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steht gegen den zur Herrschaft berufenen Mann, die schöne Verführerin des willenlosen Antonius gegen die Selbstdisziplin des Octavian, das Fremde gegen das Vertraute, der Osten gegen den Westen. Die gräulichen Tiergötter Ägyptens erheben sich gegen die Lichtgestalten der griechisch-römischen Götter. In der römischen Propaganda erwächst Kleopatra rasch zu einem „Traumbild männlicher Obsessionen“. Ihre Geilheit sprengt jede Vorstellung. Ihre Verschwendungssucht kennt keinen Vergleich in der Weltgeschichte. Ihre Grausamkeit lässt sie auf offenem Markt mit ausgesuchten Todesarten experimentieren. Die Männerphantasien von der Hure, die zahllose Freier erst verführt und dann ermordet, konnten auch durch die femmes fatales neuzeitlicher Jahrhunderte nicht mehr überboten werden. Von Kleopatra erzählen sie wenig, von den Römern aber verraten sie mehr, als diese sich träumen ließen.

      Als ein „fatale Monstrum“ ist auch NERO in die Erinnerung eingegangen: als Muttermörder, als Christenverfolger, als angeblicher Brandstifter, der im Angesicht des brennenden Rom sein Epos vom brennenden Troja vorgetragen habe. Jürgen Meilitz lenkt die Aufmerksamkeit dagegen auf das Künstlertum des Kaisers. Die antiken Quellen behandeln das Thema mit Vorsicht – nach den aristokratischen Konventionen war offensichtlich hochpeinlich, was hier geschah. Nero scheint über eine beträchtliche künstlerische Begabung verfugt zu haben. Dass er sie als Kaiser offen auslebte, mag zunächst ein jugendlicher Protest gegen das Ethos von Stand und Familie gewesen sein, das derlei strikt in den diskreten Kreis des Privaten verbannte. Manches spricht aber dafür, dass er darin bald auch politische Potentiale erkannte. Der Kaiser, der im öffentlichen Theater als Dichter, Sänger und Schauspieler auftrat, provozierte damit nicht nur den „Anstand“ der Oberschicht, er verbündete sich demonstrativ mit der Unterschicht: ein wichtiger Gewinn an Macht. Dass er dies durch die bewusste mediale Inszenierung eines Selbst-Bildes tat – der Kaiser als Künstler –, brachte freilich seine eigenen Ambivalenzen mit sich. Auf der einen Seite näherte er seine Inszenierungen dem Leben an: seine Maske trug seine eigenen, realistischen Züge; zu den berühmtesten Rollen des Muttermörders Nero gehörte die des Muttermörders Orest. Auf der anderen Seite imitierte er in seinem kaiserlichen Handeln die Kunst: ein Todesurteil etwa ließ er nach dem Drehbuch eines seiner Lieblingsstücke vollstrecken. Am Ende scheint er darüber den Blick für die Realität verloren zu haben. So wurde er gestürzt: das vielleicht bezeichnende Ende einer ungewöhnlichen Episode der Mediengeschichte.

      Die Geburt eines Mythos untersucht Pedro Barceló an CONSTANTIN DEM GROSSEN. Die Figur dieses Kaisers gewinnt ihre Schlüsselqualität aus einem einzigen narrativen Kern: Am Vorabend seiner Schlacht um Rom wird ihm in einer Vision das Kreuz Christi als Zeichen des Sieges offenbart. Er unterstellt seine Truppen diesem Zeichen und kann, trotz hoffnungsloser Ausgangslage, den Gegner überwinden. Es ist der entscheidende Schritt auf dem überraschend kurzen Weg des Christentums von einer verfolgten Religion zur Staatsreligion. Nun haben auch frühere Kaiser Visionen gehabt; ja es war ihres Amtes, sich sozusagen als Kommunikationskanal zwischen Göttern und Menschen offenzuhalten. Dem Constantin war zuvor bereits einmal Apollo erschienen. Neu war die außerordentliche Not, in der ihm die christliche Offenbarung widerfuhr. Entsprechend beeindruckt mag er sich gezeigt haben, als das Verheißene eintrat. Neu war auch, dass der aus römischer Sicht randständige, geächtete Christengott einem Kaiser erschien; das mag den Eindruck ebenfalls verstärkt haben. Jedenfalls brauchten die christlichen Priester nur wenige Jahre, um den Kaiser vom streng monotheistischen Anspruch des neuen Gottes zu überzeugen. Dass den Christen diese Wendung ihres Geschicks als ein Wunder erschien, würde einleuchten; es gibt dazu jedoch keine zeitnahen Quellen. Erst viel später werden christliche Ausarbeitungen dieses narrativen Kerns greifbar: in der Legende von Constantins Taufe durch Papst Silvester in der Lateranbasilika und in der Behauptung einer „constantinischen Schenkung“, der zufolge dem Papst die Herrschaft über Rom und das weströmische Reich übertragen worden sei. Als Constantin „der Große“ tritt der Kaiser damit vor die Erinnerung: als der Urheber einer Zeitenwende.

