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(und wohl auch die einfachen Menschen, von denen wir diesbezüglich kaum schriftliche Kunde haben), sondern auch Lernende und Lehrende, Berater und Könige im gesamten Alten Vorderasien über mehr als zwei Jahrtausende an dieser Königsgestalt so sehr faszinierte?

      In der sumerischen Königsliste ist Gilgamesch genannt. Als fünfter König der ersten nachsintflutlichen Dynastie von Uruk – einer im Süden des heutigen Irak gelegenen Stadt, die archäologischen Erkenntnissen zufolge auch als ältestes Zentrum städtischer Kultur in Mesopotamien gilt – soll er sagenhafte 126 Jahre lang regiert haben. Es ist freilich angeraten, sich zu hüten, aus diesem Grunde die frühe Königsgestalt ‚Gilgamesch‘ allzu vorschnell dem Reich der Sagen zuzuweisen. Denn Könige, die man im 2. oder 1. vorchristlichen Jahrtausend für Zeitgenossen des Gilgamesch hielt, können heute bereits als historische Herrscherpersönlichkeiten erfasst werden, da Inschriften bekannt wurden, die diese in den Fundamenten von Tempeln und Palästen für die Nachwelt deponierten. Es spricht daher manches dafür, dass eine historische Gestalt Gilgamesch tatsächlich in der Zeit um 2750 v. Chr. lebte und wirkte. Die in den literarischen Überlieferungen Babyloniens ganz zentrale Überzeugung, dass die eindrucksvolle, mehr als 9 km lange, turmbewehrte Stadtmauer von Uruk ein Werk des Gilgamesch sei, findet in der vorgeschlagenen Datierung des historischen Gilgamesch insofern eine Bestätigung, als die wohl tatsächlich älteste Stadtmauer Mesopotamiens, deren Reste in Uruk immer noch an manchen Stellen zu sehen sind, erstmals im ersten Drittel des 3. Jahrtausends v. Chr. errichtet wurde.

      Den König, den man in Mesopotamien offenbar nahezu drei Jahrtausende dafür rühmte, seiner Stadt Uruk mit der Mauer eine „Hürde“ errichtet zu haben, innerhalb derer die Menschen Schutz und Zuflucht vor den Bedrohungen des Außen fanden, bezeichneten im 21. Jahrhundert v. Chr. die mächtigen Könige von Ur, die wie Gilgamesch aus Uruk stammten, als ihren „Bruder“, der – so wie sie selbst, ja geradezu als ihr Vorbild – den Menschen Schutz und Schild gewesen war als sipa zi, als „guter Hirte“. In ihren Inschriften setzten sie so die Kenntnis von Gilgamesch und seinen Taten als selbstverständlich voraus. Ihren unmittelbaren verstorbenen Vorgängern gleich, verehrten sie ihn als Gott und richteten ihm einen regelrechten Kult ein. Da der Name Gilgameschs aber bereits in erheblich älteren Götterlisten genannt ist, dürfte die Vergöttlichung des Königs fast bis in seine eigene, noch weitgehend im Dunkeln liegende Zeit zurückreichen. Ritualtexte aus dem 1. vorchristlichen Jahrtausend schließlich zeigen, dass der tote Gilgamesch als König der Unterwelt betrachtet und als Richter angerufen wurde, wenn sich die Menschen zu Unrecht von einem Totengeist verfolgt fühlten. Die Verehrung des Gilgamesch hatte auch im Alltag ihren ‚Sitz im Leben‘. Denn es war üblich und sogar vorgeschrieben, das erste, aus einem neu gegrabenen Brunnen geschöpfte Wasser nicht etwa selbst zu trinken, sondern als Trankspende und Totenopfer den Unterweltsgöttern und Gilgamesch, dem „König der Unterwelt“, darzubringen.

