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stellten sich die Nackenhaare auf. »Das hätte sicher besser laufen können.« Er setzte ein Pokerface auf. Ihm persönlich mochte es scheißegal sein, ob Dan ihn leiden konnte, aber Terri war ganz vernarrt in ihn. Um ihretwillen würde Graham mit ihm auskommen. Später würde er vielleicht einen Ersatz für Dan finden, damit der nicht mehr für ihn, sondern für Terri arbeiten konnte. »Bist du mit deinem Büro zufrieden?«

      Dan zog offensichtlich überrascht eine Augenbraue hoch. Hatte er etwa erwartet, Graham würde ihm wegen der kalten Dusche den Kopf waschen? »Mehr als das. Und die Aussicht ist fantastisch.«

      »Gut.« Graham schluckte seinen Stolz hinunter und tat, als müsste er sich etwas Wichtiges auf seinem Computerbildschirm ansehen. Die berufliche Notwendigkeit, neue Bekanntschaften zu schließen, war ihm extrem unangenehm. Komplimente waren ein noch trügerischeres Terrain. Und angesichts dessen, wie intim er und Dan fast geworden wären, hatte Graham um so mehr das Bedürfnis, für sich zu sein.

      »Ich habe die Entscheidung des Vierten Berufungsgerichts im Fall Weldon gegen Denton gelesen.« Dan überschlug die Beine und wirkte völlig entspannt. Seine Augen strahlten Wärme und stilles Selbstvertrauen aus. »Großartige Arbeit.«

      »Vielen Dank.« Weldon, ein Fall, der unter den Whistleblower Protection Act fiel, war ein hart erarbeiteter Erfolg. »Wir wählen unsere Fälle sorgsam aus.« Graham war stolz auf seinen Instinkt. Und auf die Fähigkeit seiner Kanzlei, eine faire Ausgleichszahlung für seine Klienten herauszuholen, selbst wenn deren Fall nicht besonders spektakulär war.

      Für ein paar Sekunden herrschte Schweigen. Graham ließ sich nicht dazu herab, es mit belanglosem Small Talk zu füllen. Außerdem brauchte er einen Moment, um die Schmetterlinge in seinem Bauch in den Griff zu bekommen. Er hatte über die Jahre schon mit vielen attraktiven Männern zusammengearbeitet. Warum zum Teufel ging dieser hier ihm so unter die Haut?

      »Terri hat mir erzählt, dass wir aus der gleichen Ecke stammen.« Dan lehnte sich in seinem Stuhl zurück.

      Graham sah ihm in die Augen. Das Bedürfnis, nervös das Gewicht zu verlagern, verging und er eroberte die Kontrolle über das Gespräch zurück. »Oh. Und von wo wäre das?« Er hatte es sich zur Angewohnheit gemacht, nie zu viel über sich selbst preiszugeben. Sogar Terri, die er beim Vorbereitungskurs für die Rechtsanwaltsprüfung kennengelernt hatte, wusste nur das Nötigste. Die Vergangenheit ließ man am besten ruhen.

      »Carletonville. Meine Familie lebt immer noch da draußen.« Dan lachte leise. »Sie gehen immer noch zu allen Footballspielen der Merrill High.«

      Graham ließ sich nicht anmerken, dass ihm bei dem Namen das Herz in die Hose gerutscht war. Sein Nacken fühlte sich kalt und klamm an. »Wie nett«, kommentierte er gleichmütig. »Hast du auch gespielt?«

      »Ja. Aber das ist lange her.« Dan seufzte und schüttelte den Kopf. »In einem anderen Leben.«

      »Verstehe.« Graham warf einen Blick auf seine Armbanduhr. Er musste dieses Gespräch bald beenden, wenn er Haltung bewahren wollte.

      Glücklicherweise nahm Dan den Wink zur Kenntnis und erhob sich. »Ich halte dich wahrscheinlich von etwas Wichtigem ab. Wir können uns sicher später unterhalten.«

      »Meine Assistentin blockt uns morgen früh ein paar Stunden, damit wir die Strategie besprechen können.« Graham lächelte und fügte hinzu: »Schön, dich an Bord zu haben.«

      »Danke nochmals.«

      Graham sah Dan nach und hatte große Mühe, sein Unbehagen zu verbergen. Als Dan die Tür hinter sich schloss, ließ Graham den angehaltenen Atem entweichen. Wie hatte ihm das bisher entgehen können?

      Der unbesiegbare Danny Parker. North Carolina All-State Quarterback des Jahres. Ein Vollstipendium an der Carolina. NCAA All-America Quarterback. Sicherer Kandidat für die Profiliga, bis er sich im letzten Collegejahr das vordere Kreuzband gerissen hatte und Football aufgeben musste.

