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      Er kam ge­ra­de, als man eine Gar­ten­bank be­sich­tig­te, die am Mor­gen un­ter der großen Pla­ta­ne ge­gen­über den Fens­tern des Sa­lons auf­ge­stellt war. Der Baron mein­te, dass man eine ähn­li­che un­ter der Lin­de, der Gleich­heit we­gen, auf­stel­len müs­se; aber sei­ne Frau, der alle Sym­me­trie ver­hasst war, woll­te das nicht zu­ge­ben. Der Vi­com­te, um sei­ne An­sicht be­fragt, stell­te sich auf Sei­te der Baro­nin.

      Hier­auf sprach er von der Um­ge­gend, die er sehr »pit­to­resk« nann­te; er habe bei sei­nen ein­sa­men Spa­zier­gän­gen schon ganz herr­li­che »Sze­ne­ri­en« ge­fun­den. Da­bei traf sein Blick hin und wie­der wie zu­fäl­lig Jo­han­nas Au­gen, und un­will­kür­lich fühl­te sich die­se je­des Mal selt­sam be­wegt. So kurz auch nur die­ser Blick war, so lag doch eine gan­ze Welt von Be­wun­de­rung und hell ent­fach­ter Zu­nei­gung in ihm.

      Der im ver­gan­ge­nen Jah­re ver­stor­be­ne Va­ter des Herrn de La­ma­re hat­te zu­fäl­lig einen in­ti­men Freund des Herrn de Cul­taux ge­kannt, des­sen Toch­ter die Baro­nin war. Die Ent­de­ckung die­ser Tat­sa­che brach­te na­tür­lich das Ge­spräch auf eine Men­ge von Be­kannt­schaf­ten, Er­eig­nis­sen und end­lo­sen Ver­wandt­schafts-Ver­hält­nis­sen. Die Baro­nin mach­te ge­ra­de­zu Ge­walt-Mär­sche auf dem Ge­bie­te der Ge­nea­lo­gie; sie zähl­te den hal­b­en Adel Frank­reichs in auf- und ab­stei­gen­der Li­nie auf, ohne je­mals den Fa­den zu ver­lie­ren.

      »Sa­gen Sie mir, Vi­com­te, ha­ben Sie ’mal von den Sau­noy de Var­fleur ge­hört? Der äl­tes­te Sohn Gon­tram hat­te ein Fräu­lein de Cour­sil, von den Cour­sil-Cour­ville, ge­hei­ra­tet, und der jün­ge­re eine Cou­si­ne von mir, ein Fräu­lein de la Ro­che-Au­bert, wel­che mit den Cri­san­ges ver­wandt war. Herr de Cri­san­ge war ein in­ti­mer Freund mei­nes Va­ters und muss auch den Ih­ri­gen gut ge­kannt ha­ben.«

      »Ganz recht, mei­ne Gnä­digs­te! War das nicht der Herr de Cri­san­ge, der aus­ge­wan­dert ist und des­sen Sohn sich zu Grun­de rich­te­te.«

      »Eben der. Er hat­te um die Hand mei­ner Tan­te nach dem Tode ih­res ers­ten Man­nes, des Gra­fen d’Ere­try, an­ge­hal­ten; aber sie woll­te ihn nicht neh­men, weil er schnupf­te. Bei der Ge­le­gen­heit fal­len mir die Vi­loi­ses ein; was mag aus ih­nen ge­wor­den sein? Sie ver­lies­sen die Tou­rai­ne um das Jahr 1813 in Fol­ge ei­nes Schick­sals­schla­ges. Sie woll­ten sich in der Au­ver­gne nie­der­las­sen; aber ich habe seit­dem nie wie­der von ih­nen ge­hört.«

      »So viel ich weiß, starb der alte Mar­quis an den Fol­gen ei­nes Stur­zes mit dem Pfer­de. Von sei­nen bei­den Töch­tern hei­ra­te­te die eine einen Eng­län­der, die an­de­re einen ge­wis­sen Bas­so­le, einen Kauf­mann, des­sen Reich­tum sie, wie man sagt, be­sto­chen ha­ben soll.«

      So leb­ten all­mäh­lich alle Na­men und Erin­ne­run­gen aus der Ju­gend­zeit im Lau­fe der Un­ter­hal­tung wie­der auf. Und die Hei­ra­ten die­ser Fa­mi­li­en ge­wan­nen in ih­ren Au­gen eine Be­deu­tung wie die wich­tigs­ten Er­eig­nis­se. Sie spra­chen von Leu­ten, die sie nie ge­se­hen hat­ten, als wä­ren es alte Be­kann­te ge­we­sen. Und die­se Leu­te drü­ben in an­de­ren Ge­gen­den spra­chen ge­wiss von ih­nen in der­sel­ben Wei­se. Man fühl­te sich aus der Fer­ne zu ein­an­der hin­ge­zo­gen, wie Freun­de und Ver­wand­te; und das al­les aus dem einen Grun­de, weil man dem­sel­ben Stan­de, der­sel­ben Ge­sell­schafts­klas­se an­ge­hör­te und das­sel­be Blut in sei­nen Adern fühl­te.

