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ge­knickt und ihre Stäm­me ge­krümmt, so­dass sie ihr Laub­werk wie ein Vor­dach zur Sei­te hän­gen lies­sen.

      Die­se Art Park war rechts und links von zwei aus mäch­ti­gen Pap­peln be­ste­hen­den Al­leen ein­ge­säumt; man nann­te sie im Dia­lekt der Nor­man­die »les peup­les«, wo­her auch der Name des Schlos­ses stamm­te. Sie trenn­ten die Woh­nun­gen der dort hau­sen­den bei­den Päch­ter­fa­mi­li­en Couil­lard und Mar­tin von­ein­an­der.

      Jen­seits die­ses Parks lag eine ge­räu­mi­ge un­be­bau­te Flä­che, in de­ren Ried­gras Tag und Nacht der See­wind spiel­te. Dann stieg plötz­lich die Küs­te auf, eine Hü­gel­ket­te von etwa hun­dert Me­ter Höhe, steil und kahl, de­ren Fuss von den Wo­gen des Mee­res um­spült wur­de.

      Jo­han­na be­merk­te ganz in der Fer­ne den lan­gen, glän­zen­den Strei­fen des Was­sers, wel­ches bei dem sanf­ten Mond­licht zu schlum­mern schi­en. In die­ser er­qui­cken­den Fri­sche der Nacht spür­te man dop­pelt den wür­zi­gen Hauch der Blü­ten und Kräu­ter. Der durch­drin­gen­de Duft des Jas­mins, wel­cher an den Fens­tern des Erd­ge­schos­ses rank­te, misch­te sich mit dem leich­ten Ge­ru­che des durch den gest­ri­gen Re­gen neu­er­quick­ten Lau­bes. Ein leich­ter Luft­zug trug von fern her die sal­zi­ge Aus­düns­tung des Mee­res und des See­gra­ses her­über.

      Das jun­ge Mäd­chen sog mit Won­ne die er­qui­cken­de Luft ein; die Ruhe der Na­tur wirk­te auf sie wie ein er­fri­schen­des Bad.

      Alle Tie­re, die mit dem Ein­bruch der Nacht zum Le­ben er­wa­chen und ihr Da­sein un­ter ih­rem Schut­ze fris­ten, er­füll­ten das stil­le Halb­dun­kel mit ih­rer ge­räusch­lo­sen Tä­tig­keit. Gro­ße Vö­gel, de­ren Schat­ten weit­hin auf die Erde fie­len, flo­gen ohne einen Schrei wie dunkle Fle­cken durch die Luft. Das Sum­men un­sicht­ba­rer In­sek­ten klang an Jo­han­nas Ohr; leich­tes Ra­scheln er­tön­te in dem dich­ten Gra­se oder auf dem San­de der ein­sam da­lie­gen­den Park­we­ge.

      Nur hin und wie­der ließ eine Krö­te ih­ren me­lan­cho­li­schen ein­för­mi­gen kur­z­en Ruf ver­neh­men.

      Jo­han­na fühl­te, wie ihr das Herz auf­ging, wie das stil­le ge­räusch­lo­se Le­ben die­ser Nacht in dem­sel­ben tau­send Be­gier­den er­weck­te. Der ei­gen­tüm­li­che Reiz die­ser schlum­mern­den und doch so be­leb­ten Na­tur um­fass­te alle ihre Sin­ne. Sie glaub­te über­mensch­li­che Lau­te zu ver­neh­men, sie hör­te ein Stam­meln von un­er­reich­ba­ren Wün­schen, das Rau­schen ei­nes un­be­kann­ten Glückes. Sie be­gann von Lie­be zu träu­men.

      Lie­be! Seit zwei Jah­ren hat­te sie mit stei­gen­der Furcht de­ren Na­hen ge­scheut. Jetzt hat­te sie das Recht zu lie­ben; sie brauch­te ihr nur zu be­geg­nen, die Lie­be.

      Wie wür­de »er« be­schaf­fen sein? Noch wuss­te sie es nicht recht und woll­te es auch ei­gent­lich nicht wis­sen. Er wür­de eben »er« sein. Das ge­nüg­te zu­nächst.

      Sie wuss­te nur, dass sie den­sel­ben von gan­zem Her­zen ver­eh­ren, dass sie ihm mit gan­zer See­le an­ge­hö­ren wür­de. Sie wür­den in Näch­ten wie die­se, beim Glanz der Ster­ne, zu­sam­men lust­wan­deln. Sie wür­den Hand in Hand, fest an­ein­an­der ge­schmiegt, da­hin­ge­hen, wür­den das Klop­fen ih­res Her­zens hö­ren, die Wär­me ih­res Kör­pers spü­ren, ihre zärt­li­chen Ge­füh­le mit den lieb­li­chen Düf­ten die­ser Nacht ver­schmel­zen und sich ganz dem won­ni­gen Ge­füh­le hin­ge­ben, eins zu sein in ih­rem Den­ken und Füh­len.

      Und das wür­de so fort und fort ge­hen in dem Rau­sche ei­ner un­zer­stör­ba­ren Lie­be.

