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Die Führenden starten einige Stunden nach dem Hauptfeld. Frank Reintjes, der das Rennen auch gewinnen wird, ist vorne weg, Philippe, Patrik, noch ein Philippe und ich laufen fast den ganzen Tag im Vierertrupp durch das Outback. Gegen Nachmittag löst sich das Feld auf. Philippe Richet gibt Gas, und ich konzentriere mich darauf, Patrick nicht aus den Augen zu verlieren. Philippe Manial geht ein wenig verloren. Wir überholen Frank, bei dem ich aber nicht bleiben kann, da ich folgen muss. Patrick ist ein sehr erfahrener Läufer mit mehreren Teilnahmen beim Badwater Ultra, und er ist ein Fuchs. Ich meine das liebevoll und mit großer Anerkennung. Er wartet bis zum Eintritt der Dunkelheit und zieht dann mächtig das Tempo an. Ich versuche dranzubleiben, habe allerdings einen Aspekt nicht bedacht – die Nacht. Als er hundert Meter Vorsprung rausgelaufen hat, kann ich ihn nicht mehr sehen. Tagsüber würde man vielleicht darüber lächeln und sich reinhängen. Da durfte der Fuchsgruber mal wieder was lernen. Sein Abstand wächst von Checkpoint zu Checkpoint. Ich muss mich mittlerweile mit einem Dingo auseinandersetzen, der mich in der Dunkelheit verfolgt. Dingos sind nicht ganz so putzig, wie man meint, vor allem nicht, wenn sie allein unterwegs sind. Oftmals handelt es sich dabei um kranke Tiere, die sich in ihrer Hungernot auch schon mal an einer Beute vergreifen, die eindeutig größer ist als sie. Einen deutschen Touristen haben sie kurze Zeit zuvor so zerlegt, dass er mehrere Wochen in Australien im Krankenhaus lag. Ein neunjähriger Junge starb sogar nach einem Angriff. Trotz meiner Wurfgeschosse in seine Richtung ist er beharrlich. Wir laufen mittlerweile auf der Straße, und ich versuche, dem weißen Randstreifen zu folgen. Obwohl dieser im Schein der Stirnlampe fett vor mir liegt, verliere ich diese Linie immer wieder aus den Augen. Dann heißt es: Augen schließen, Hirn wieder hochfahren, Augen öffnen – und da ist sie dann wieder, die weiße Linie. Das mache ich alle fünf Minuten oder lasse mich wahlweise von einem der riesigen Roadtrains erschrecken. Die sind über 50 m lang und etwa 100 km/h schnell. Schlagartig ist man wieder wach, wenn einem Stirnlampe und Hut wegfliegen.

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      »Joy and pain« auf 527 Kilometern.

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      Seite an Seite mit Frank Reintjes.

      Als ich kurz vor dem Ziel bin, treffe ich meinen Kameramann Gabriel Pielke, der unser Rennen für das ZDF begleitet. Es gibt mir arg zu denken, dass ich laufe, Gabriel aber mich gehend dabei filmt. Meine Reaktion beschränkt sich in diesem Moment auf die Feststellung: »Hier stimmt was nicht, und ich muss später mal darüber nachdenken!« Im Ziel bin ich zwar drei Stunden schneller als der Gewinner der letzten Ausgabe von The Track, aber ich erfahre auch, dass Patrick mir mit sieben Minuten Vorsprung den dritten Platz stibitzt hat. Das ist ein Kilometer von 520. Das hat er gut und clever gemacht. Ich bin für einige Minuten etwas unglücklich. Aber: Hey, das darf ich! Ich bin nach 17 h laufen dehydriert und komplett durch. Kurz darauf stehen wir alle schon wieder gutgelaunt am Lagerfeuer und feiern das Ende eines ganz besonderen Rennens. So besonders, dass es auch bis heute das einzige ist, bei dem ich noch einmal starten würde.

      Frank Reintjes gewinnt nach 61 h Laufzeit das Rennen bei den Männern, und meine Freundin Ita Emanuela Marzotto aus Italien kommt als erste Frau rein. Sie wird mir zwei Jahre später behilflich sein, die ersten Kontakte zu Marco Olmo herzustellen, um auch ihn hier im Buch dabeizuhaben.

      Zwei Gedanken bestimmen die Nacht nach dem Zieleinlauf: Ich habe für mich wiedergefunden, was mir in den vorangegangenen Jahren ein wenig abhanden gekommen war: das Glück und Genießen des Laufens. Das macht mich froh. Die lange Verletzung und das drohende Aus für meine heißgeliebten kleinen Abenteuerläufe hatten mir extrem zugesetzt. Ich war teilweise restlos fertig – ohne dabei aufzugeben.

