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Der Löwe soll sich mit mir beschäftigen, während ihr flieht.«

      »Unfug!« Desach hob die Klinge. »Wir kämpfen.«

      Lirach stand auf, aber er brach wieder in die Knie. Er bot ein Bild des Elends, seiner Kraft und seines Lebenswillens wegen des ständigen Überlebenskampfes und durch den Vital-Suppressor beraubt.

      »Das können wir nicht«, sagte Tsaras. »Nicht mehr.«

      »Hinter mich!« Desach hob die Waffe und umklammerte den Griff so fest, dass die Knöchel weiß hervortraten.

      Flieht!, wollte der Sliwaner erneut rufen, da explodierte die Wand des Schuppens.

      Der Yiru-Löwe brach in einem Regen aus Holzsplittern hindurch. Braungelbes Fell schimmerte im Licht. An einem der Läufe war es blutverkrustet. Das Tier krachte auf und brüllte. Geifer rann von den Reißzähnen.

      Desach schrie und sprang auf die Raubkatze zu. Das rostige Messer beschrieb einen Bogen in der Luft, als er ausholte und zustach. Er wollte die Schneide in den Hals des Löwen rammen, doch traf nur ein Vorderbein.

      Der Yiru hieb mit der anderen Vorderpranke zu und schleuderte Desach von sich, der seine einzige Waffe nicht losließ. Sie wurde aus der Wunde gerissen. Blutstropfen lösten sich von der Klinge.

      Die Verletzung machte die Bestie nur wütender. Sie sprang auf ihren Angreifer zu.

      Tsaras sah seine Chance, sein Angebot in die Tat umzusetzen. Ob seine beiden Freunde es wollten oder nicht ... er würde sich für sie opfern. Er kam in die Höhe und ließ sich zur Seite fallen, gerade als das Raubtier an ihm vorbeisprang. Der Yiru erwischte ihn, riss ihn mit sich und schüttelte sich ärgerlich.

      »Nein!«, hörte er Desachs Ruf, dann krachte Tsaras gegen die hölzerne Wand der Baracke. Er spürte, wie ihm dicht unterhalb des Kopfes Schuppen aus dem Panzer brachen – in der Kälte waren sie hart, aber leichter als sonst in seinem Fleisch verankert.

      Blut floss aus der Wunde, und die milde Wärme, immerhin ein wenig mehr als die Luft um ihn her, fühlte sich köstlich an.

      Vielleicht war es dieser Geruch von Angst und wilder Entschlossenheit, möglicherweise lediglich instinktive Wut, die den Löwen dazu brachte, nun Tsaras als seine erste Beute zu sehen. Die Raubkatze sprang, prallte gegen ihn, und während der Sliwaner glaubte, zerquetscht zu werden, barst die hölzerne Wand des Schuppens, und gemeinsam brachen sie hindurch.

      Er fiel.

      Tiefer, als er gedacht hätte, sekundenlang die steil abfallende Kraterwand hinab, bis er endlich aufschlug. Der verhärtete Schuppenpanzer milderte das Schlimmste ab, aber während er weiter hinabschlitterte, sah er Schuppenplatten über sich, Teile seines Körpers. Die Bestie versuchte geifernd, Halt zu finden.

      Tsaras wollte sich krümmen, doch seine Glieder gehorchten ihm nicht.

      Dann: Wasser.

      Er stürzte in den Kratersee. Das Salzwasser brannte wie lodernde Flammen in seinen Wunden. Es spülte in seinen Mund und schmeckte schweflig nach dem Giftgas, das in dicken Blasen aufstieg.

      Als heiße Blasen.

      Mitten im Schmerz, in der Panik und der allgegenwärtigen Schwäche spürte Tsaras etwas von dem, was er längst für immer verloren geglaubt hatte: ein wenig jener Kraft, die den Sliwanern einen legendären Ruf verlieh, kehrte in seinen Körper zurück.

      Er hob den Kopf aus dem See. Giftige Schwaden trieben um ihn her. Er versuchte, nur flach einzuatmen, um möglichst wenig Giftgas in sich hineinzulassen, aber er kostete die Hitze und das Leben aus, das die Dunstwolken durch seinen Leib pulsten.

      Als der Löwe auf allen sechsen im Wasser stand, das Maul aufriss und ihn fixierte, sah Tsaras keinen Jäger mehr, sondern Beute. Er wich dem ersten Angriff mühelos aus, umrundete die Raubkatze, kam in ihren Rücken, sprang hinauf und biss ihr in den Nacken. Zweimal. Dreimal. Bis sie sich nicht mehr regte. In ihrem Blut verbarg sich weiteres, warmes Leben.

