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ist der Hochmut, womit man selbst bei offenkundigen Sünden zu Entschuldigungen seine Zuflucht nimmt, wie es die ersten Menschen getan haben, das Weib mit den Worten[124] : „Die Schlange hat mich verführt, und ich aß“, und der Mann: „Das Weib, das Du mir beigesellt, sie gab mir von dem Baume, und ich aß“. Kein Wort der Bitte um Verzeihung, kein Wort des Flehens um ein Heilmittel. Stellen sie auch ihre Tat nicht in Abrede wie Kain, so sucht doch der Hochmut immer noch einen Sündenbock für seine Verkehrtheiten: der Hochmut des Weibes die Schlange, der Hochmut des Mannes das Weib. Aber es kommt mehr eine Anklage heraus als eine wirkliche Entschuldigung, wo die Übertretung des göttlichen Gebotes offen zutage liegt. Sie sind doch eben selbst die Täter, wenn auch das Weib auf Zureden der Schlange, der Mann auf Drängen des Weibes die Tat beging, gleich als ob man irgendetwas anderem mehr als Gott glauben oder nachgeben dürfte.

      

       15. Gerecht war die Vergeltung, die den ersten Menschen für ihren Ungehorsam zuteil ward.

      

      Verachtet also ward Gott in seinem Gebote, er, der den Menschen erschaffen, nach seinem Ebenbild ihn gemacht, ihn höher gestellt als die übrigen Lebewesen, im Paradiese ihm die Wohnung angewiesen, ihm die Fülle aller Dinge und des Wohlseins verliehen und ihn nicht etwa mit zahlreichen oder ungeheuerlichen oder schwierigen Geboten beladen, sondern ihm lediglich mit einem ganz einfachen und leichten Gebot unter die Arme gegriffen hatte zu heilsamem Gehorsam, das Geschöpf, dem freiwillige Unterwürfigkeit zum besten gereichen sollte, dadurch erinnernd, daß er der Herr sei. Und so folgte die gerechte Verurteilung auf dem Fuße, und zwar eine Verurteilung dazu, daß der Mensch, der bei Beobachtung des Gebotes auch dem Fleische nach hätte geistig werden sollen, nun selbst dem Geiste nach fleischlich wurde und er, der in seinem Eigendünkel an sich selber Gefallen gefunden hatte, durch Gottes Gerechtigkeit nun auch sich selber überlassen wurde; aber nicht so, daß er in jeder Hinsicht sein eigener Herr sein, sich in voller Gewalt haben sollte, vielmehr so, daß er, zwiespältig in sich selbst, dem verknechtet, mit dem er durch sein Sündigen gleichen Sinnes geworden ist, statt der begehrten Freiheit eine harte und elende Knechtschaft zu leisten hatte, dem Geiste nach freiwillig tot und nun dem Leibe nach wider Willen sterblich, als Verächter des ewigen Lebens nun auch zu ewigem Tode verurteilt, wenn nicht die Gnade erlösend wirkte. Wen diese Strafe zu schwer oder ungerecht dünkt, der weiß eben die Größe der Bosheit nicht zu ermessen, die im Sündigen lag, wo das Meiden der Sünde so leicht gemacht war. Wie Abrahams Gehorsam mit vollem Recht als groß gerühmt wird, weil ihm ein so schwerer Auftrag zuteil ward, nämlich seinen Sohn zu töten[125] , so war im Paradies der Ungehorsam um so größer, als das, was befohlen war, keinerlei Schwierigkeit darbot. Und wie der Gehorsam des zweiten Menschen um so preiswürdiger ist, als er gehorsam ward bis zum Tode[126] , so ist der Ungehorsam des ersten Menschen um so verwerflicher, als er ungehorsam ward bis zum Tode. Denn wo schwere Strafe auf den Ungehorsam gesetzt und vom Schöpfer etwas Leichtes anbefohlen ist, da läßt sich die Größe der Bosheit gar nicht schildern, die darin liegt, in einer leichten Sache dem Gebot einer so erhabenen Macht angesichts einer so furchtbaren Strafe nicht zu gehorchen.

