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Erklärung dieser anfänglich sehr befremdenden Erscheinung ist nicht schwer zu geben. Galilei wollte kein astronomisches Lehrbuch schreiben, keine Anleitung zur Berechnung der Planetenbahnen geben, er wollte nur eines: die mehr oder weniger törichten Vorurteile gegen jede Erdbewegung ihres Scheines entkleiden, mochten diese nun im Kreise von Dilettanten oder Gelehrten, von Philosophen oder Astronomen herrschend sein. Von allen diesen Vorurteilen waren es nun aber die physikalischen Einwände fast ausschließlich, welche ernsthafte wissenschaftliche Widerlegung erforderten. Daher interessiert die physikalische Seite des kopernikanischen Systems Galilei vorwiegend, und die Partien des Dialogs, die sich mit dieser beschäftigen, sind bei Weitem die wertvollsten. Wäre ihm der Titel nicht aufgenötigt worden, so würde dieser die Absicht des Buches deutlicher kundgegeben haben. Den physikalischen Beweis für die Erdbewegung wollte G. erbringen und zwar in so gemeinverständlicher Weise, als nur eben angängig war, er wollte diese als Extravaganz verschrieene Lehre popularisieren und gleichzeitig eine Vorstellung von dem geben, was er für die wahre Methode der Naturforschung erkannt hatte. Die Form der Darstellung ist darauf berechnet, einen möglichst großen Leserkreis zu gewinnen, aber freilich war zu jener Zeit nicht daran zu denken, breiten Volksmassen derlei Dinge zugänglich zu machen. Es konnte sich nur um die verhältnismäßig kleine Schar der Gebildeten handeln, obgleich auch diese, damals wie allezeit, zähe an den von Jugend auf eingeimpften Vorurteilen hingen, und man auch ihnen die plumpsten logischen Schnitzer, die gröbste Unkenntnis der Tatsachen zutrauen durfte. – Ob in Einzelheiten Kopernikus nicht vielleicht geirrt habe, erörtert Galilei im Dialoge nicht. Wie er über gegnerische Argumente dachte, die von dieser Seite her Kopernikus angriffen, erfahren wir z. B. aus dem Briefe an Ingoli: Er vergleicht dort den Antikopernikaner, welcher solche Gründe anführt, mit dem Manne, der ein schönes neuerbautes Haus niederreißen will, weil der Ofen raucht. Alle quantitativen Bewegungsverhältnisse der Himmelskörper werden demgemäß im Dialog nur flüchtig besprochen; bloß in den großen Grundzügen werden die beiden einander gegenüberstehenden Systeme charakterisiert. Eine solche Beschränkung der Aufgabe ist an und für sich vollkommen berechtigt; aber man erwartet von Anfang an einen nachdrücklichen Hinweis darauf, dass die tatsächlichen Vorgänge viel verwickelter sind, als das im Dialoge gegebene Schema der kopernikanischen Lehre andeutet. Dieser Hinweis fehlt, erst am vierten Tage des Dialogs findet sich eine beiläufige Andeutung von einer möglicherweise vorhandenen Ungleichmäßigkeit der Erdbewegung.109 Von Keplers Riesenarbeiten ist keine Rede, seinen Namen nennt zwar Galilei einige Male, einmal aus ziemlich geringfügigem Anlass bei einer Polemik gegen Chiaramonti, ein anderes Mal, um ihm eine milde, aber unberechtigte Rüge wegen seiner Ansichten über die Anziehung des Mondes zu erteilen.110 Ja es scheint, dass Galilei die Hauptwerke Keplers, die Astronomia nova seu de motibus stellae Martis und die Harmonice mundi nie gelesen hat; wenigstens spricht er nirgends, weder im Dialog noch sonst wo, von den mühevollen und großartigen Entdeckungen unseres Landsmannes, und wiewohl er seinen Namen mit Achtung nennt – wenigstens in den für die Öffentlichkeit bestimmten Schriften, nicht stets in seinen Briefen – so hat er doch die ganze Geistesgröße des Mannes nicht anerkannt, der unzweifelhaft als Astronom, wenngleich nicht als Physiker und als Reformator der herrschenden Weltanschauung, den Vorrang vor dem großen toskanischen Philosophen hat.

