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polieren?« Das war natürlich Bullshit. Ich wusste, Ivy brauchte keinen Grund, um allein hier draußen zu stehen. Zumindest keinen solchen. Trotzdem konnte ich mir die Frage nicht verkneifen.

      Ich hörte Ivy leise lachen, als ich ihr näher kam, und erst als ich so nah bei ihr stand, dass ich ihr hübsches Puppengesicht sehen konnte, wurde mir bewusst, wie abstoßend ich auf sie vermutlich wirken musste. Ich war schließlich kein bisschen besser als die besoffenen Typen da drin.

      »In deinem Zustand würdest du ganz sicher niemanden gezielt treffen, so betrunken, wie du gerade bist«, erwiderte sie auch schon prompt und bestätigte damit nur meine Theorie.

      Trotzdem erkannte ich ein feines Lächeln auf ihren Lippen, das mir Hoffnung gab. »Wie kommst du darauf, dass ich betrunken bin?«, fragte ich mit schwerer Zunge und wusste im selben Moment, wie hirnrissig diese Frage war.

      Ivy kicherte erneut und musterte mich vorsichtig. »Glaubst du, es wäre besser, wenn ich meine Mom anrufe und sie frage, ob sie uns abholt und nach Hause fährt? Ich denke nämlich nicht, dass du heute noch fahren solltest, Oak.«

      Nein, das sollte ich definitiv nicht. Sie hatte absolut recht. Dennoch schüttelte ich hastig und protestierend den Kopf, was meinem Magen allerdings so gar nicht gefiel. Er verwandelte sich augenblicklich in eine Waschmaschine, die in den Schleudergang wechselte und mich vorsorglich kopfüber vorbeugen ließ. Scheiße, ich wollte keinesfalls Ivy vor die Füße kotzen. Und doch wusste ich, ich stand gerade kurz davor.

      »Und wie wäre es dann, wenn ich einfach fahre?«, hörte ich die beste Freundin meiner kleinen Schwester vorsichtig fragen, als sie mein Dilemma und das Elend in meinen Augen erkannte. Zum Teufel, ich fühlte mich schrecklich erbärmlich und wollte gar nicht erst wissen, was sie in diesem Moment über mich dachte. »Ich könnte doch Violet und dich mit deinem Pick-up fahren? Und von euch zu mir nach Hause sind es dann zu Fuß nicht mal mehr zehn Minuten«, schlug sie vor und lächelte erneut.

      Mein Blick haftete wie Honig auf ihren süßen Lippen, und ich fragte mich nicht zum ersten Mal, ob sie wohl genauso schmeckten, wie sie aussahen. »Niemand fährt mein Biest außer mir«, presste ich mühevoll hervor und versuchte mich nur noch auf Ivy zu konzentrieren, um die Übelkeit auszublenden.

      »Ich bin aber die Einzige von uns dreien und auch von deinen Freunden, die heute Abend nichts getrunken hat«, entgegnete sie hartnäckig und sah mich erwartungsvoll an. Das grünblaue Fichtengefilde in ihren Augen verschluckte mich mit Haut und Haaren, sodass ich nicht sofort reagieren konnte. »Außerdem weiß ich, wie man einen Pick-up fährt. Mein Dad hat es mir gezeigt, mit seinem eigenen Wagen.«

      Ich schob abwehrend die Augenbrauen zusammen und brummte: »Meinen Pick-up fährt man aber nicht einfach, das Biest musst du erst mal zähmen können. Sie zickt und wehrt sich manchmal. Außerdem hast du doch noch gar keinen Führerschein.« Ivy war schließlich noch keine sechszehn. Erst in wenigen Monaten würde sie die Fahrschule gemeinsam mit meiner Schwester besuchen und anschließend, nach ihrem sechszehnten Geburtstag, die heiß begehrte Lizenz erhalten.

      Doch das schien Ivy nicht sonderlich zu beeindrucken. Oder gar von ihrem Vorschlag abzuhalten. »Ohne Führerschein zu fahren ist allemal besser als betrunken zu fahren, finde ich«, sagte sie leicht gereizt. »Außerdem unterschätzt du meine Fähigkeiten, Oak. Ich verspreche dir, ich komme auch mit deinem Biest klar und bringe uns alle heil und ohne irgendwelche Vorfälle nach Hause. Ich kann das.« So wie sie mich jetzt ansah und lächelte, hatte ich kaum eine andere Wahl, als ihr zu glauben. Außerdem vertraute ich Ivy. In dieser Hinsicht sogar mehr als meiner kleinen Schwester. Doch die hatte ohnehin ebenso getrunken wie ich und schied als Fahrer daher aus.

      Mein Blick flog von ihren wunderschönen Augen wieder zu ihren einladend feuchten Lippen, die anscheinend zu beschwören versuchten, Ivy eine Chance zu geben und ihr meinen Wagen und damit auch unser aller Leben anzuvertrauen. Und zur Hölle noch mal, sie ließen mich tatsächlich weich werden. Ivys Lippen hatten mich hypnotisiert und ließen meinen inneren Protest verpuffen.