      Übrigens, um es kurz zu sagen, ist in der Strafe für jene Sünde lediglich Ungehorsam mit Ungehorsam vergolten worden. Das ganze Elend des Menschen besteht ja nur in dem Ungehorsam seiner selbst gegen sich selbst: er wollte nicht, was er konnte, und nun will er, was er nicht kann. Freilich konnte er im Paradies vor der Sünde nicht gar alles, aber was er nicht konnte, wollte er auch nicht, und so konnte er in der Tat alles, was er wollte; jetzt aber „ist der Mensch“, wie wir an der Nachkommenschaft Adams sehen und die Heilige Schrift[127] es bezeugt, „der Nichtigkeit gleich geworden“. Unzähliges will er, was er nicht kann, weil er sich selbst nicht gehorcht, d. h. weil seinem Willen sein Geist und das unter diesem stehende Fleisch nicht gehorcht. Wider Willen zumeist regt sich sein Geist auf, leidet und altert und stirbt sein Fleisch und erdulden wir noch eine Reihe von Dingen, die alle wir nicht zu erdulden hätten wider Willen, wenn unserm Willen unsere eigene Natur in jeder Weise und in allen Teilen gehorchte. Man wendet freilich ein, nur der Körper sei Träger des Leidens und dadurch verhindert, seinen Dienst zu versehen[128] . Aber es ist gleichgültig, woher der Aufruhr kommt; die Sache steht eben doch so, daß durch die Gerechtigkeit des allwaltenden Gottes, dem wir nicht in Unterwürfigkeit dienen wollten, unser Fleisch, das unterwürfig war, uns durch Versagung des Dienstes lästig ist, obgleich wir unsererseits durch Versagung unseres Dienstes Gott nicht lästig werden konnten, sondern nur uns. Denn wir bedürfen allerdings des Dienstes unseres Leibes, aber Gott bedarf nicht unseres Dienstes, und deshalb ist, was wir erdulden, eine Strafe für uns, nicht aber, was wir getan, eine Strafe für Gott. Und übrigens sind die sogenannten leiblichen Schmerzen eigentlich Schmerzen der Seele im Leibe und infolge der Leiblichkeit. Der Leib an sich ohne Seele fühlt weder Schmerz noch Begier[129] . Vielmehr ist Träger des Begehrens oder des Leidens, das dem Leibe zugeschrieben wird, entweder der Mensch selbst, wie wir erörtert haben, oder irgendetwas in der Seele, worauf der Zustand des Fleisches einwirkt, der entweder ein widriger ist und dann Schmerz erzeugt, oder ein angenehmer und dann Lust erweckt. Jedoch leiblicher Schmerz ist lediglich Beschwernis der Seele infolge des Fleisches und Widerwille der Seele gegen dessen Leiden, wie Seelenschmerz, den man Traurigkeit nennt, Widerwille ist gegen Dinge, die uns gegen unsern Willen zustoßen. Indes der Traurigkeit geht in der Regel Furcht vorher, die wiederum ihren Sitz in der Seele hat, nicht im Fleische. Dagegen leiblichem Schmerz geht nicht etwas wie leibliche Furcht vorher, die man im Fleische fühlte vor dem Schmerz. Wohl aber geht der Lust eine Art Verlangen vorher, das man im Fleische fühlt sozusagen als dessen Begehren, wie Hunger und Durst und das, was man in geschlechtlichen Dingen Lust [libido] nennt, obgleich dies das Wort für Begierde ganz allgemein ist. Wie denn die Alten[130] auch den Begriff Zorn bestimmt haben als Lust sich zu rächen, obwohl zuweilen der Mensch auch auf leblose Dinge, bei denen doch keine Empfindung für Rache vorhanden ist, einen Zorn hat und etwa im Zorn einen schlecht schreibenden Griffel zerschlägt oder ein Schreibrohr zerbricht. Immerhin ist auch das etwas wie Rachelust, wenn auch eine ziemlich sinnlose, und nach einer Art, wie soll ich sagen, Aftervergeltung sollen dabei die Übeltäter Übles erfahren. Rachelust also ist das, was man Zorn heißt; Lust Geld zu haben, was man Habsucht, Lust um jeden Preis Recht zu behalten, was man Starrköpfigkeit, Lust sich zu rühmen, was man Prahlerei nennt. Und so gibt es viele und mannigfache Lüste, und manche davon haben auch ihren eigenen Namen, andere wieder nicht. Zum Beispiel würde man sich schwer tun, die Herrschlust mit einem Sonderausdruck zu benennen, die aber gleichwohl über tyrannische Gemüter eine verhängnisvolle Macht hat, wofür nichts Geringeres als die Bürgerkriege zeugen.

      

       16. Von dem Übel der Lust, eines Gebrechens, dessen Name zwar Sammelname ist für viele Laster, im besondern aber von den Regungen geschlechtlicher Art in Gebrauch ist.

      

      Es gibt also Lüste nach vielerlei Dingen; wenn jedoch von Lust schlechthin die Rede ist ohne Beifügung eines Gegenstandes, worauf sie sich richtet, so denkt man gewöhnlich nur an die Lust, durch welche die Schamteile aufgeregt werden. Diese Lust aber nimmt nicht nur den ganzen Leib, und zwar nicht äußerlich nur, sondern auch innerlich in Anspruch und regt den ganzen Menschen zumal auf, indem sich mit dem Begehren des Fleisches zugleich eine Gemütsbewegung verbindet und vermischt und so ein Genuß erfolgt, der unter den körperlichen Genüssen obenan steht; in einer Weise, daß in dem Augenblick, wo er seinen Höhepunkt erreicht, fast alles scharfe und umsichtige Denken niedergehalten wird. Aber jeder Freund der Weisheit und heiliger Freuden, der im Ehestande lebt, jedoch nach der Mahnung des Apostels[131] „sein Gefäß in Heiligkeit und Ehren zu besitzen weiß, nicht im Fieber der Begier, wie die Heiden auch, die Gott nicht kennen“, würde lieber, wenn es in seiner Macht stünde, ohne solche Lust Kinder erzeugen, so daß auch bei diesem Geschäft der Nachkommenschaftsgründung die hierfür erschaffenen Glieder in derselben Weise seinem Geiste dienstbar wären wie die übrigen je ihren besonderen Aufgaben dienenden Glieder, also nicht auf Anreizung durch hitzige Lust, sondern in Bewegung gesetzt durch den Wink des Willens. Aber selbst auch wer Freude hat an solchem Genuß, fühlt sich dazu nicht gerade immer dann angeregt, wann er will, gleichviel ob es sich um eheliche

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