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Zweiundzwanzig Bücher über den Gottesstaat, Band 2. Augustinus von Hippo
Читать онлайн.Название Zweiundzwanzig Bücher über den Gottesstaat, Band 2
Год выпуска 0
isbn 9783849659837
Автор произведения Augustinus von Hippo
Жанр Документальная литература
Серия Die Schriften der Kirchenväter
Издательство Bookwire
25. Wahre Glückseligkeit wird dem Menschen im irdischen Leben nicht zuteil.
Wenn wir indes genauer zusehen, lebt nur der Glückselige, wie er will, und ist nur der Gerechte glückselig. Jedoch auch der Gerechte wird erst leben, wie er will, wenn er dorthin gelangt ist, wo er überhaupt nicht sterben, sich irren und zu Schaden kommen kann und überdies die Gewißheit hat, daß es immer so bleibt. Dies verlangt die Natur, und nur die Stillung dieses Verlangens kann sie ganz und vollkommen glückselig machen. Aber wer könnte hienieden leben, wie er will, da doch niemand auch nur zu leben in seiner Gewalt hat? Leben will jeder, und jeder muß sterben. Wie kann da die Rede sein von leben, wie man will, wenn man nicht lebt, solang man will? Und wenn einer sterben will, so kann erst recht nicht von leben, wie man will, die Rede sein; ein solcher will ja überhaupt nicht leben. Sollte er aber nicht aus Überdruß am Leben sterben wollen, sondern aus Sehnsucht nach einem besseren Leben jenseits des Todes, so lebt er also jetzt noch nicht so, wie er will, sondern erst dann, wenn er durch Sterben zu dem gelangt ist, was er will. Aber gut, es lebe einer so, wie er will, nachdem er es über sich gebracht und sich streng auferlegt hat, nicht zu wollen, was er nicht kann, und nur das zu wollen, was er kann[153] sagt: „Da doch nicht geschehen kann, was du willst, so wolle, was du kannst“, so ist ein solcher deshalb noch nicht glückselig, weil er in Geduld unglücklich ist. Ein glückseliges Leben hat man ja nur, wenn man es auch liebt. Liebt man es aber und hat man es, so muß man es mehr als alles andere lieben, weil um seinetwillen alles, was man sonst liebt, liebenswert ist. Liebt man es nun nach Verdienst [und glückselig ist nur, wer das glückselige Leben auch nach Verdienst liebt], so schließt das von selbst das Verlangen in sich, es möge ewig sein. Nur dann also wird es ein glückseliges Leben sein, wenn es ein ewiges sein wird.
26. Der Glückszustand des paradiesischen Daseins hätte es verstattet, den Zeugungsakt ohne beschämendes Verlangen vorzunehmen.
Es lebte also der Mensch im Paradiese so, wie er wollte, solang er wollte, was Gott befohlen hatte; er lebte im Genusse Gottes, und aus diesem Gute floß seine eigene Gutheit; er lebte ohne allen Mangel und hatte es dadurch in seiner Gewalt, immer zu leben. Da gab es Speise, damit ihn nicht hungere, und Getränk, damit ihn nicht dürste, und einen Baum des Lebens, damit ihn nicht das Alter aufreibe. Nichts von Vergänglichkeit in seinem Leibe oder von seinem Leibe ausgehend bereitete irgendwelche Beschwer irgendeinem seiner Sinne. Keine innerliche Krankheit, keinen Angriff von außen hatte man zu befürchten. Das Fleisch erfreute sich höchster Gesundheit, der Geist vollster Ruhe. Wie es im Paradiese weder Hitze gab noch Kälte, so erfuhr im Paradiesesbewohner der gute Wille keine Gefährdung weder von Seiten der Begehrlichkeit noch von Seiten der Furcht. Alles Traurige war völlig ausgeschlossen, aus der Fröhlichkeit alles Nichtige verbannt. Wahre Freude strömte