      Mara geht mir durch den Kopf. Wir machen gern Deals – wir haben beide großen Spaß daran, und irgendwie kommen wir im Gespräch über das Rennen in Australien kurz vor meiner Abreise auf das Thema »gegenseitige Versprechen«. Ich weiß nicht mehr, wie es dazu kommt, aber ich verspreche ihr, dass ich bei The Track nicht einmal gehen, sondern nur laufen werde. Aus der zeitlichen Entfernung betrachtet hat es sicherlich etwas mit der »Unvorstellbarkeit« dieses Rennens zu tun. Es gibt keinen Plan und keine Taktik, die man mit sich vorher vereinbaren kann. Dieser Deal geht aber! Beziehungsweise »läuft« immer. Ein Vater hält ein Versprechen gegenüber seinem Kind – auch immer!

      Über einen Transfer aus diesem Rennen in unser normales Leben nachzudenken, ist ein interessantes und großes Thema – wie dieser Lauf selbst. Die Worte Respekt bzw. Demut und das Thema Selbstwahrnehmung kommen in meinen Monologen während des Laufens im Outback immer wieder vor. Wer der Meinung ist, dass er schon sehr viel über sich weiß, kann viele neue Erfahrungen bei langen Läufen machen. Und wer dazu besonders viel erfahren will, geht zu The Track.

      Zum Thema Demut und Respekt: Ich sage es – und ich sage es gern: Nur wer Respekt gibt, kann auch Respekt erhalten. Dies gelingt vielen von uns im täglichen Leben, und wir machen das oft gut mit »unseren« Leuten. Aber eine entscheidende Frage hier in die Runde: Gelingt uns das auch mit uns selbst? Gehen wir respektvoll mit uns um?

      Nehmen wir dafür das schöne Wort »Achtsamkeit«. Im ersten Moment mutet es vielleicht ein wenig seltsam an, als extremer Ausdauerläufer über Achtsamkeit nachzudenken. Aber gerade Sportler – insbesondere der Läufer – kann darüber viel erzählen. Sein Umgang mit sich selbst lässt sich praktischerweise direkt in Metern oder Sekunden messen. Im Leben oder in der Berufswelt ist das schwieriger. Ich glaube, hier ist noch viel offen und wir widmen uns im Lauf dieses Buches wieder und wieder diesem Thema.

KAPITEL 4 / MOHAMAD AHANSAL
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      DER WÜSTENSOHN

      Mohamad war der erste Ultratrailläufer, den ich in meinem Leben kennengelernt habe. Im Ernst! Ich begegnete ihm 2006 das erste Mal in der Sahara. Dass er und sein Bruder Lahcen die besten Wüstenläufer der damaligen Zeit waren, war bis kurz vor meiner Reise an mir spurlos vorübergegangen. Die beiden haben zusammen 15 Mal in Folge den Marathon des Sables (MdS) gewonnen. Wie schon in Running wild erwähnt, hatte ich Bilder vom MdS in einer Zeitschrift gesehen, und die ließen mich nicht mehr los. An den MdS hatte ich mich nicht ’rangetraut, weil mir der Mumm fehlte – im Gegensatz zu meinen Rookies im Little Desert Runners Club heute. Ich war damals auf der Suche nach einem leichteren Wüstenlauf – nicht gleich 250 km.

      Mohamad und Lahcen hatten damals die zweite Ausgabe ihres Zagora Marathons vorbereitet, und ich hatte das Rennen irgendwo im Internet aufgestöbert. Die Tatsache, dass der Lauf über die klassische Marathondistanz ging, kam mir entgegen. Damals waren Rennen in fernen Ländern noch nicht so professionell gelistet wie heute. Oftmals gab es auch keine eigene Webpräsenz. Mohamad spricht perfekt Deutsch und unterstützte mich in der Planung meiner kleinen privaten Reise nach Zagora, die mich via Casablanca und Quarzazate dorthin führte. Das verbindet. Wir sahen uns ein Jahr später wieder, bei meiner Premiere eines großen Wüstenlaufes, dem Marathon des Sables 2007. Der Kontakt ist nicht abgerissen, vor zwei Jahren kam Mohamad uns sogar besuchen. Wir waren abends mit Aurore Zatopek, Claudi Konowski und Joe Kelbel unterwegs. Gute Leute – guter Abend.

      Riesig gefreut habe ich mich, als sich ein paar Wochen vor dem Start des ISRU (Iranian Silk Road Ultramarathon) im Iran herausstellte, dass Mohamad kurzfristig seinen Start zugesagt hatte. Im Jahr 2016 gab es die Premiere des ISRU. Dieser 250 km lange Lauf entlang der alten persischen Seidenstraße war sowas wie ein Traumziel für mich. Ich hatte mich lange Zeit sehr darauf gefreut, und dass der Wüstenläufer – und ich meine der Wüstenläufer! – auch teilnahm, war für mich wie ein Fest. Er lief und gewann die lange Version mit 250 km. Ich tat es ihm gleich; allerdings auf der 180-km-Variante dieses Rennens, da ich wegen einer Knieverletzung, die ich mir zwei Monate zuvor bei einem Trailwettbewerb in Sri Lanka eingefangen hatte, noch arg gehandicapt war.

      Eins

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