Скачать книгу

hatte sich auf Antonios Liege gelegt und ihn gebeten, es solle wehtun. Es war eine Krähe auf der Innenseite seines Ellenbogens geworden, die vollkommen schwarz war, abgesehen von einer grellroten Schattierung am Auge.

      Seine Tattoos waren der Beweis dafür, dass er überlebt und es hinter sich gelassen hatte. Dass er sich von einem misshandelten Kind zu einem Tätowierer und Vollzeit-Studenten entwickelt hatte, der fest entschlossen war, seine Werke in Galerien, Studios und den Händen von Menschen zu sehen, die ihn wirklich verstanden.

      Da wurde Derek bewusst, dass er zu lange mit einer Antwort gezögert hatte, deshalb tippte er mit zitternden Fingern: Ich hatte eine schwere Kindheit und die Tattoos erinnern mich daran, dass ich sie überlebt habe. Ich arbeite in einem Tattoostudio namens Irons and Works. Kennst du es?

      Basil las über seine Schulter hinweg mit, aber statt das Handy zurückzunehmen, lächelte er bloß und schüttelte den Kopf.

      Wenn du jemals ein Tattoo willst, komm zu mir. Aber ich bin auch Künstler. Darf ich dir meine Galerie zeigen? Als Basil zustimmend nickte, gab Derek die Adresse seiner Internetseite ein und öffnete seine Online-Galerie. Am liebsten zeichnete er Dinge aus der Natur ‒ er liebte den Realismus, aber er wollte Dinge malen und zeichnen, die voller Leben waren. Obwohl die meisten seiner Werke, die Tiere zeigten, mit Ölfarben gemalt waren, war sein Lieblingsbild eine Kohlezeichnung eines Oktopus, der sich um einen Felsen umringt von Korallen geschlungen hatte. Es war komplett in Schwarz gehalten, aber aus irgendeinem Grund erschien ihm dieses Bild immer am lebendigsten. Es hing an seinem Platz im Laden, aber er wünschte sich mehr als alles andere, dass jemand es genauso schätzte wie er.

      Vielleicht hätte es ihn nicht überraschen sollen, dass Basils langer Finger auf das Display tippte, damit der Oktopus auf dem gesamten Bildschirm zu sehen war, dennoch machte Dereks Herz einen Satz in seiner Brust. Da Basil sich so dicht zu ihm beugte, nahm Derek einen berauschenden und überwältigenden Duft wahr, als würde man den Kühlraum eines Floristen betreten, um die gekühlten Sträuße zu betrachten.

      Er wagte einen Blick und sein Herzschlag beschleunigte sich, als er Basils Gesicht sah. Seine Augen waren geweitet, die Lippen leicht geöffnet und eine Locke schwarzen Haares fiel in seine Stirn, während er das Bild studierte. Als er sich zurückzog, öffnete Derek wieder die Notiz-App. Das ist mein Lieblingsbild, aber bisher wollte niemand es kaufen.

      Du verkaufen wollen, tippte Basil als Erwiderung.

      Derek zuckte mit dem Schultern. Ich will, dass jemand meine Arbeit liebt und schätzt. Ich werde es vermissen, wenn es verkauft ist, aber ich kann warten. Die richtige Person wird kommen.

      Basil lächelte ihn an und lehnte sich vorsichtig an seine Schulter, um nach dem Handy zu greifen. Wunderschön. Ich Blumensträuße mache, mit Schwester in Laden verkaufen. Älter. Herrisch.

      Derek lachte auf und schüttelte mitfühlend den Kopf. Ich habe einen Zwillingsbruder, der ist fünf Minuten älter und genauso herrisch.

      Sieht aus wie du, wollte Basil wissen.

      Derek wünschte, er hätte sein Handy bei sich, denn ja, Sage war ihm wie aus dem Gesicht geschnitten. Abgesehen von ein paar Tattoos und Sages kürzeren Haaren waren sie sich zum Verwechseln ähnlich. Aber nachdem es zum dritten Mal vorgekommen war, dass Dereks Eroberung für den Abend aus Versehen seinen Bruder geküsst hatte, hatte Derek darauf bestanden, dass Sage etwas unternahm, damit man sie auf den ersten Blick auseinanderhalten konnte. Sage hatte sich für einen Hai entschieden, der an seinem Hals hinauf bis zu seinem linken Ohr verlief. Derek hatte ihm das Bild gestochen und falls es ein wenig linkisch aussah, beschwerte Sage sich nie.

      Wir sind eineiige Zwillinge, tippte er. Bevor er noch etwas schreiben konnte, gab es einen weiteren Blitz und einen Donnerschlag, der so nah klang, dass es ihm in den Ohren dröhnte. Als Basil ebenfalls zusammenzuckte, drehte Derek sich zu ihm um. Konntest du das hören?

      Basil schüttelte den Kopf, dann legte er die Handfläche auf den Boden und tippte: Spüren. Geräusche Vibration machen.

