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Graham wappnete sich innerlich für den wohl bevorstehenden Small Talk – übliche Themen waren die Hitze oder das letzte Rennen des anderen –, doch umsonst. Stattdessen grinste 247 ihn nur an und lief einfach weiter hinter ihm her. Er hielt einen angenehmen Abstand, was Graham zu schätzen wusste.

      Als sie sich der Zwölf-Meilen-Markierung näherten, stolperte die Frau, die ungefähr eine Viertelmeile vor ihnen gelaufen war.

      Graham sah sich nach einem freiwilligen Helfer für die Frau um, doch es war keiner in Sichtweite. 247 legte einen Sprint hin, der Graham in Atemnot brachte. Hatte er die ganze Zeit vorgehabt, Graham hinter sich zu lassen? Aber statt weiterzulaufen und einen Freiwilligen aufzutreiben, rannte 247 zu der Frau und kniete sich neben ihr hin.

      So schnell, wie 247 gelaufen war, hätte er wahrscheinlich einen Medaillenplatz in ihrer Altersgruppe errungen. Dass jemand nur ein paar Meilen vor der Ziellinie anhielt, kam so gut wie nie vor.

      »Alles in Ordnung?«, erkundigte sich 247. »Können Sie aufstehen?«

      Die Frau schüttelte den Kopf und zuckte zusammen, als sie sich den Knöchel rieb.

      »Da vorne muss es einen Helfer geben«, sagte 247 zu Graham. »Ich bleibe bei ihr. Würden Sie Bescheid sagen, damit ihr jemand zu Hilfe kommt?«

      »Ich… Ja, sicher.« 247 blieb bei ihr? Dadurch verlor er jede Chance auf einen Rang.

      Nicht mein Problem. Trotzdem bewunderte Graham den Kerl. Die meisten Teilnehmer an dieser Art von Wettbewerb nahmen den Wettkampf sehr ernst. Und so fit, wie 247 war…

      »Danke!«, rief ihm 247 hinterher, als Graham die beiden hinter sich ließ.

      Eine halbe Meile weiter die Straße hinunter winkte Graham einen freiwilligen Helfer heran und erklärte ihm die Situation. Und sogar noch während des Endspurts dachte er an 247.

      Eine halbe Stunde später setzte er sich an die Ziellinie und verschlang einen faden Bagel und eine Banane, die er sich von einem der Tische mit Erfrischungen geschnappt hatte. Beides schmeckte erstaunlich gut, allerdings hatte er vor dem Wettkampf auch nicht viel runterbekommen. Die Banane war fast aufgegessen, als 247 die elektronische Ziellinie überquerte. Er musste Graham erspäht haben, denn er nickte und lächelte ihm zu, bevor er zu einem älteren Mann hinüber joggte, der ihn mit einem High Five und einer festen Umarmung begrüßte. Die große Ähnlichkeit ließ vermuten, dass es sich um seinen Vater handelte.

      247 schob sich die Sonnenbrille auf den Kopf, und Graham erhaschte einen Blick auf seine außergewöhnlich blauen Augen. Zu seiner Überraschung überkam ihn das starke Gefühl eines Déjà-vus. Waren sie sich schon einmal begegnet? Graham überlegte, kam jedoch nicht darauf, ob er ihn von einem anderen Wettkampf kannte.

      Nein. Du würdest dich an ihn erinnern.

      In dem Moment stieß eine Läuferin mit ihm zusammen.

      »Tut mir leid.« Sie lächelte ihn an.

      »Macht nichts.« Graham warf einen Blick zur Ziellinie, doch 247 war in einer Gruppe von Gratulanten verschwunden.

      Die Frau zögerte für einen Moment, als wollte sie noch etwas sagen, änderte dann aber ihre Meinung und ging weiter. Graham seufzte erleichtert auf. Er hatte sich noch nie wohlgefühlt, wenn ihm eine Frau – oder ein Mann – Aufmerksamkeit entgegenbrachte, und war froh, dass er sich keine Ausflüchte einfallen lassen musste, um einer Unterhaltung aus dem Weg zu gehen.

      Einige Zuschauer brachen in Jubel aus und schwenkten Kuhglocken, als ein paar weitere Läufer ins Ziel kamen. Zeit zu gehen. Graham bahnte sich einen Weg zur Übergangszone, in Gedanken bei 247 und der Frage, wie dessen volle Lippen schmecken mochten. Bei der Vorstellung wurde es eng in seiner Hose, sodass Graham tief durchatmete.

