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dass es der Sohn des Satans war? Bist du noch da? Bist du da? Komm zurück zu uns! Da bist du wieder! Du sagst, dass du deinen Sohn liebst. Du bedankst dich bei deinem Sohn.«

      Von einer der hintersten Stuhlreihen war Krach zu hören. Er kam von Britta, der Pflegehelferin, die in Ohnmacht gefallen war. Karin registrierte, dass man sie liegen ließ – ein wenig zu lange. Einige der neben ihr Sitzenden begnügten sich tatsächlich damit, irritiert auf den Boden zu sehen.

      »So helft ihr doch«, rief Einar, der Leichenbestatter, und sprang auf.

      Zwei Frauen sahen sich in stummer Verhandlung an, wer von ihnen sich hinunterbeugen sollte und taten es dann gleichzeitig. Britta wurde in eine sitzende Position gebracht und murmelte etwas Unverständliches. Wenig später war sie wieder so klar, dass Einar sie nach Hause fahren konnte. »Entschuldigung, nur eine Unpässlichkeit, Entschuldigung« wiederholte sie viele Male beim Verlassen des Dorfgemeinschaftshauses.

      Die Ohnmacht hatte die Seancestimmung zerstört und der Heiler-Franz kehrte langsam in die Welt der Lebenden zurück. Er war leicht benebelt, aber das sei ganz normal, wenn man auf halbem Weg ins Reich der Geister gewesen sei, erklärte er.

      Die Leute standen in dem Saal in kleinen Grüppchen zusammen und unterhielten sich mit gedämpften Stimmen: »Tja, tja, was soll man davon halten?«

      »Irgendwann einmal konnte man sich auch kein Handy vorstellen.«

      »Warum sollte nicht etwas dran sein?«

      »Ein Art Energie, die zurückbleibt, wenn man tot ist.«

      »Der Sohn des Satans, das kann doch nur der junge Mann aus der Galerie sein. Hast du seine Internetseite gesehen?«

      »Irgendwo haben sie auch Menschenblut getrunken.«

      »Hast du nicht Rosemary’s Baby gesehen?«

      »In Deutschland hat es einen großen Mordprozess gegen Satanisten gegeben.«

      »Aber sie haben Schwierigkeiten, Leute zu finden, die im Altenheim putzen.«

      Sune Kwium steuerte direkt auf die Journalistin Karin Sommer zu: »Es ist ein Skandal, dass sie in einem Altenheim einen Satanisten beschäftigen, da dürfen Sie mich gerne zitieren. Sie schreiben doch darüber?«

      »Ich glaube nicht. Er putzt dort nur und es ist nicht verboten, Satanist zu sein.«

      »Aber Sie haben doch selbst gehört, dass er meinen Vater schlecht behandelt hat!«

      »Wir zitieren keine Geister in der Zeitung«, antwortete Karin.

      »Dann gehe ich zum ›Ekstra Bladet‹!«, sagte Sune Kwium.

      »Ja, tun Sie das«, antwortete Karin, der Sune Kwium, ohne dass es einen spezieller Grund dafür gab, unsympathisch war. Irgendwo blinkte eine berufliche Warnlampe auf. Die Zeiten hatten sich geändert und der Journalismus mit ihnen. Ihr Redaktionsleiter konnte ruhig stinksauer werden, wenn das »Ekstra Bladet« eine Lokalstory über einen Geist brachte, der einen satanischen Putzmann beschuldigte, einem alten Menschen Leid zugefügt zu haben. Nein, beschloss sie, das war zu fantastisch. Das »Ekstra Bladet« konnte die Story ja bringen, wenn sie wollten.

      Auf dem Nachhauseweg versuchte sie trotzdem, sich eine Verteidigungsstrategie zurechtzulegen:

      »Hast du die Titelseite des ›Ekstra Bladet‹ gesehen, Karin? Warum zum Teufel ist uns die Geschichte durch die Lappen gegangen, obwohl du da draußen warst? Du hättest uns zumindest einen Tipp geben können«, würde Adam Lorentzen bei seinem Anruf sagen.

      »Ich zitiere keine Geister als Quellen!«, würde sie antworten.

      »Selbst die Polizei zieht hin und wieder hellsichtige Personen zu Rate und du weißt, wie beliebt diese Geistersachen zur Zeit sind. Die Leute sind wie besessen davon. Das ist verdammt noch mal eine gute Geschichte«, würde Adam insistieren.