      Dabei hätte ich noch vor einiger Zeit meinen Arsch darauf verwettet, dass ich niemandem freiwillig das Steuer meines Wagens überlassen würde. Schon gar nicht irgendwelchen Mädchen, die noch nicht einmal den Führerschein besaßen. Doch Ivy war eben nicht irgendein Mädchen. Und so knickte ich ein, fischte meinen Autoschlüssel aus der Hosentasche und warf ihn ihr zu.

      »Ich will es nicht bereuen müssen, Cinnamon«, knurrte ich rau, zwiegespalten zwischen meinen Gefühlen und dem Kampf in meinem Inneren, den mein Körper gegen den Alkohol ausfocht.

      »Wirst du nicht. Versprochen.« Ihr breites, aufgeregtes Lächeln brannte sich in mein Gedächtnis und ohne dass ich es wollte oder verhindern konnte auch gleichzeitig mitten in mein Herz – und ich wusste in diesem Moment zu tausend Prozent, sie würde mich nicht enttäuschen.

      4

      Ivory

      Es war ein Kinderspiel, Oakley die Schlüssel zu seinem Pick-up abzunehmen und ihn damit nach Hause zu fahren, so betrunken und neben der Spur wie er gestern Abend war. Zwar hatte er es auch in diesem Zustand noch geschafft, mich mit seinem Gerede über Violet und darüber, wie er sie offenbar sah und einschätzte, meine Nerven zu strapazieren. Doch ich gab mir redlich Mühe, mich zusammenzureißen und mir nichts anmerken zu lassen. Vor allem nichts davon, dass es mich äußerst irritierte, wie er über seine kleine Schwester sprach. Als wäre sie schon immer und auch heute noch die kleine Unschuld vom Lande. Als würde sie keiner Fliege etwas zu Leide tun, schon gar keinem Menschen.

      Dass er mit seiner Einschätzung von ihr zumindest meiner Meinung nach vollkommen daneben lag, das verschwieg ich ihm natürlich. Genauso wie die Tatsache, dass ich dennoch, ja trotz allem, was zwischen Violet und mir vorgefallen war, Angst um sie hatte und mir Sorgen machte.

      Selbstverständlich machte ich mir Gedanken darüber, wo sie wohl sein könnte und ob sie überhaupt noch am Leben war. Selbstverständlich hatte auch ich der Polizei bei ihren Ermittlungen geholfen und hatte nach ihr gesucht, als sie verschwunden war. Selbstverständlich kümmerte es mich, weil sie mir nach wie vor wichtig war. Zumindest gewissermaßen wichtig. Schließlich vergaß man all die schönen Jahre nicht, nur weil die Freundschaft plötzlich vorbei war. Selbstverständlich wünschte ich mir, sie wäre jetzt hier statt ... wo auch immer sie war.

      Ich wünschte mir, zwischen uns wäre alles wieder normal und wir könnten dort weitermachen, wo wir vor über einem Jahr aufgehört hatten. Denn Violet und ich hatten schon immer eine sehr enge Bindung zueinander, auch wenn wir so verschieden waren wie Feuer und Wasser – oder vielleicht auch gerade deswegen. Und genau deswegen wollte ich mir weder gestern noch heute Gedanken darüber machen, was mit ihr geschehen sein könnte. Ich wollte nicht mit Oakley darüber reden müssen. Nein, mit ihm am allerwenigsten.

      Trotzdem wunderte es mich nicht, dass er jetzt wieder zur Tür des Diners hereinspazierte, als wäre es das Normalste und Natürlichste der Welt. Als hätte es die letzten Jahre in Afghanistan für ihn nie gegeben und als wäre er nie weg gewesen.

      Ich wusste, Oakley würde hartnäckig bleiben und mich erneut um Hilfe bitten. Hilfe bei der Suche nach seiner Schwester. Anscheinend hatte er es sich zur Aufgabe gemacht, das Rätsel, das selbst die örtliche Polizei bis heute nicht hatte aufklären können, zu lösen. Und ich verstand es. Ja, ich bewunderte es sogar ein bisschen. Diese Entschlossenheit in seinem Blick, mit dem er mich jetzt ansah, das feine, aber traurige Lächeln auf seinen Lippen, weil er in mir so etwas wie eine Art Hoffnung sah, die ich jedoch niemals sein würde.

      »Du hast nicht zufällig deine Meinung über Nacht geändert, oder, Cinnamon?«

      Ich zog überrascht die Luft ein, als ich meinen alten Spitznamen aus seinem Mund hörte. Wieso er mich schon damals immer wieder Cinnamon, also Zimt, genannt hatte, verstand ich bis heute nicht. Und dass er es noch immer – oder schon wieder – tat, bedeutete etwas. Oder aber ich bildete mir nur ein, es würde etwas bedeuten. Etwas, das

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