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Geschichte und Region/Storia e regione 29/2 (2020). Группа авторов
Читать онлайн.Название Geschichte und Region/Storia e regione 29/2 (2020)
Год выпуска 0
isbn 9783706561181
Автор произведения Группа авторов
Жанр Документальная литература
Серия Geschichte und Region/Storia e regione
Издательство Bookwire
Regionale Perspektiven haben aber auch ihre Tücken, denn sie reproduzieren im Kleinen oft dieselben Mechanismen, die den nationalen Identitäten zugrunde liegen. Das Erbe des 19. Jahrhunderts sind nicht nur Nationalismen, sondern auch die vielen lokalen „Mikronationalismen“, die Historiker häufig mehr oder weniger bewusst dazu veranlassten, in anachronistischer Weise die regionalen Identitäten der Gegenwart in die Vergangenheit zu projizieren, sie im genealogischen Sinne als „Abstammungsgemeinschaften“ zu verstehen, die aus biologischer, kultureller, sprachlicher und territorialer Sicht definiert sind.
Diese Identitäten sind voll und ganz Teil der „vergifteten Landschaft“, um einen wirkungsvollen Ausdruck von Patrick J. Geary zu verwenden, die die Geschichtsschreibung des 19. Jahrhunderts den folgenden Generationen hinterlassen hat.3 Die innovativste Forschung, die in den letzten Jahrzehnten der regionalen Dimension eine neue Zentralität verliehen hat, während sie gleichzeitig einer in sich geschlossenen Lokalgeschichte entkommen ist, war und ist von dieser Landschaft weit entfernt. Sie beschreitet meist zwei verschiedene Wege. Der erste ist die Mikrogeschichte, die in den siebziger und achtziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts von großer Bedeutung war, auch dank erfolgreicher, wenn auch sehr unterschiedlicher Bücher wie Carlo Ginzburgs Der Käse und die Würmer oder Emmanuel Le Roy-Laduries Montaillou.4 Es handelte sich um einen Weg, der wenig oder gar nichts mit früheren Traditionen der Lokalgeschichte zu tun hatte. Die Mikrohistoriker interessierten sich in der Tat weniger für die Geschichte eines Territoriums als vielmehr für die eines Individuums oder einer Gemeinschaft. Der Schwerpunkt lag vor allem auf der Kultur der einfachen Leute, die lange Zeit am Rande der historischen Forschung standen, und insbesondere auf der „Populärkultur“. Es ist kein Zufall, dass der Untertitel von Der Käse und die Würmer von Ginzburg Die Welt eines Müllers um 1600 ist. Und es sind gerade die „Mikrokosmen“ und nicht die regionalen Sphären im eigentlichen Sinne, die im Mittelpunkt einer fast zwanzigjährigen Forschungsgeschichte standen, die in jüngerer Zeit dank einer glücklichen und vielleicht unerwarteten Einbettung der mikrohistorischen Dimension in die Globalgeschichte wiederbelebt wurde. Dieser Weg wird durch zwei Bücher von Natalie Zemon Davis, einer der Hauptprotagonistinnen der mikrohistorischen Forschung, gut veran-schaulicht. 1983 untersuchte sie mit The Return of Martin Guerre Formen der bäuerlichen Identität anhand der Geschichte eines Hochstaplers in den Pyrenäen des 16. Jahrhunderts; zwanzig Jahre später untersuchte sie mit Trickster travels: a sixteenth-century Muslim between worlds anhand der Biographie von Hasan al-Wazzan, im Westen als Leo Africanus bekannt, die vielfältigen Identitäten, die sich in der mediterranen Welt verflechten.5
Die mikrohistorische Forschung, die sich hauptsächlich auf den individuellen und kollektiven „Kosmos“ konzentriert, hat es selten geschafft, in einen Dialog mit der Regionalgeschichte im traditionelleren, stark an den territorialen Kontext gebundenen Sinn zu treten. Sie hat jedoch wesentlich zu einer fruchtbaren Debatte über die regionale oder territoriale Dimension der Geschichtswissenschaft beigetragen, einer Debatte, in der Geschichte und Region / Storia e Regione ein wichtiger Protagonist war und ist. Es ist kein Zufall, dass der Titel der ersten Ausgabe, nicht ohne Ironie, lautet: Die Grenzen der Provinz / I limiti della provincia. Als dieses Heft 1992 erschien, war klar, dass die „Grenzen“, die „Limitierungen“ der lokalen oder traditionellen Landesgeschichte zu eng und erdrückend waren für innovative Forschung, die sich von den großen Erzählungen und von einem oft sterilen Gegensatz zwischen lokaler und allgemeiner Geschichte lösen wollte. Auf der anderen Seite gab es verschiedene Beispiele von Forschungsarbeiten, die die lokale Dimension als Instrument zur Behandlung allgemeinerer Fragen nutzten und sich nicht auf diese lokale Dimension beschränkten. In diese Forschung – dem zweiten der oben erwähnten Wege – wurde das Projekt Geschichte und Region eingefügt, ein Projekt, das seit fast dreißig Jahren sehr unterschiedliche Themen miteinander verknüpft. Auch das vorliegende Heft geht in diese Richtung, obwohl sich das historiographische Panorama seit den frühen neunziger Jahren des letzten Jahrhunderts in vielerlei Hinsicht verändert hat. In der Tat haben sich in den letzten Jahrzehnten viele Forschungsvorhaben der lokalen Dimension genähert, um spezifische Rahmenbedingungen für soziale, politische und wirtschaftliche Fragen zu vertiefen. Die innovativsten Arbeiten haben dies mit einem vergleichenden Ansatz getan, der nicht die Kategorien „normal“ und „außergewöhnlich“ verwendet, den regionalen Fall nicht als Bestätigung oder Ausnahme einer angenommenen nationalen oder universellen „Regel“ betrachtet, sondern einzelne lokale Gesellschaften untersucht, um sie miteinander zu vergleichen, um Ähnlichkeiten, Unterschiede, Divergenzen, unterschiedliche Zeitlichkeiten historischer Vorgänge feststellen zu können. Ein Vorbild ist in dieser Hinsicht die Forschung von Chris Wickham, die aus methodologischer Sicht nicht nur für das Mittelalter wichtig ist. In seiner Monographie zu den Gesellschaften des frühen Mittelalters verknüpfte er meisterhaft Weltgeschichte und Regionalgeschichte und verglich einzelne Fallstudien, die den lokalen Gesellschaften im euro-mediterranen Rahmen gewidmet waren.6 In diesen historiographischen Kontext betten sich auch die Aufsätze im monographischen Teil dieser Ausgabe von Geschichte und Region / Storia e Regione ein.
Den Anfang macht der Aufsatz von Manuel Fauliri, der das beneficium als Instrument der Beziehungen im hochmittelalterlichen Italien analysiert. Im Zentrum von Fauliris Forschung steht daher ein klassisches Thema des Mittelalters – das beneficium, das lange als Vorläufer des Lehens galt –, das er auf innovative Weise untersucht. Es handelt sich um eine historisch-anthropologische Perspektive, die Anregungen aus der Theorie von Marcel Mauss und vor allem aus dem Paradoxon keeping-while-giving aufgreift und neu bearbeitet, das die amerikanische Anthropologin Annette Weiner für die Gesellschaften Ozeaniens untersucht hat. Aber aus unserer Sicht ist Fauliris Aufsatz vor allem wichtig für die Art und Weise, wie er dieses Thema in Zusammenhang mit Zeit und Raum stellt. Eine Zeit, die sich im Vergleich zu dem untersuchten Phänomen nicht in die kanonischen Daten des Beginns und des Endes der karolingischen Herrschaft in Italien (774–888) einordnen lässt. Ein Raum, der eine anachronistische Analyse ausgehend von den Regionen, wie sie heute verstanden werden, ablehnt, der aber auf der Grundlage der untersuchten Einzelfälle und der mit ihnen verbundenen sozialen, wirtschaftlichen und politischen „kleinen Welten“ aufgebaut ist.
Einen wirtschaftshistorischen Aspekt betrachtet der Artikel von Lien-hard Thaler, der eine umfassende Darstellung des Wertes von Geld zwischen 1290 und 1500 präsentiert. Die Langzeitstudie bietet damit die Möglichkeit, auf verschiedene Entwicklungen einer Region einzugehen und diese in einem größeren Kontext einzubetten, sowie über den Wert des Geldes zu verstehen, welche ökonomischen Verhältnisse vorherrschten und welche Schlüsse daraus gezogen werden können. Damit verortet der Artikel die Tiroler Preisentwicklungen in einem europäischen Kontext und bietet eine Grundlage für weitere Forschungen zur mittelalterlichen Währungs-, Preis- und Lohngeschichte.
Im Beitrag von Stefano Mangullo