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mit Obst­bäu­men be­pflanz­ten Hof ge­trennt. Die­ser Weg, der so­ge­nann­te Sei­ten­weg, führ­te zwi­schen Bau­ern­häu­sern hin­durch und er­reich­te eine hal­be Mei­le wei­ter die große Stras­se von Fe­camp nach Ha­vre. Eine schnur­ge­ra­de Al­lee führ­te von dem höl­zer­nen Git­ter bis zur Ram­pe des Schlos­ses. Die Wirt­schafts­ge­bäu­de, klei­ne Häu­ser aus Feld­stein, la­gen zu bei­den Sei­ten des Ho­fes längs der Grä­ben, wel­che die zwei Pacht­hö­fe von­ein­an­der trenn­ten.

      Man hat­te die Dä­cher er­neu­ert, alle Schä­den aus­ge­bes­sert, die Mau­ern ge­flickt, Zim­mer neu ta­pe­ziert, das gan­ze In­ne­re des Schlos­ses von oben bis un­ten frisch an­ge­stri­chen. Das alte fins­te­re Ge­bäu­de hat­te an al­len Fens­tern wei­ße Blend­la­den er­hal­ten, die von wei­tem wie große Fle­cken aus­sa­hen; die große graue Faça­de war frisch ge­tüncht.

      Von der an­de­ren Sei­te aus, wo­hin auch ein Fens­ter von Jo­han­nas Zim­mer ging, sah man über das Bos­quet und die le­ben­di­ge Mau­er der ge­knick­ten Ul­men hin­weg auf das Meer.

      Jo­han­na und der Baron gin­gen Arm in Arm und sa­hen sich al­les an; auch der kleins­te Win­kel blieb nicht un­be­ach­tet. Dann wan­del­ten sie lang­sam in den lan­gen Pap­pel-Al­leen her­um, die den so­ge­nann­ten Park be­grenz­ten. Über­all brei­te­te sich un­ter den Bäu­men der üp­pig wu­chern­de Gras­tep­pich aus. Jo­han­na war ent­zückt, als sie jetzt die ver­schlun­ge­nen Pfa­de des dicht­be­laub­ten Bos­quets be­tra­ten. Ein plötz­lich auf­sprin­gen­der Hase ent­lock­te ihr un­will­kür­lich einen klei­nen Schre­ckens­schrei; dann aber schau­te sie ihm be­lus­tigt nach, wie er in großen Sät­zen durch das Ried­gras der Hü­gel­ket­te zu­eil­te.

      Nach dem Früh­stück er­klär­te Ma­da­me Ade­laï­de, dass sie noch sehr er­schöpft sei und sich noch aus­ru­hen müs­se. Der Baron schlug da­her Jo­han­na einen Spa­zier­gang nach Yport vor.

      Sie hat­ten bald das Dörf­chen Etou­ve­nt er­reicht, und die Land­leu­te, die ih­nen be­geg­ne­ten, grüss­ten sie wie alte Be­kann­te.

      Jetzt be­tra­ten sie die Ge­höl­ze, wel­che sich, den Win­dun­gen ei­nes lang­sam ab­stei­gen­den Ta­les fol­gend, bis zur Küs­te hin­zie­hen.

      Nach kur­z­er Zeit wa­ren sie bei Yport an­ge­langt. Ei­ni­ge Frau­en, die an der Türe ih­rer Woh­nun­gen sas­sen und Klei­dungs­stücke flick­ten, schau­ten ih­nen neu­gie­rig nach. Längs der ab­wärts füh­ren­den Stras­se floss ein klei­ner Bach. Zahl­rei­che Schmutz­hau­fen be­deck­ten den Bo­den; sie ström­ten einen kräf­ti­gen Ge­ruch aus, und die klei­nen Was­ser­tüm­pel, wel­che vor den Tü­ren der rau­chi­gen Häu­ser in der Son­ne trock­ne­ten, ver­ei­nig­ten ih­ren Dunst mit dem, der aus dem In­nern der dicht­be­wohn­ten Räu­me drang.

      Ei­ni­ge Tau­ben such­ten am Ran­de des Ba­ches nach Nah­rung.

      Jo­han­na be­trach­te­te al­les mit Neu­gier; es kam ihr vor wie die De­ko­ra­ti­on ei­nes Thea­ter­stückes.

      Plötz­lich, als sie um eine Mau­er her­um­ka­men, lag das Meer vor ihr mit sei­nem ru­hi­gen tie­fen Blau so­weit das Auge reich­te.

      Sie blie­ben ste­hen und be­trach­te­ten das ent­zücken­de Schau­spiel. In der Fer­ne tauch­ten ei­ni­ge Se­gel auf, weiß wie die Flü­gel ei­ner Möve. Rechts und links sah man die enor­men Fel­sen der Küs­te. Auf der einen Sei­te wur­de der Blick durch eine Art Vor­ge­bir­ge ge­hemmt, wäh­rend auf der an­de­ren Sei­te die Küs­te sich end­los aus­dehn­te, bis man nur noch einen schma­len lan­gen Strei­fen er­blick­te.