      Ein weiterer Donnerschlag, und dieses Mal spürte Derek das Grollen unter sich. Es lenkte ihn so weit ab, dass er nicht wieder in Panik verfiel. Zwar fühlte er das bedrohliche Gefühl in seinem Rückgrat, aber er weigerte sich, es anzuerkennen. Denn dass Basil sich in der leeren Bankfiliale an ihn drückte, war genug, um ihn zu beruhigen. Damit hätte er nie im Leben gerechnet. Da er die Panik im Zaum halten konnte, merkte er, wie sich nach dem anstrengenden Tag Erschöpfung in ihm ausbreitete. Seine Glieder wurden schwer und seine Augen brannten. Er wollte ein warmes Essen und sein gemütliches Bett und wollte diesen Tag einfach vollkommen vergessen.

      Na ja, jedenfalls größtenteils. Denn dieser Teil war möglicherweise das Beste, was ihm seit Langem passiert war, und dieser Gedanke war irgendwie entsetzlich.

      Bevor er erneut nach dem Telefon tasten konnte, begannen die Lichter zu flackern. Sie gingen an und wieder aus, dann mit einem Brummen erneut an, bei dem beide Männer auf die Füße sprangen. Sie schauten einander an und es war seltsam, Basil im schwachen Licht der trüben Halogenlampen über ihnen direkt ins Gesicht zu sehen.

      Er sah unglaublich gut aus. Sein nasses Haar, das im Verlauf ihres Gesprächs aufgehört hatte zu tropfen, kringelte sich. Unter seinem dicken Mantel war er schlank, seine enge Jeans umschmeichelte seine Beine und seine Füße sahen in den Converse lang und schmal aus. Derek war mindestens zehn Zentimeter größer als er, aber aus irgendeinem Grund fühlte er sich nicht so monströs wie gewöhnlich. Derek verspürte den unerklärlichen Drang, die Arme um Basil zu legen, in die Knie zu gehen und das Gesicht am Hals des Mannes zu vergraben. Er musste tatsächlich einen Schritt zurücktreten, um sich davon abzuhalten.

      Basils Blick zuckte zu dem Geldautomaten, der sich wieder eingeschaltet hatte, dann zu Derek, bevor er die Hände hob und gebärdete ›Du OK?‹ Es dauerte einen Moment, bis Derek das Gebärdenalphabet erkannte, denn er hatte gerade erst begonnen, es zu lernen, aber dann lächelte er. ›OK‹, wiederholte er. ›Danke‹, fuhr er fort, dann hielt er inne, denn er wusste nicht, wie er ausdrücken sollte, was er als Nächstes sagen wollte. ›FÜR HILFE‹, buchstabierte er.

      Basils Lächeln war breit und hinreißend und Dereks Magen schlug bei dessen Anblick einen Salto. ›Hilfe‹, sagte er, dabei formte er das Wort mit den Lippen und zeigte ihm gleichzeitig die Gebärde. Als Derek sie korrekt nachmachte, gab er ihm einen Daumen nach oben.

      »Ich sollte dich, äh…« Er deutete auf den Geldautomaten, denn er wusste nicht, ob Basil von seinen Lippen lesen konnte. Aber da der andere Mann nickte, hatte er wohl verstanden, was Derek meinte. ›Danke‹, gebärdete er erneut.

      Es entstand eine schrecklich unangenehme Situation, aber schließlich drehte Derek sich um und verließ das Gebäude. Der Regen, der zuvor sehr ärgerlich und unwillkommen gewesen war, erschien ihm nun wie eine wundervolle Erleichterung, ein Beweis für seine Freiheit und dass er nicht mehr gegen seinen Willen gefangen war. Er schaute noch einmal durch das Fenster und sah, wie Basil seine PIN eingab, dann zwang er sich, zu seinem Auto zu gehen.

      Es sprang sofort an und die heiße Luft, die aus der Lüftung drang, zeigte ihm, dass er nur ein paar Minuten eingesperrt gewesen war ‒ und nicht ewig lange Stunden, wie es ihm vorgekommen war. Er zögerte ein letztes Mal, dann legte er den Rückwärtsgang ein. Dabei überlegte er, ob er den Mann jemals wiedersehen würde. Aber nun war es zu spät, um etwas zu unternehmen. Er bog auf die Straße ab und beschloss, dem Schicksal seinen Lauf zu lassen. Wenn es so bestimmt war, würde es passieren.

      Basil erreichte seine Wohnung, schüttelte seinen Mantel aus und trat seine Schuhe mehrmals auf der Fußmatte ab, bevor er den Flur betrat. Er konnte riechen, dass jemand kochte, und prompt knurrte sein Magen. Er legte sich die Hand auf den Bauch und lief den kurzen Flur entlang zur Küche.

      Amaranth stand schon am Herd und hatte ihm den Rücken zugedreht, während sie etwas in einem riesigen Topf umrührte. Er konnte durch die Sohlen seiner Schuhe Vibrationen spüren, was bedeutete, dass sie die Musik laut gestellt hatte. Er schaltete das Licht kurz aus und wieder an, um ihr zu signalisieren, dass er endlich zu Hause war.

      Sie drehte sich um und lächelte ihn an, während sie sich eine Haarsträhne

Скачать книгу