      Nachdem er sich frisch gemacht hatte, würde er das Rad verladen, in Terris Haus eine Dusche nehmen und sich vor der After-Race-Party in der Innenstadt von Wilmington kurz hinlegen. Mit ein bisschen Glück würde 247 sich dort blicken lassen.

      Kapitel 2

      »Dritter Platz in meiner Altersgruppe«, berichtete Graham. Terri hatte angerufen, als er sich gerade an einem der Tische niedergelassen hatte.

      »Toll«, rief sie durch den Lautsprecher. »Hab ich's doch gewusst. Du musstest nur hart genug trainieren, damit du auf dem Treppchen landest.«

      »Danke. Ich wäre als Vierter ins Ziel gekommen, wenn der Typ vor mir nicht angehalten und jemandem geholfen hätte.« Graham beschwor das Bild von 247s Oberschenkeln herauf und wie sie sich angespannt hatten, als er sich neben der verletzten Läuferin hingekniet hatte. Schnell sah er sich im Zimmer um. 247 war nicht aufgetaucht.

      »Deshalb ist es nicht weniger beeindruckend«, versicherte ihm Terri. »Du nimmst erst seit ein paar Jahren an Wettkämpfen teil. Dafür wäre der vierte Platz immer noch erstaunlich gut gewesen. Wann fährst du zurück nach Raleigh?«

      »Morgen irgendwann.«

      »Darüber haben wir doch gesprochen, Graham. Du solltest ein bisschen länger bleiben. Das Haus ist die ganze Woche nicht belegt, und du hast seit mehr als einem Jahr keinen Tag freigenommen.«

      »Die Frischlinge fangen am Montag an«, entgegnete er. »So sehr es mir auch widerstrebt, ich muss da sein und sie in der Firma willkommen heißen. Ich meine, mich erinnern zu können, dass du mir eine Standpauke gehalten hast, weil ich dies das letztes Mal nicht gemacht habe.«

      »Mir kommen gleich die Tränen«, erwiderte sie. »Endlich hörst du mal auf mich.«

      »Als ob.«

      »Trotzdem, du hast Urlaub nötig. Sie würden sich bestimmt genauso freuen, wenn du sie nächste Wo…«

      »Danke, dass du den Kühlschrank vollgepackt hast«, unterbrach er sie.

      Sie seufzte theatralisch. »Gern geschehen. Denk bitte dran, den Rest mit nach Hause zu nehmen, damit Mrs. Martin nicht das ganze Haus dekontaminieren muss.«

      »Verstanden. Keine Dekontamination.«

      Irgendwo in der Nähe lachte jemand laut auf. »Ich mach mal Schluss. Freibier und Pizza warten und ich bin am Verhungern.«

      Sie seufzte. »Geh schon. Und hab zur Abwechslung mal ein bisschen Spaß.«

      »Werd ich haben.« Wahrscheinlich eher nicht. Normalerweise schnappte er sich ein paar Stücke durchgeweichter Pizza, spülte sie mit einigen Flaschen Bier hinunter und machte sich wieder auf den Heimweg.

      »Wir sehen uns am Montag«, verabschiedete sich Terri.

      »Bis dann.« Er beendete den Anruf und legte das Handy auf den Tisch.

      »Ist der Platz schon besetzt?«

      Graham war es am liebsten, wenn er so wenig wie möglich mit anderen Leuten zu tun hatte. Deshalb überlegte er sich eine Entschuldigung, die seinen schnellen Aufbruch erklären würde. »Eigentlich…«

      Er sah auf und erstarrte. 247 lächelte auf ihn hinunter.

      Grahams Puls raste los wie ein Läufer an der Startlinie. »Jetzt schon.« Er deutete auf den Stuhl neben sich und gab sein Bestes, damit man ihm nicht ansah, wie glücklich er darüber war, den Typen wiederzusehen – er hatte schon vor Jahren gelernt, dass es immer am besten war, wenn man sich cool gab.

      247 setzte sich und hob die Bierflasche, die er in der Hand hielt. Graham stieß mit seiner eigenen an.

      »Auf ein großartiges Rennen«, bemerkte 247.

      »Auf ein großartiges Rennen.«

      »Ich bin Dan.« 247 reichte ihm die Hand. Sein Handschlag war warm, fest und dauerte gerade lang genug, um Graham wissen zu lassen, dass Dan ebenfalls interessiert war.

      »Graham.«

      »Schön, dich endlich kennenzulernen.« Dans Lächeln wirkte warm und einladend. Fast vertraut.

      »Finde ich auch.«

      Dan nahm einen

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