      Ein Ha­fen und ei­ni­ge Häu­ser wur­den in ei­ner der nächs­ten Aus­buch­tun­gen sicht­bar; leich­te klei­ne Wel­len bra­chen sich am Ge­sta­de und um­ga­ben das Meer mit ei­nem schau­mi­gen wei­ßen Sau­me.

      Fi­scher­bar­ken ruh­ten seit­wärts um­ge­stülpt auf den run­den Kie­seln des Stran­des; ihr mit grün­li­chem Moo­se be­deck­ter Kiel trock­ne­te in der Son­ne. Ei­ni­ge Fi­scher wa­ren mit der Her­rich­tung für die Zeit der abend­li­chen Flut be­schäf­tigt.

      Ei­ner der­sel­ben nä­her­te sich ih­nen und bot Fi­sche zum Ver­kauf an. Jo­han­na nahm eine Gold­but­te, wel­che sie selbst nach Peup­les zu­rück­brin­gen woll­te.

      Der Mann bot ih­nen dann noch sei­ne Diens­te für et­wai­ge Boots­fahr­ten an, in­dem er wie­der­holt sei­nen Na­men nann­te, da­mit sie ihn ja nicht ver­ges­sen möch­ten:

      »Las­ti­que, Jo­se­phin Las­ti­que.«

      Der Baron ver­sprach, an ihn zu den­ken.

      Dann schlu­gen sie wie­der den Weg zum Schlos­se ein.

      Da das Tra­gen des star­ken Fi­sches Jo­han­na er­mü­de­te, so scho­ben sie den Stock ih­res Va­ters durch sei­ne Kie­men und fass­ten je­der ein Ende des­sel­ben an. Ver­gnügt und hei­ter plau­dernd wie zwei Kin­der stie­gen sie den Weg nach Etou­ve­nt hin­an. Der leich­te See­wind um­spiel­te ihre Stir­nen, wäh­rend der Fisch, an dem sie ge­hö­rig zu tra­gen hat­ten, mit sei­nem fet­ten Schwan­ze hin und her schwank­te.

      *

      Ein herr­li­ches frei­es Le­ben hat­te jetzt für Jo­han­na be­gon­nen. Sie las, träum­te und trieb sich ganz al­lein in der Um­ge­gend her­um. Bald wan­del­te sie lang­sa­men Schrit­tes traum­ver­lo­ren längs der Stras­se, bald hüpf­te sie wie ein jun­ges Reh durch die zahl­rei­chen klei­nen wildro­man­ti­schen Tä­ler. Der star­ke wür­zi­ge Duft, den die Blu­men im Gra­se aus­ström­ten, war ihr der liebs­te Par­fum, und stun­den­lang lausch­te sie, von den­sel­ben um­ge­ben, dem ein­schlä­fern­den Geräusch der in der Fer­ne rol­len­den Bran­dung.

      Zu­wei­len, wenn sie bei der Bie­gung ei­nes Ta­les plötz­lich am Ran­de des grü­nen Ra­sen­strei­fens den bläu­li­chen Schim­mer des Mee­res be­merk­te, über wel­ches sich ein leich­ter Dunst­schlei­er la­ger­te, kam es über sie wie die Hoff­nung auf das Na­hen ir­gend ei­nes ge­heim­nis­vol­len Glückes.

      Sie lieb­te die Ein­sam­keit in die­ser süs­sen er­qui­cken­den Fri­sche der Land­luft mit ih­rer ma­je­stä­ti­schen Ruhe. Oft sass sie so lan­ge auf dem Gip­fel ei­nes Hü­gels, dass die Ka­nin­chen ihre Furcht ver­gas­sen und sich lus­tig zu ih­ren Füs­sen tum­mel­ten.

      Dann eil­te sie wie­der wie von ei­nem leicht­be­schwing­ten Lüft­chen ge­tra­gen an die Küs­te. Gleich den Fi­schen im Was­ser und den Schwal­ben in der Luft ge­noss sie in vol­len Zü­gen die Freu­de der frei­en Be­we­gung.

      Über­all brach­te sie klei­ne Erin­ne­rungs­zei­chen an, je­ner Art von Erin­ne­run­gen, die bis zum Tode fest­wur­zeln. Es war ihr, als ver­steck­te sie ein Teil­chen ih­res ei­ge­nen Her­zens an all’ den ver­bor­ge­nen Plätz­chen die­ser stil­len Tä­ler.

      Mit Lei­den­schaft ba­de­te sie in der See; kräf­tig und mu­tig wie sie war, dach­te sie an kei­ne Furcht und tauch­te häu­fig tief un­ter. Das kla­re blaue Was­ser, wel­ches sie schau­kelnd auf sei­nem Rücken trug, tat ihr mit sei­ner er­qui­cken­den Fri­sche un­end­lich wohl. War sie weit ge­nug vom Ufer, so leg­te sie sich auf den Rücken, kreuz­te die Arme über der Brust und starr­te traum­ver­lo­ren zum azur­far­be­nen Him­mel em­por, an dem pfeil­schnell die Schwal­ben oder wei­ße Mö­ven vor­über­schos­sen. Nur von Wei­tem hör­te sie das Mur­meln der

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