ununterbrochen zu aus Gott, gegen den „die Liebe“ entbrannte „aus reinem Herzen und gutem Gewissen und ungeheucheltem Glauben“[154] , und die Genossenschaft zwischen den Gatten war treu aus reiner Liebe, die Sorgfalt für Geist und Leib einträchtig, die Beobachtung des Gebotes mühelos. Keine Ermüdung verdarb die Feiertagsstimmung, kein Schlaf drängte sich auf wider Willen. So günstig war die ganze Lage, so glücklich der Mensch selbst, daß wir nicht wähnen dürfen, es hätte nur unter dem Fieber der Lust Nachkommenschaft gezeugt werden können; vielmehr würden sich dazu die Zeugungsglieder auf den Wink des Willens angeschickt haben wie die übrigen Glieder zu ihren Verrichtungen, und ohne den verführerischen Anreiz der Begier, mit voller Ruhe des Geistes und des Leibes, ohne Verletzung der Unversehrtheit, hätte sich der Gatte in den Schoß der Gemahlin ergossen[155] . Läßt es sich auch nicht durch Erfahrung beweisen, so ist doch anzunehmen, daß, da ja nicht ungestüme Hitze diese Körperteile regiert, sondern frei herrschender Wille sie in Dienst genommen hätte, wie es nötig gewesen, der männliche Same sich in den Schoß der Gattin damals so gut unbeschadet der leiblichen Unversehrtheit hätte ergießen können, wie jetzt ebenfalls unbeschadet dieser Unversehrtheit aus dem Schoße der Jungfrau der monatliche Fluß sich ergießen kann. Auf demselben Wege hätte ja der eine eingebracht werden können, auf dem der andere abgeht. Denn wie zum Gebären nicht die Geburtswehen den Mutterschoß geöffnet hätten, sondern der Antrieb der Reife, so würde zur Befruchtung und Empfängnis nicht das Begehren der Lust, sondern frei gewollte Ausübung die beiden Naturen verbunden haben. Wir sprechen da von Dingen, die jetzt Gegenstand der Scham sind, und deshalb müssen wir uns, obwohl unser Versuch deren mögliche Beschaffenheit, ehe sie das noch waren, ins Auge faßt, doch aus Schamgefühl Grenzen setzen, um so mehr, als wir von der Rede, über die wir ohnehin nur in unzureichendem Maße verfügen, keine weitere Förderung zu erwarten haben. Denn was hier zur Behandlung steht, sind die, die es hätten inne werden können, selbst nicht inne geworden [die Sünde kam ihnen zuvor, und sie zogen sich die Vertreibung aus dem Paradiese zu, ehe sie sich noch zu dem Werke der Erzeugung von Nachkommenschaft in ruhigem Willensentscheide zusammentaten]; und so steht jetzt erst recht den menschlichen Sinnen, wenn von diesen Dingen die Rede ist, lediglich die Erfahrung stürmischer Lust zu Gebote, nicht aber die Vorstellung gelassenen Wollens. Daher kommt es, daß Scham die Rede hemmt, selbst wenn es dem Nachsinnenden an Gedanken nicht gebräche. Aber dem allmächtigen Gott, dem höchsten und höchst guten Schöpfer aller Naturen, der den guten Willen unterstützt und belohnt, den bösen verläßt und verdammt und den einen wie den andern einzuordnen weiß, gebrach es selbstverständlich nicht an Rat, die festbegrenzte und in seiner Weisheit vorherbestimmte Zahl der Bürger des Gottesstaates aus dem Menschengeschlecht vollzumachen auch nach der Verdammung, indem er diese Bürger nun nicht mehr nach ihrem Verdienst — die gesamte Masse ist ja verdammt worden als in der sündhaften Wurzel enthalten —, sondern durch Gnade auswählt und den Erlösten nicht nur an sich selber, sondern auch an den Nichterlösten vor Augen führt, was er ihnen Großes spendet. Denn aus freier, nicht aus geschuldeter Güte fühlt und bekennt