      Plötz­lich schi­en es ihr, als ob sie »ihn« drü­ben be­merk­te; ein un­er­klär­li­cher wol­lüs­ti­ger Schau­er durch­rie­sel­te sie vom Kopf bis zu den Füs­sen. Sie press­te un­will­kür­lich die Hän­de ge­gen die Brust, wie um das Traum­bild zu um­fan­gen. Es war ihr, als be­rühr­te ihre Lip­pen, die sie dem Un­be­kann­ten ent­ge­gen streck­te, et­was, was sie fast in Ohn­macht sin­ken mach­te; als habe der Früh­lings­hauch ihr einen Lie­bes­kuss ge­ge­ben.

      Wirk­lich ver­nahm sie jetzt Schrit­te da un­ten hin­ter dem Schlos­se auf der Stras­se. Bei der ei­gen­tüm­li­chen see­li­schen Ver­fas­sung, in der sie sich be­fand und die sie an et­was Un­mög­li­ches, an einen über­na­tür­li­chen Zu­fall, an eine hö­he­re Fü­gung, kurz an ir­gen­det­was recht ro­man­ti­sches glau­ben ließ, dach­te sie bei sich: »Wenn er das wäre?« Ängst­lich lausch­te sie auf die Schrit­te des nächt­li­chen Wan­de­rers, fast über­zeugt, dass er im nächs­ten Au­gen­blick am Tore läu­ten und um Gast­freund­schaft bit­ten wer­de.

      Als die Schrit­te ver­hall­ten, wur­de sie trau­rig wie nach ei­ner her­ben Ent­täu­schung. Dann aber sah sie das Tö­rich­te ih­rer Hoff­nun­gen ein und lach­te über ihre wahn­wit­zi­ge Fan­ta­sie.

      Nun ließ sie, et­was be­ru­hig­ter, ih­ren Geist in na­tür­li­che­re Fer­nen schwei­fen; sie such­te ihre Zu­kunft zu er­for­schen und sich ihr fer­ne­res Le­ben aus­zu­ma­len.

      Hier wür­de sie also mit »ihm« le­ben, hier in die­sem stil­len Schloss am Mee­re. Je­den­falls wür­den sie zwei Kin­der ha­ben, einen Jun­gen für ihn, ein Mäd­chen für sie. Sie sah die­sel­ben im Gra­se spie­len zwi­schen der Pla­ta­ne und der Lin­de, wäh­rend Va­ter und Mut­ter ih­nen mit sorg­li­chen Au­gen folg­ten, was sie nicht hin­der­te, da­bei sich selbst zu­wei­len mit zärt­li­chen Bli­cken an­zu­schau­en.

      Lan­ge, end­los lan­ge, träum­te sie so fort, wäh­rend der Mond das Ende sei­ner Bahn er­reich­te und lang­sam ins Meer un­ter­zut­au­chen be­gann. Die Luft wur­de fri­scher. Im Os­ten bleich­te der Ho­ri­zont. Rechts auf der Farm kräh­te ein Hahn; von der an­de­ren Sei­te er­hielt er Ant­wort. Durch die Wän­de des Stal­les ge­dämpft schie­nen ihre Stim­men von sehr weit her zu kom­men. An dem un­er­mess­li­chen Him­mels­do­me, der sich im­mer mehr er­hell­te, ver­lösch­ten die Ster­ne.

      Der Ruf ei­nes Vo­gels er­schall­te. Ein Zwit­schern, an­fangs schwach und ängst­lich, drang aus dem Ge­büsch; dann wur­de es lau­ter, zu­ver­sicht­li­cher freu­di­ger, und end­lich klang es ju­belnd wei­ter von Baum zu Baum, von Strauch zu Strauch.

      Jo­han­na sah sich plötz­lich von strah­len­der Hel­le um­ge­ben; und als sie das Haupt hob, das bis da zwi­schen ih­ren Hän­den ge­ruht hat­te, schloss sie die Au­gen, ge­blen­det vom Wi­der­schein der Mor­gen­rö­te.

      Ein pur­pur­far­be­nes Wol­ken­ge­bir­ge, zum Teil noch hin­ter der großen Pap­pel-Al­lee ver­steckt, warf blu­tig­ro­te Licht­strei­fen auf die wie­der­er­wach­te Erde.

      Und lang­sam die Wol­ken tei­lend, die Bäu­me, die Wie­sen, den Ozean, den gan­zen Ho­ri­zont end­lich mit feu­ri­gem Lich­te über­flu­tend, ging der flam­men­de Son­nen­ball auf.

      Jo­han­na war wie vom Glück be­rauscht.

      Eine kin­di­sche Freu­de, eine zärt­li­che Be­wun­de­rung der herr­li­chen Na­tur durch­drang ihr Herz. Das war ihre Son­ne, ihr Mor­gen­rot! Der An­fang ih­res Le­bens! Das Er­ste­hen ih­rer Hoff­nun­gen! Sie brei­te­te ihre Arme ge­gen den Ho­ri­zont aus, als woll­te sie die Son­ne um­ar­men; sie woll­te spre­chen, ir­gen­det­was ru­fen, was eben­so er­ha­ben war, wie die­ser An­bruch des Ta­ges. Aber sie blieb wort­los, wie ge­bannt in ohn­mäch­ti­ger Be­geis­te­rung. Dann ver­hüll­te sie ihr Ant­litz mit den Hän­den, und Trä­nen, süs­se Trä­nen

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