      »Der Meinung bin ich nicht.«

      »Gut, dann setze ich einen anderen darauf an. Ich denke nur, wenn wir dir während deines Urlaubs schon das volle Gehalt zahlen, dann könntest du wenigstens ...«

      Ja, genau so würde die Unterhaltung ablaufen und sie würde wieder einmal als eine alte Querulantin mit ziemlich antiquierten Berufsvorstellungen dastehen. Eine affektierte Ziege, die wie ein rohes Ei behandelt werden musste und die die harten Wettbewerbsbedingungen nicht begriffen hatte, denen die Medien heutzutage unterlagen.

      Sie zählte an den Fingern ab. In vier Jahren konnte sie sich mit dem niedrigsten Satz pensionieren lassen oder in sechs mit dem mittleren. Wartete sie zehn Jahre, würde ihr Alter goldener sein, aber sie riskierte, an Stress und Wut zu sterben, bevor die Pension jemals zur Auszahlung gelangte.

      »Geist beschuldigt Satanisten« – nein, verdammt noch mal, nein, sie würde die Geschichte nicht schreiben.

      Zuhause im Fliederhaus überfielen sie Einsamkeitsgefühle und die Sehnsucht nach einer starken Schulter, sodass sie trotz der späten Stunde ihre Kollegin und Freundin Birgitte anrief.

      »Ob ich mich langweile? Nee, hier gibt es eine Pfarrerin, die sich um Mitternacht ins Leichenhaus schleicht und ein Satanistenpaar, das im Hühnerhaus einen Tempel für Luzifer baut und einen Geist, der dieses Paar der Grausamkeit beschuldigt und eine Frau, die sich sterilisieren lassen hat, nachdem sie sich im Spiegel gesehen hat und einen Geisterbeschwörer mit drei Frauen und eine alte Dame, die sagt, dass die Leute im Altenheim umgebracht werden, einer nach dem anderen, und ...«

      Birgitte lachte schallend.

      »Du spinnst!«

      »Ich übertreibe nicht im Geringsten!«

      »Nein, aber du hast einen ausgeprägten Sinn für das Bizarre.«

      »Ich bin offen – und ziehe offenbar Verrückte an.«

      »Lass dich in nichts Unangenehmes hineinziehen.«

      »Das tue ich nicht. Und mit dem Buch geht es vorwärts.«

      Das nette Gespräch und das Lachen hatten ihr gut getan. Sie schenkte sich einen großen Calvados von Agnes’ bestem ein, ging ins Bett und fand einen TV-Kanal mit einem erträglichen Liebesfilm. Liebe, mein Gott, war das lange her.

      Sie und Thomas hatten nie über Liebe gesprochen. Es hatte spürbar in der Luft gelegen, dass ihr Verhältnis kameradschaftlicher Art war – eine Bürogemeinschaft, die ein heimliches, pikantes Element bekommen hatte. Und sie hatte ihn nie mit den Gefühlen belästigt, die sich unvermeidlich eingestellt hatten. Wären sie gleichaltrig und ihr Verhältnis ausgewogener gewesen, hätte sie die Beziehung schon durch ein scheinbar beiläufiges: »Du, ich könnte mir verdammt gut vorstellen, mich in dich zu verlieben ...«, abgecheckt.

      Doch dann passierten all die furchtbaren Dinge, bei denen sie ihre nächsten Verwandten verlor, und kurz darauf hatte Thomas sein Stipendium für den USA-Aufenthalt bekommen. Sie schrieben einander lustige Briefe und berufsbezogene Briefe. Nicht ein Wort über ihre Beziehung, über Sex oder Liebe. Und es war mindestens einen Monat her, seit er zuletzt geschrieben hatte.

      »Seufz«, sagte sie laut, als der Held und die Heldin sich voller Leidenschaft die Kleider vom Leib rissen.

      Vielleicht sollte sie Thomas morgen eine lustige und unterhaltsame Mail über ihre Erlebnisse auf Skejø schicken.

      Nein, sollte sie nicht. Sie brauchte ihre Energie für das Buch und die paar Interviews, die ihr noch fehlten, um die Artikel für die »Sjaellandsposten« zu schreiben. Und morgen Abend musste sie Agnes abholen und zu einer Veranstaltung des Pensionärvereins bringen.

      »Forget it!«, murmelte sie, bevor sie einschlief.

      Donnerstag, 30. Mai

      Inger-Margrethe Jörgensen, Krankenschwester und Leiterin des Seniorenservicecenters sowie Vorsitzende des Inselvereins, der eifrig versuchte, Skejø zu vermarkten, war allgemein als pflichtbewusste, gesetzestreue und ziemlich fantasielose Frau bekannt. Der Typ, der nie bei Rot über die Straße geht, selbst wenn es zwei Uhr nachts ist und sie

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