      In zeitlicher Nachbarschaft tritt dem Kaiser Constantin der Mönch ANTONIUS gegenüber: dem mächtigen Herrscher des weltlichen Reiches der asketische Heilige in der fernen Wüste. Sein Leben, sowie dessen verkündigende Vergegenwärtigung in der Vita Antonii des Patriarchen Athanasius, hat dem spätantiken Mönchtum das erste, maßstabsetzende Modell gegeben. Mit welcher Macht dieses Modell viele Menschen zur Nachfolge reizte, davon zeugen zeitgenössische Anekdoten ebenso wie eine gewaltige literarische Wirkungsgeschichte. Vielfältig sind die Gründe für jenen Aufschwung des Mönchtums, der Andreas Merkt von einer „Kulturrevolution“ und der „größten Jugendbewegung der Antike“ sprechen lässt. Das Leben des Antonius bot all jenen Mönchen und Nonnen die Schlüsselfigur, der sie bei ihrem Auszug aus der weltlichen Gesellschaft ihrer Gegenwart nachfolgen konnten. In seiner Besitzlosigkeit suchten sie die Freiheit des Christenmenschen, in seiner Askese die irdische Vorwegnahme der himmlischen Harmonie von Körper und Geist, in seiner Heiligkeit ein neues, unblutiges Martyrium. Was immer vom 5. bis zum 7. Jahrhundert an Mönchsviten und Heiligenlegenden geschrieben wurde, folgte dem mythischen Muster des heiligen Antonius. In einer Kirche, welcher der Bund mit dem Kaiser Macht und Reichtum bescherte, hielt das Mönchtum die Erinnerung daran wach, dass das Reich Gottes nicht von dieser Welt ist.

      Wohl keine Gestalt der Antike hat die Imagination der folgenden Generationen wie der folgenden Jahrhunderte derart aufgestört wie JESUS CHRISTUS. Allerdings riskiert Missverständnisse, wer Christus unter dem Titel ‚Mythen Europas‘ heranzieht. Nun verwendet die Vortragsreihe „Mythos“ strikt als einen Rezeptionsbegriff. Zur Schlüsselfigur in diesem Sinne wird eine Figur, wie ausgeführt, ausschließlich durch ihre Wirkungskraft auf die kollektive Imagination; ihre historische Faktizität oder Fiktionalität bleibt dabei ganz außer Betracht. Gleichwohl ist von Interesse, dass schon die antike Christenheit große Mühe darauf gewendet hat, die Gestalt Christi kritisch abzusetzen von den Göttern und Heroen jener Religionen, in deren Umfeld und gegen deren Sog Kraft sie sich zu behaupten hatte. Eine führende Rolle wuchs dabei Augustinus zu, dem wohl wirkungsmächtigsten aller Kirchenväter. Er setzte Christus von den mythologischen Gestalten ab durch die Historizität seines menschlichen Erdenlebens und durch seine zwiefache Natur als „ganz Gott“ und „ganz Mensch“. Und er vollzog diese Abgrenzung, indem er – am Leitfaden seiner eigenen, in den Confessiones niedergelegten Erfahrung – die Wirkung Christi auf das Leben des gottsuchenden Menschen herausarbeitete. Unter dem Titel ‚Der Rationalitätsanspruch der Augustinischen Christologie‘ zeichnet Norbert Fischer diese Argumentation nach.

      Die meisten der hier versammelten Beiträge wurden im Wintersemester 2002/03 an der Katholischen Universität Eichstätt als Vorträge gehalten. Ein besonderer Dank gilt Frau Barbara Graziosi und Herrn Andreas Merkt, die mit Aufsätzen einsprangen, als Vorträge anderer Referenten nicht publiziert werden konnten. Die Konzeption wie die organisatorische Durchführung des Programms lag in den Händen von Karl Graf Ballestrem, Verena Dolle, Andreas Hartmann, Inge Milfull, Michael Neumann und Christine Strobl. Jürgen Malitz hat uns für den Druck freundlicherweise zahlreiche Bildvorlagen aus der Numismatischen Bilddatenbank Eichstätt überlassen. Für die Finanzierung der Vortragsreihe danken wir vor allem der Sparkasse Eichstätt und dem Katholischen Bildungswerk Eichstätt. Frau Elisabeth Pustet hat sich schon früh für die Drucklegung interessiert und den Weg von den Vorträgen zum Buch so unermüdlich wie einfallsreich begleitet.

       Michael Neumann

      ANMERKUNGEN

      1Vgl. Meier 1988.

      2Schneider 1936, S. 6.

      3Vgl. Neumann 1997, bes. S. 177-181.

      4Nietzsche 1980: III 404.

      5Einstein 1980, S. 37.

      6Warburg 1992, S. 232.

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