      Der Sliwaner zerrte das Biest aus dem Wasser und ein Stück den Kraterrand empor, bis die Kälte zurückkehrte.

      Und mit ihr die Schwäche.

      Tsaras ließ los und sah seine Freunde, die den Kraterabhang hinunterkletterten, nur noch wenige Meter entfernt. Die schmutzige Kleidung hing über Desachs Brustkorb in Fetzen, aber die Kratzwunden sahen nicht tief aus.

      Am liebsten wäre Tsaras in die Hitze der giftigen Schwaden zurückgekehrt, doch das Giftgas machte es unmöglich. Was nützte es, stark zu sein und im nächsten Moment unter Krämpfen zu sterben?

      »Ich habe etwas für euch«, sagte er, und jedes Wort fiel ihm bereits schwerer als das vorherige.

      Das Fleisch des Yiru schmeckte gebraten besser als das der meisten Tiere im Straflager ... wobei viele gar nicht essbar waren. Das Yirufleisch aber würde ihnen für einige weitere Tage Kraft verleihen.

      Falls sie überlebten und die nächste Gefahr sie nicht umbrachte.

      So war es eben, das Leben und Sterben auf der Ausweglosen Straße.

      1.

      Geduld und Entzugserscheinungen

      »Erinnerst du dich an jenen Tag«, sagte Giuna Linh, »an dem wir unseren Sessel durch den Transmitter schickten? Wie teuer es war?« Sie lachte oder versuchte es zumindest. »Und wie die Akonen am Empfangsgerät das klobige Ding angestarrt haben? Sie dachten, wir wären verrückt.«

      Sie sprach zu ihrem Mann, aber Lanko Wor antwortete nicht. Natürlich nicht. Er lag im Koma, seit sie ihn aus der Ausweglosen Straße befreit hatte. Mehr als zwei Wochen war er nun schon ein zerschlagenes, blasses, hinfälliges Etwas in der körperlichen Hülle des Menschen, den sie liebte. Und die Cairaner trugen daran die Schuld, im Namen des Friedens, den sie über die Milchstraße brachten.

      »Na ja«, meinte sie, »vielleicht stimmte das ja auch. Wir dachten, die Galaxis gehört uns.« Und damit waren Lanko und sie lange durchgekommen. Sie hatten sich da und dort entlanggemogelt und am Ende eine interessante, herausfordernde Arbeit in der Baustelle eines akonischen Etappentransmitters gefunden.

      Oder nein, das eigentliche Ende dieses Abschnitts ihres Lebens bildete jener Augenblick, als sich Lanko einem Cairaner widersetzte und auf die Ausweglose Straße deportiert wurde. Wie lange war das her?

      Eine Ewigkeit.

      Monate.

      »Was denkst du?«

      Giuna zuckte zusammen, als sie die Worte hörte. Einen winzigen Moment dachte sie, ihr Mann hätte gesprochen. Lächerlich. Sie drehte sich um und sah Spand an, den Ara, der Lanko medizinisch versorgte. Doktor Spand, um genau zu sein. Auf diesem Namenszusatz bestand er.

      »Willst du es wirklich wissen?«, fragte sie.

      »Wieso sollte ich dich fragen, wenn nicht?«

      »Ich dachte daran, dass ich auf Frieden verzichten kann, solange er so aussieht wie das, was die Cairaner in der Milchstraße durchsetzen.«

      Der Ara beugte sich vor. Das Stethoskop um seinen Hals baumelte frei. Der sonst stramm über dem Oberkörper sitzende weiße Kittel schlug eine Falte im Bauchraum. »Du denkst an Politik?« Sein Atem roch nach den blauen Zwiebeln des hiesigen hydroponischen Gartens und nach Fleisch. Offenbar hatte er gerade gegessen. War es Zeit dafür? Giuna vergaß es häufig, wenn sie bei Lanko saß. Was sie meistens tat.

      »Hast du nichts Besseres zu tun«, fragte er, »hier im Krankenraum?«

      Sie hob die Schultern. »Was schlägst du vor?«

      »Iss etwas. Als dein Arzt kann ich nicht gutheißen, wie wenig du zu dir nimmst.«

      »Ich wüsste nicht, dass du mein Arzt bist.«

      »Du lebst in der TREU & GLAUBEN. Ich bin der Chefmediker an Bord.« Er schnippte mit Mittelfinger und Daumen beider Hände. »Also bin ich dein Arzt. Eine einfache Rechnung.«

      Giuna

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