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Dialog über die beiden hauptsächlichsten Weltsysteme. Galileio Galilei
Читать онлайн.Название Dialog über die beiden hauptsächlichsten Weltsysteme
Год выпуска 0
isbn 9783843804387
Автор произведения Galileio Galilei
Жанр Математика
Издательство Bookwire
GOETHE – 200 JAHRE SPÄTER
Das findet auch Goethe. Knapp urteilt er, in der »Geschichte der Farbenlehre, 17. Jahrhundert« (1810): »Galilei bildete sich unter günstigen Umständen und genoss die erste Zeit seines Lebens des wünschenswertesten Glückes. Er kam wie ein tüchtiger Schnitter zur reichlichsten Ernte und säumte nicht bei seinem Tagewerk. Die Fernröhre hatte einen neuen Himmel aufgetan. Viele neue Eigenschaften der Naturwesen, die uns mehr oder weniger sichtbar und greifbar umgeben, wurden entdeckt, und nach allen Seiten zu konnte der heitere mächtige Geist Eroberungen machen. Und so ist der größte Teil seines Lebens eine Reihe von herrlichen glänzenden Wirkungen.«
Doch leider, so Goethe weiter: »Leider trübte sich der Himmel für ihn gegen das Ende. Er wird ein Opfer jenes edlen Strebens, mit welchem der Mensch seine Überzeugungen andern mitzuteilen gedrängt wird. Man pflegt zu sagen, des Menschen Wille sei sein Himmelreich; noch mehr aber findet er seine Seligkeit in seinen Meinungen, im Erkannten und Anerkannten. Vom großen Sinne des Kopernikanischen Systems durchdrungen, enthält sich Galilei nicht, diese von der Kirche, von der Schule verworfne Lehre, wenigstens indirekt, zu bestätigen und auszubreiten; und beschließt sein Leben in einem traurigen Halbmärtyrertum.« (Goethe, »Geschichte der Farbenlehre, 17. Jahrhundert«.)
Das ist, um 1810, mit olympischer Souveränität betrachtet. Und vom hohen vatikanischen Palast aus? Zwei Jahrhunderte früher? Nach 1610, als Päpste und Kardinäle schon Vieles über Erde und Sonne wussten oder ahnten, nur nicht, wie diese Mutmaßungen mit dem allgemeinen christlichen Glauben zu vereinbaren seien. Blöd und verbohrt war sie nicht, die römische Kirchenführung in Humanismus, Renaissance und nun im Barock. Aber was dachte sie, als sich der Wandel eines Weltbildes vollzog? Der vom geo- zum heliozentrischen System, der untrennbar mit Nikolaus Kopernikus verbunden ist. Als die Erde aus der Mitte des Universums herausflog, und die Sonne zum Zentrum wurde. Genau das hatte Kopernikus, 1473 geboren, eigentlich Arzt, nur in seiner Freizeit Mathematiker und Astronom, in seinem – Papst Paul III. gewidmeten und mit finanzieller Unterstützung katholischer Kirchenfürsten 1543 gedruckten – Werk »De Revolutionibus Orbium Coelestium« (»Über die Umschwünge der himmlischen Kreise«) als Theorie aufgestellt und war dann friedlich am 24. Mai 1543 gestorben.
OHNE GRUNDSATZENTSCHEIDUNG ÜBER ERDE UND SONNE
Als Theorie aufgestellt. Für die Christenheit bestand deshalb offenbar kein dringender Handlungsbedarf. Bisher verließen sich die meisten Menschen auf ihre sinnliche Wahrnehmung vom Auf- und Niedergang der Sonne, von Ost und West, und Süd und Nord. Die Klugen verwiesen auf Aristoteles (384–322 v. Chr.) und Ptolemäus (100–160 n. Chr.). Mit Ausnahmen, gewiss, wie dem genialen deutschen Universalgelehrten und Kardinal Nikolaus (Cusanus) (geb. 1401 in Kues an der Mosel, gestorben 1464) oder dem Astronom Regiomontanus (dem Unterfranken Hans Müller; 1436–1476).
Die neugierigen Seefahrer im Süden und Südwesten Europas warteten auch nicht eine höchste (päpstliche) Grundsatzentscheidung über Erde und Sonne ab, sondern fuhren von den Küsten Portugals und Spaniens aufs offene Meer hinaus, »über der Mütze nur die Sterne …« Ohne Furcht, von einer Scheibe zu fallen. Die Kugelgestalt der Erde war schon lange favorisiert; nur war dies schwierig, auf einer Karte darzustellen; leichter schien, sie platt zu zeichnen; mit Jerusalem, dem Ort Jesu Christi, in der Mitte.
Im 15./16. Jahrhundert drängen sich deshalb die kühnen (süd-katholischen) Entdecker.
• Heinrich der Seefahrer (1394–1460), ein portugiesischer Königssohn, der Infante Dom Henrique de Avis, organisiert in Konkurrenz zu den Arabern die Erkundung Westafrikas, u. a.
• Cristoforo Colombo (Kolumbus) aus Genua (um 1451–1506) stößt 1492 am anderen westlichen Ende des Atlantiks auf Inseln, sich in »West-Indien« wähnend.
