnade verantwortlich sei, fand doch eine Form von Institutionalisierung und Absicherung durch einen Unterstützerkreis statt. |62|

      Ein Phänomen des späten 19. Jahrhunderts waren die Kolonialmissionen. Wie den deutschen Kolonialbestrebungen insgesamt, so war auch den daran anknüpfenden Missionsgesellschaften kein allzu großer Erfolg beschieden. Mit ihr erlebte der Typus der herrschaftsnahen Missionsgesellschaft eine Renaissance, sie gerieten durch ihre enge Verbindung zur Politik geradezu zur Karikatur einer solchen.147

      Alle Missionsgesellschaften kamen in den Kolonien in Berührung mit der kolonialen Obrigkeit und Gesellschaft sowie deren weit reichender Problematik, schon bevor das Deutsche Reich 1884 aktiv in die Kolonial-Politik eintrat.148 Die Mehrheit in den Missionsgesellschaften war hinsichtlich einer engeren Zusammenarbeit zwischen Mission und den Kolonialbehörden zurückhaltend, da die durch die koloniale Expansion ausgelösten Probleme wahrgenommen wurden. Der deutsche Kolonialismus war allerdings eine Realität, die man auch in Missionskreisen explizit auf die eine oder andere Weise zur Kenntnis nehmen musste. Eine aktive Minderheit sprach sich dafür aus, dass man die aus der Situation entstehenden Möglichkeiten nutzen sollte. 1887 wurde in Bayern die Evangelisch-lutherische Missionsgesellschaft für Ostafrika gegründet, die sich fünf Jahre später mit der Leipziger Mission vereinigte.

      Die Deutsch-ostafrikanische Evangelische Missionsgesellschaft, gegründet 1886, war in den ersten Jahren eine Art Appendix der Deutsch-ostafrikanischen Kolonialgesellschaft. Die Ausrichtung der Missionsgesellschaft war in den ersten Jahren jedoch so diffus, dass nicht klar war, welche Ziele sie verfolgte.149 Erst als 1890 Friedrich von Bodelschwingh in das Führungsgremium der Gesellschaft eintrat, setzte eine neue Entwicklung ein. Er wandelte sie in eine diakonische Mission um und bewahrte sie so vor der Auflösung. Innere und äußere Mission gingen eine enge Verbindung ein. Diakone, Diakonissen und Theologen, in den Betheler Anstalten ausgebildet, standen für die Mission zur Verfügung. 1906 wurde der Sitz der Gesellschaft nach Bethel verlegt und 1920 der Name in Bethel-Mission geändert. Das Kapitel der deutschen Kolonialmission |63| war damit abgeschlossen.150 Das Modell der Kolonialmission als Teil des kolonialen Projektes musste als gescheitert angesehen werden.

      Auch liberale Kreise partizipierten an der kritischen Reflexion, die ab den 1840er Jahren über die bisherige Missionstätigkeit einsetzte. Im Juni 1884 konstituierte sich der Allgemeine Evangelisch-Protestantische Missionsverein (AEPMV) in Weimar.151 Dieser Ort war bewusst gewählt, da man «im Sinne der besten Traditionen des deutschen Idealismus Mission […] treiben» wollte.152 Ernst Buss, von 1884 bis 1893 Leiter des Missionsvereins, entwarf den Plan eines neuen Missionsunternehmens, das allen Christen offen stehen sollte: Auf dem Boden eines freisinnigen Protestantismus sollte die christliche Religion und Kultur unter den Heidenvölkern ausgebreitet werden.153

      Die Missionare sollten ein lebendiges Zeugnis in Wort und Tat geben. Religionen und Kulturen wurden wertgeschätzt, an die in ihnen enthaltenen Wahrheitselemente angeknüpft. Die Missionare genossen eine akademisch-theologisch Ausbildung und waren bereit, sich mit fremdartigem Gedanken- und Kulturgut auseinander zu setzen.154

      Der AEPMV gründete sich als kirchenpolitisch überparteiliche und übernationale Alternative zu den positiven und konservativen Missionsgesellschaften, welche die Mission bis dahin hauptsächlich getragen hatten. Das Ziel, für alle kirchlichen und theologischen Richtungen

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