      Graham dachte, er hätte vergessen, wie es sich anfühlte, im Schlamm zu sitzen, während das halbe Footballteam ihn auslachte, aber da hatte er sich geirrt. Die Erinnerungen kamen mit Macht zurück und brachten den fünfzehn Jahre alten Schmerz und die Erniedrigung mit sich.

      Am Tag darauf hatte Graham das Orchester verlassen. Im Juni heiratete seine Mutter zum zweiten Mal, sie zogen nach Memphis und er nahm den Namen seines Stiefvaters an. Im letzten Collegejahr wuchs er fast zwanzig Zentimeter und ließ die Highschool und seine Vergangenheit als Pummelchen hinter sich. Am College stellte sich heraus, dass er gar kein Asthma hatte – er war nur allergisch gegen den Schimmel in ihrer Wohnung in Carletonville gewesen. Er begann mit Krafttraining, sein Zimmergenosse zeigte ihm, wie man Racquetball spielte, und er joggte regelmäßig. So brachte er sich in Form. Dann imitierte er den Kleidungsstil der beliebten Studenten, wurde an einer großartigen Jurafakultät angenommen und sah nie wieder zurück.

      Jimmy Zebulon, der pummelige Junge mit dem pickelübersäten Gesicht, hatte Carletonville vor fünfzehn Jahren verlassen und war nie zurückgekehrt. Jimmy hatte sich ein neues Leben aufgebaut und die Erinnerungen und die Schande aus seinem Gedächtnis verbannt. Es war ihm prächtig ergangen.

      Bis jetzt.

      Dieses Kind bist du nicht mehr. Dieser Junge würde er nie wieder sein. Er würde es klaglos durchstehen und seinen Job machen. Wie er es von den Leuten erwartete, die er einstellte. Falls Dan Parker so gut war, wie Terri behauptete, würde er kein Problem damit haben, mit ihm zusammenzuarbeiten. Dan musste nie von dem erbärmlichen Jungen erfahren, der Danny für etwas Besonderes gehalten hatte. Denn Daniel Parker war nichts Besonderes. Er war nur ein weiterer Highschoolsuperstar, aus dem ein ganz normaler Kerl mit einem ganz normalen Job geworden war.

      Genauso normal wie der Rest von uns.

      Graham griff nach der Wasserflasche auf seinem Schreibtisch und trank sie mit ein paar Schlucken halb aus. Entspann dich. Denk nicht mehr dran. Trotzdem zitterten seine Hände.

      Verdammt. Nicht nur waren er und Dan fast miteinander im Bett gelandet – er hatte gerade den Typen eingestellt, der im Mittelpunkt des schlimmsten Jahres seines Lebens gestanden hatte! Das war das Jahr gewesen, in dem er festgestellt hatte, dass er schwul war. In dem er sich zum ersten Mal verliebt hatte. Und das er gerade erst begonnen hatte, aus seinem Gedächtnis zu löschen.

      Das Jahr, in dem James Graham Zebulon aufgehört hatte zu existieren und in dem J. Graham Swann geboren worden war.

      Kapitel 5

      Dan atmete tief durch und klopfte an Grahams Tür. Nach dem lausigen Eindruck, den er am Vortag durch seine Verspätung hinterlassen hatte, hatte er ehrlich nicht erwartet, dass Graham ihm einen warmherzigen Empfang bereiten würde. Mit Grahams kaltem, äußerst beherrschtem Auftreten hatte er trotzdem nicht gerechnet. Er hatte angenommen, ein Freund von Terri wäre genau so offen und herzlich wie sie.

      »Komm rein.« Grahams befehlsgewohnte Baritonstimme klang geschäftsmäßig.

      Statt dass Graham langsam auftaute, wie Terri versprochen hatte, erinnerte sein Benehmen eher an einen Winter in Minnesota. Dans Eindruck von Grahams Büro war derselbe wie am Tag zuvor: Supermans Festung der Einsamkeit, ausgestattet mit Leder und Chrom. Niveauvoll, ohne etwas über Graham preiszugeben. Auf dem Schreibtisch standen keine Familienfotos. Nichts, was auch nur im Entferntesten persönlich war. Sogar die Kunstwerke an den Wänden wirkten kalt.

      Graham sah auch gut genug aus, um Superman spielen zu können. Und was für einen Unterschied macht das? Dan hatte niemals vorgehabt, sich mit dem Chef einzulassen. Und nachdem er Graham auf dem Parkdeck hängen gelassen hatte, würde es zu dem, wozu es vielleicht gekommen wäre, todsicher nicht mehr kommen.

      »Findet unsere Besprechung immer noch statt?« Dan trat ein.

      »Warum sollte sie das nicht?« Abgesehen von der hochgezogenen Augenbraue war Grahams Gesicht ausdruckslos.

      So viel zum Thema, einem den Einstieg zu erleichtern. Dan bedachte Graham mit einem Lächeln, das nicht erwidert wurde. Erfahren, wie er war, brauchte er keine Streicheleinheiten. Mit Anwälten wie Graham hatte er

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