      Der Baron, wel­cher sei­ner un­ge­bun­de­nen Na­tur und sei­ner gan­zen Er­zie­hung nach mit den An­schau­un­gen und Vor­ur­tei­len sei­ner Stan­des­ge­nos­sen we­nig har­mo­nier­te, kann­te die Fa­mi­li­en in der Um­ge­gend kaum dem Na­men nach und be­frag­te jetzt den Vi­com­te dar­über.

      »O, es gibt we­nig Adel hier im Lan­de« ant­wor­te­te Herr de La­ma­re un­ge­fähr in dem­sel­ben Tone, wie er ge­sagt ha­ben wür­de, es gebe we­nig Ka­nin­chen an der Küs­te. Hier­auf be­gann er mit Ein­zel­hei­ten. Nur drei Fa­mi­li­en wohn­ten ziem­lich in der Nähe: der Mar­quis de Cou­te­lier, so­zu­sa­gen der Chef des Adels in der Nor­man­die; der Vi­com­te und die Vi­com­tes­se de Bri­se­ville, von aus­ge­zeich­ne­ter Ab­stam­mung, die sich aber so ziem­lich von Al­len zu­rück­zo­gen. End­lich sei noch der Graf Four­ville da, eine Art Blau­bart, des­sen Frau vor Gram über sein Le­ben ge­stor­ben sei. Er leb­te aus­sch­liess­lich der Jagd in der Um­ge­bung sei­nes Schlos­ses la Vi­let­te, wel­ches mit­ten in ei­nem großen Tei­che lie­ge. Ei­ni­ge Em­por­kömm­lin­ge, die aber kei­nen Zu­tritt zur Ge­sell­schaft fän­den, hät­ten hier und da sich an­ge­kauft. Der Vi­com­te kann­te sie auch nicht.

      Nach ei­ni­ger Zeit ver­ab­schie­de­te sich der jun­ge Mann, nicht ohne einen letz­ten Blick auf Jo­han­na ge­wor­fen zu ha­ben, der wie ein be­son­ders zärt­li­ches sanf­tes Le­be­wohl aus­sah.

      Die Baro­nin fand den Vi­com­te sehr nett und vor al­lem sehr »com­me il faut.« »Ja­wohl, ganz ge­wiss«, ant­wor­te­te ihr Gat­te, »es ist ein sehr wohl­er­zo­ge­ner jun­ger Mann.«

      Man hat­te ihn für die nächs­te Wo­che zum Di­ner ein­ge­la­den. Von da an war er ein sehr häu­fi­ger Gast im Schlos­se.

      Meis­tens kam er ge­gen vier Uhr Nach­mit­tags, such­te die Baro­nin in »ih­rer Al­lee« auf und bot ihr den Arm, um sie bei »ih­rer Übung« zu un­ter­stüt­zen. Wenn Jo­han­na ge­ra­de kei­nen Aus­flug mach­te, stütz­te sie die Baro­nin von der an­de­ren Sei­te und alle drei gin­gen nun lang­sa­men Schrit­tes in der ge­ra­den Al­lee hin und her. Er sprach fast nie­mals mit der jun­gen Dame. Aber sein dunk­ler ver­schlei­er­ter Blick traf häu­fig das achat­blaue Auge Jo­han­nas.

      Mehr­mals gin­gen sie auch bei­de in Beglei­tung des Barons nach Yport.

      Als sie ei­nes Abends am Ufer stan­den, trat Papa Las­ti­que auf sie zu, sei­ne Pfei­fe im Mun­de, de­ren Feh­len auf­fal­len­der ge­we­sen wäre, als das Feh­len sei­ner Net­ze.

      »Bei die­sem Win­de, Herr Baron,« mein­te er, »müss­te man mor­gen ei­gent­lich nach Etre­tat fah­ren. Wir kämen be­quem hin und zu­rück.«

      »Ach Papa!« sag­te Jo­han­na, die Hän­de fal­tend, »das wäre zu herr­lich.«

      »Ma­chen Sie mit?« wand­te sich der Baron an den Vi­com­te. »Wir könn­ten da un­ten früh­stücken.«

      Da die­ser zu­stimm­te, wur­de die Par­tie so­fort be­schlos­sen.

      Mit dem Mor­gen­grau­en war Jo­han­na schon auf und war­te­te voll kind­li­cher Un­ge­duld auf ih­ren Va­ter, der et­was lang­sam im An­zie­hen war. Dann gin­gen sie durch den fri­schen Mor­gen­tau erst an dem großen Ra­sen­platz vor­bei, hier­auf durch das Holz, wel­ches vom Ge­sang der Vö­gel wi­der­hall­te. Der Vi­com­te und Papa Las­ti­que sas­sen auf ei­ner Schiffs­win­de.

      Zwei an­de­re Schif­fer hal­fen bei der Ab­fahrt. Ihre Schul­tern ge­gen den Schiffs­rand stem­mend, scho­ben sie aus Lei­bes­kräf­ten; aber sie brach­ten den Kiel nur lang­sam von dem kie­si­gen Grun­de ab. Las­ti­que schob ei­ni­ge mit Fett be­schmier­te Rol­len un­ter den Kiel, dann nahm er sei­nen Platz wie­der ein und ließ mit ei­gen­tüm­li­cher Mo­du­la­ti­on sein un­auf­hör­li­ches »Ahoh hopp« er­klin­gen, mit dem er die Be­we­gun­gen sei­ner Ge­nos­sen lei­te­te.

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