      Die Aufgabe, die sich Galilei stellte, bestand also darin, die Lehre von der Erdbewegung auf ihre Wahrheit hin zu prüfen; dass sie die scheinbaren Bewegungen der Himmelskörper im Allgemeinen hinreichend zu erklären vermöge, stand bei den einsichtigeren antikopernikanischen Astronomen, wie Magini und anderen, im Großen und Ganzen fest. Diese Seite der Frage erfährt daher keine sehr ausführliche Besprechung. Anders verhielt es sich mit den physikalischen Tatsachen, denen gegenüber das kopernikanische System allerdings absurd erscheinen musste, solange das Beharrungsgesetz nicht bekannt war; und anders stand es auch mit dem Verhältnis jener Lehre zu den herrschenden naturphilosophischen Anschauungen, die von Aristoteles ererbt und durch jahrhundertelange Geistesarbeit assimiliert, mit einer heutzutage fast unvorstellbaren Allgewalt die Geister beherrschten. Ein großer Teil der Anziehungskraft, die der Dialog noch heute unvermindert auf den Leser übt, beruht gerade darauf, dass er uns die Macht der überkommenen Lehren in anschaulichster Weise schildert, indem er ihnen zugleich einen tödlichen Schlag versetzt. Alle die Männer, die vor Galilei im 16. Jahrhundert Aristoteles bekämpften, stehen doch noch immer im Banne seiner Formeln. Was wollte die Losbröckelung einzelner Bausteine besagen? Was war es, wenn Cardanus einzelnen Punkten der aristotelischen Lehre von den Elementen seine Anerkennung versagt, oder wenn Tycho de Brahe die Realität der Himmelssphären bestreitet, wobei dahingestellt bleiben mag, inwieweit Aristoteles für diese ihm zugeschriebene Ansicht verantwortlich ist? Trotz der geharnischten Worte, die dabei gegen Aristoteles fallen, fanden die Denkmittel, die Forschungsmethode und überwiegend auch die positiven Ergebnisse seiner Philosophie bei diesen sich selbst sehr kühn erscheinenden Neuerern keinen Widerspruch. Aber an die Wurzel des scheinbar noch immer so triebkräftigen Baumes der peripatetischen Wissenschaft legte in wirksamer Weise zuerst Galilei die Axt.

      Die neue Philosophie lehrte, die Erde sei ein Stern wie andere Sterne, die Sterne seien Erden wie unsere Erde. Gegen diese Erkenntnis sträubte sich die herrschende Schule, und dieser Satz war es auch im Grunde, gegen den die Kirche sich wehrte. Bisher galten die Himmelskörper als ewig unveränderlich, als unvergleichlich erhaben über die schmutzige Hefe des Weltalls, die Erde. Man sah in ihnen, wenn auch nicht mehr Götter, so doch englische Intelligenzen (intelligentiae assistentes oder informantes), und doch ließ man sie um die Erde kreisen, und doch sollten sie geschaffen sein, um dieser zu dienen. Von diesen teleologischen und anthropozentrischen Anschauungen die Geister zu befreien, zu lehren, dass die Himmelskörper zwar nicht wesensgleich, aber doch vergleichbar mit der Erde sind, war der erste Schritt zu der gefährlichen Erkenntnis – und dies fühlten die konservativen Mächte instinktiv heraus –, dass auch der Mensch nicht um irgendwelcher Gespenster willen, dass keine Gespenster um seinetwillen tätig sind, dass er seine eigenen Bahnen zu wandeln hat, wie sie seiner Natur gemäß sind.

      Mit der Widerlegung der aristotelischen und sonstigen Beweise für die grundverschiedene Natur von Himmel und Erde und mit den Argumenten für die Verwandtschaft zwischen beiden beschäftigt sich der erste Tag des Dialogs. – Die Vereinbarkeit der alltäglichen Bewegungserscheinungen auf der Erde mit deren Achsendrehung bildet der Hauptsache nach den Inhalt des zweiten Tages. Hier sowohl wie in den Gesprächen des ersten Tags wird die Bewegungslehre des Aristoteles, die das Fundament für seine ganze Naturphilosophie bildet, einer eingehenden Kritik unterworfen. Hier finden sich jene Stellen über die Wirksamkeit der Beharrung, die bei den Zeitgenossen so großes Aufsehen erregten. Die allgemeine Erkenntnis freilich ist in ihnen, wie früher bemerkt, noch nicht enthalten. – Das dritte Buch handelt von der Bewegung der Erde um die Sonne, enthält aber auch einen langen Abschnitt über den im Jahre 1572 neu erschienenen Stern in der Cassiopeja, worin gegen Chiaramonti bewiesen werden soll, dass auch der Himmel Veränderungen unterworfen ist. Er würde also im Grunde besser in den Rahmen des ersten Tages sich gefügt haben. – Der vierte Tag endlich behandelt das Problem, das den Ausgangspunkt der Gespräche gebildet hat, die Frage, wie mit Hilfe der Erdbewegung die Gezeiten zu erklären seien. – Auf die vielen episodischen, zum Teil höchst bedeutsamen Erörterungen hier einzugehen, dürfte umso weniger nötig sein, als in den Anmerkungen sich hinreichend Gelegenheit dazu bietet. Dass zahlreiche Irrtümer bei diesen Erörterungen unterlaufen, wird niemand auffällig finden, der Schriften aus der vorgalileischen Zeit kennt; bei Leonardo da Vinci, bei Tartaglia, bei Nicolas Cusanus, bei Giambattista Porta u. a., in geringerem Grade auch bei Benedetti, heißt es mühsam das Körnchen Wahrheit aus der Spreu des Irrtums herauslesen, bei Galilei berührt der Irrtum unangenehmer, weil die Wahrheit überwiegt.

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