      DER GRÜNDERHEROS

      Dem Faszinosum ‚Gilgamesch‘, wie es in den Jahrhunderten und Jahrtausenden der mesopotamischen Textüberlieferung – möglicherweise sich jeweils verändernd – wahrgenommen wurde, möchte ich mit Hilfe einer kleinen Beobachtung ein wenig näher kommen. Hierfür sollen jeweils die ersten Zeilen der altbabylonischen Fassung des Gilgamesch-Epos (also diejenige, die im 18. Jahrhundert v. Chr. entstanden war) und jener des Sin-leqe-unnini betrachtet und verglichen werden. Zur Erläuterung dieses Vorgehens ist es jedoch zunächst notwendig, ein wenig auszuholen. In dem Schrifttum des Alten Orient ist es, abweichend von unserer eigenen westlichen Tradition, nicht üblich, literarischen oder wissenschaftlichen Werken eine Überschrift zu geben. Sie werden daher nicht mit einem Titel wie Ilias oder De divinatione benannt, sondern schlicht nach ihren Anfangsworten, die in der Regel freilich so geschickt gewählt sein müssen, dass sich in ihnen dem aufmerksamen Leser möglichst das Wesen des gesamten Werkes offenbart. So heißt etwa der große babylonische Schöpfungsmythos ebenso wenig zufällig Enüma elis lä nabü samämü, „Als droben noch nicht benannt waren die Himmel“, wie das erste Buch der hebräischen Bibel berēšīt, „Im Anfang“ heißt, denn dieses behandelt die Urgeschichte der Menschheit und des Gottesvolkes, jenes babylonische Werk die Geschichte der Vorwelt, der Zeit also, die vor der Schöpfung der Welt liegt. Vor diesem Hintergrund dürfte klar sein, dass auch die Anfangszeilen der Gilgamesch-Epen mit größtem Bedacht gewählt wurden und jeweils Licht auf die Aussageabsicht des gesamten Werkes werfen.

      Das uns nur teilweise erhaltene altbabylonische Epos, das zu Beginn des zweiten vorchristlichen Jahrtausends entstand, heißt nach seinen Anfangsworten Šūtur eli šarrī, „Von allen Königen unübertroffen“. Diesem Titel zufolge stehen im Mittelpunkt des Epos die Herrlichkeit, die Größe, die Machttaten und der Ruhm eines Königs und Feldherrn, dessen gewaltige Leistungen in Vergangenheit und Zukunft unerreicht bleiben. Dass ein solcher Text nicht nur an den Königshöfen Mesopotamiens, sondern auch an denen anderer Völker und Kulturen, in Syrien, Palästina und Anatolien Verbreitung fand und zur Erbauung – und wohl auch als Exemplum – studiert wurde, überrascht uns daher nicht. Der Eindruck der ersten Zeile des frühen Gilgamesch-Epos findet in den folgenden Versen rasch Bestätigung:

       Šūtur eli šarrī šanu’udu bēl gatti

       qardu lillid Uruk rīmu muttakpu

       illak ina pāhi ašāred

       arka illakma tukulti ahhēšu

       kibru dannu şulūl ummānīšu

       agû ezzu mu’abbit dūr abni

       Unter allen Königen unübertroffen, hochberühmt und von edler

      Gestalt,

       der kühne Spross Uruks, der stoßende Stier

      geht vorne als erster voran.

       Auch hinten geht er als Zuversicht seiner Brüder;

      festes Ufer und Schirm seiner Truppen,

      wütende Woge, die einreißt die Mauer aus Stein.

      Der Titel des Jahrhunderte später entstandenen Zwölf-Tafel-Epos Sin-leqe-unninis betont nicht die unbändige Kraft des Königs und Feldherren, sondern einen ganz anderen Aspekt des Titelhelden. Ša nagha īmuru, „Der, der alles sah“ nannten Babylonier und Assyrer das jüngere Epos um Gilgamesch, den König von Uruk. Die ersten Zeilen des Werkes lauten in deutscher Übersetzung:

      Der; der alles sah, das Fundament des Landes,

      der [um Verdecktes] wusste, der der alles erkannt -

      Gilgamesch, der alles sah, das Fundament des Landes,

      der [um Verdecktes] wusste, der der alles erkannt -

       […]

      über alles [erfuhr er] das All an Weisheit.

      Er sah das Geheime und legte dar das Verdeckte,

      brachte Weisung von der Zeit vor der Flut.

      Bereits das zweite Wort, nag/qbu, das hier etwas leichtfertig mit „alles“ wiedergegeben wurde („Der, der alles sah“), hat es in sich. Denn nagbu in Ša nagba īmuru bedeutet keineswegs nur „Gesamtheit“ oder „alles“. Im Babylonischen gibt es ein gleichklingendes (homophones) Wort nagbu, das in der ersten Zeile des Epos ganz sicher ebenso gemeint ist wie das Wort nagbu, „Gesamtheit, alles“. Dieses zweite Wort nagbu bezeichnet einen für das mesopotamische Weltbild äußerst wichtigen kosmographischen Begriff. Dem babylonischen Weltbild zufolge besteht der Kosmos aus vier Schichten: dem Himmel, der begehbaren Erde, einem unmittelbar darunter befindlichen Süßwasserhorizont, der Brunnen und Quellen speist, sowie der Unterwelt. Nagbu ist die babylonische Bezeichnung für den ‚Süßwasserhorizont‘, den Machtbereich des wasserspendenden und damit – insbesondere für das aride Mesopotamien – auch lebensspendenden Gottes der Weisheit Enki,

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