• Amerigo Vespucci aus Florenz (um 1451–1512), auch Berichterstatter seiner Seefahrten (an der Ostküste Südamerikas, u. a.), erkennt in dieser Neuen Welt einen eigenen Kontinent und leiht ihm seinen Namen.
• Vasco da Gama (um 1469–1524), wird zum portugiesischen »Admiral des Indischen Meeres« ernannt, weil er den Seeweg um Afrika, um das Kap der Guten Hoffnung, nach Asien eröffnete.
• Ferdinand Magellan (1480–1521) beginnt als Portugiese in spanischen Diensten die erste Weltumseglung (1519–1522), die trotz seines Todes auf den Philippinen erfolgreich beendet wird, wenn auch nur mit 18 Männern (7,6 Prozent) der ursprünglichen Besatzung (237 Mann).
Das war alles vor Kopernikus. Auf das »System« – ob Erde oder Sonne im Mittelpunkt der Welt – kam es den Seefahrern nicht an, wenn nur nautisches Wissen und Mannesmut zu einem Ziel führten.
GROSSE REVOLUTIONÄRE
Währenddessen geschah im Abendland selbst Großes, Revolutionäres:
• Gutenberg (Johannes Gensfleisch aus Mainz; um 1400–1468), als »Mann des Jahrtausends« geehrt, stellt mit beweglichen Metalllettern und der Presse ein maschinelles Drucksystem zusammen und macht so den Massendruck von Büchern, zuerst der Bibel, dann auch polemischer Propaganda, möglich.
• Martin Luther (1483–1546) aus dem mitteldeutschen Eisleben treibt mit der Berufung auf die von ihm ins Deutsche übersetzten Heiligen Schriften die Reform der Kirche voran, löst den Glauben der Christen von der Bindung an den Papst und dessen Ablass-System und bewirkt in dieser Reformation die Spaltung der Christenheit im Abendland. (Kopernikus’ Werk nimmt er ablehnend zur Kenntnis; s. u.)
• Leonardo da Vinci (1452–1519) aus der Toskana tritt nicht nur als großartiger Künstler hervor, sondern sucht als Universalgelehrter, seiner Zeit weit voraus, in technischen Visionen das Leben der Menschen zu erleichtern.
• Michelangelo Buonarroti (1475–1564) aus der Toskana schafft als Maler, Bildhauer und Architekt unvergleichliche Werke, ein wahrer »Künstler des Jahrtausends«. In der Sixtinischen Kapelle im Vatikan malt er im wortwörtlichen Verständnis der Berichte der Bibel von der Schöpfung der Welt in sieben Tagen (1508–1511) bis zum Jüngsten Gericht mit der Wiederkunft Christi (1534–1541) grandiose Fresken, die seitdem als bildliche »Summa« des christlichen Glaubens bewundert werden. Ein Missverständnis?
Michelangelo stirbt am 18. Februar 1564, im Alter von fast 89 Jahren, in Rom. Vier Tage zuvor wird Galileo Galilei geboren, am 26. April desselben Jahres William Shakespeare getauft, der als Dichter christlich, doch unkirchlich war. 1564 sterben der Schweizer Reformator Johannes Calvin (geb. 1509) und Ferdinand I., Kaiser des deutschen Heiligen Römischen Reiches (geb. 1503), Bruder Karls V., des Kaisers und Königs zwischen 1516 und 1556, »in dessen Reich die Sonne nicht unterging«. Genug Personen, um eine Wende zu markieren.
GEGENREFORM ZUR BIBELAUSLEGUNG
Die nunmehr nur noch Römisch-Katholische Kirche unter dem Papst hatte ein Jahr zuvor, 1563, in Trient nach 18 Jahren ein Konzil abgeschlossen und das Programm einer »Gegenreformation« verabschiedet. Päpste und Bischöfe machten sich daran, die katholische Kirchenreform durchzusetzen. Dazu sollte auch das Dekret vom 8. April 1546 dienen, gerichtet gegen den deutschen Reformator, der am 18. Februar desselben Jahres gestorben war und gegen dessen Ideen, die sich auch in Italien ausbreiteten:
»Überdies beschließt ›das Konzil‹, zur Bezähmung mutwilliger Geister, dass niemand sich erkühnen soll, auf sein Verständnis gestützt, in Sachen des Glaubens und der zur Erbauung der christlichen Lehre gehörigen Sitten, die Heilige Schrift nach seinem Sinne zu missdeuten, wider denjenigen Sinn, den die heilige Mutter Kirche bewahrt hat und bewahrt, oder auch wider die einmütige Übereinstimmung der Väter, dieselbe Heilige Schrift auszulegen, auch wenn solche Auslegungen zu keiner Zeit jemals zur Veröffentlichung vorgesehen sein sollten. Der Kirche allein steht es zu, über den wahren Sinn und die Auslegung der Heiligen Schriften zu urteilen. Zuwiderhandelnde sollen durch die Ordinarien angezeigt und mit den vom Rechte verordneten Strafen