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Guy de Maupassant – Gesammelte Werke. Guy de Maupassant
Читать онлайн.Название Guy de Maupassant – Gesammelte Werke
Год выпуска 0
isbn 9783962817695
Автор произведения Guy de Maupassant
Жанр Языкознание
Серия Gesammelte Werke bei Null Papier
Издательство Bookwire
Er kam gerade, als man eine Gartenbank besichtigte, die am Morgen unter der großen Platane gegenüber den Fenstern des Salons aufgestellt war. Der Baron meinte, dass man eine ähnliche unter der Linde, der Gleichheit wegen, aufstellen müsse; aber seine Frau, der alle Symmetrie verhasst war, wollte das nicht zugeben. Der Vicomte, um seine Ansicht befragt, stellte sich auf Seite der Baronin.
Hierauf sprach er von der Umgegend, die er sehr »pittoresk« nannte; er habe bei seinen einsamen Spaziergängen schon ganz herrliche »Szenerien« gefunden. Dabei traf sein Blick hin und wieder wie zufällig Johannas Augen, und unwillkürlich fühlte sich diese jedes Mal seltsam bewegt. So kurz auch nur dieser Blick war, so lag doch eine ganze Welt von Bewunderung und hell entfachter Zuneigung in ihm.
Der im vergangenen Jahre verstorbene Vater des Herrn de Lamare hatte zufällig einen intimen Freund des Herrn de Cultaux gekannt, dessen Tochter die Baronin war. Die Entdeckung dieser Tatsache brachte natürlich das Gespräch auf eine Menge von Bekanntschaften, Ereignissen und endlosen Verwandtschafts-Verhältnissen. Die Baronin machte geradezu Gewalt-Märsche auf dem Gebiete der Genealogie; sie zählte den halben Adel Frankreichs in auf- und absteigender Linie auf, ohne jemals den Faden zu verlieren.
»Sagen Sie mir, Vicomte, haben Sie ’mal von den Saunoy de Varfleur gehört? Der älteste Sohn Gontram hatte ein Fräulein de Coursil, von den Coursil-Courville, geheiratet, und der jüngere eine Cousine von mir, ein Fräulein de la Roche-Aubert, welche mit den Crisanges verwandt war. Herr de Crisange war ein intimer Freund meines Vaters und muss auch den Ihrigen gut gekannt haben.«
»Ganz recht, meine Gnädigste! War das nicht der Herr de Crisange, der ausgewandert ist und dessen Sohn sich zu Grunde richtete.«
»Eben der. Er hatte um die Hand meiner Tante nach dem Tode ihres ersten Mannes, des Grafen d’Eretry, angehalten; aber sie wollte ihn nicht nehmen, weil er schnupfte. Bei der Gelegenheit fallen mir die Viloises ein; was mag aus ihnen geworden sein? Sie verliessen die Touraine um das Jahr 1813 in Folge eines Schicksalsschlages. Sie wollten sich in der Auvergne niederlassen; aber ich habe seitdem nie wieder von ihnen gehört.«
»So viel ich weiß, starb der alte Marquis an den Folgen eines Sturzes mit dem Pferde. Von seinen beiden Töchtern heiratete die eine einen Engländer, die andere einen gewissen Bassole, einen Kaufmann, dessen Reichtum sie, wie man sagt, bestochen haben soll.«
So lebten allmählich alle Namen und Erinnerungen aus der Jugendzeit im Laufe der Unterhaltung wieder auf. Und die Heiraten dieser Familien gewannen in ihren Augen eine Bedeutung wie die wichtigsten Ereignisse. Sie sprachen von Leuten, die sie nie gesehen hatten, als wären es alte Bekannte gewesen. Und diese Leute drüben in anderen Gegenden sprachen gewiss von ihnen in derselben Weise. Man fühlte sich aus der Ferne zu einander hingezogen, wie Freunde und Verwandte; und das alles aus dem einen Grunde, weil man demselben Stande, derselben Gesellschaftsklasse angehörte und dasselbe Blut in seinen Adern fühlte.
Der Baron, welcher seiner ungebundenen Natur und seiner ganzen Erziehung nach mit den Anschauungen und Vorurteilen seiner Standesgenossen wenig harmonierte, kannte die Familien in der Umgegend kaum dem Namen nach und befragte jetzt den Vicomte darüber.
»O, es gibt wenig Adel hier im Lande« antwortete Herr de Lamare ungefähr in demselben Tone, wie er gesagt haben würde, es gebe wenig Kaninchen an der Küste. Hierauf begann er mit Einzelheiten. Nur drei Familien wohnten ziemlich in der Nähe: der Marquis de Coutelier, sozusagen der Chef des Adels in der Normandie; der Vicomte und die Vicomtesse de Briseville, von ausgezeichneter Abstammung, die sich aber so ziemlich von Allen zurückzogen. Endlich sei noch der Graf Fourville da, eine Art Blaubart, dessen Frau vor Gram über sein Leben gestorben sei. Er lebte ausschliesslich der Jagd in der Umgebung seines Schlosses la Vilette, welches mitten in einem großen Teiche liege. Einige Emporkömmlinge, die aber keinen Zutritt zur Gesellschaft fänden, hätten hier und da sich angekauft. Der Vicomte kannte sie auch nicht.
Nach einiger Zeit verabschiedete sich der junge Mann, nicht ohne einen letzten Blick auf Johanna geworfen zu haben, der wie ein besonders zärtliches sanftes Lebewohl aussah.
Die Baronin fand den Vicomte sehr nett und vor allem sehr »comme il faut.« »Jawohl, ganz gewiss«, antwortete ihr Gatte, »es ist ein sehr wohlerzogener junger Mann.«
Man hatte ihn für die nächste Woche zum Diner eingeladen. Von da an war er ein sehr häufiger Gast im Schlosse.
Meistens kam er gegen vier Uhr Nachmittags, suchte die Baronin in »ihrer Allee« auf und bot ihr den Arm, um sie bei »ihrer Übung« zu unterstützen. Wenn Johanna gerade keinen Ausflug machte, stützte sie die Baronin von der anderen Seite und alle drei gingen nun langsamen Schrittes in der geraden Allee hin und her. Er sprach fast niemals mit der jungen Dame. Aber sein dunkler verschleierter Blick traf häufig das achatblaue Auge Johannas.
Mehrmals gingen sie auch beide in Begleitung des Barons nach Yport.
Als sie eines Abends am Ufer standen, trat Papa Lastique auf sie zu, seine Pfeife im Munde, deren Fehlen auffallender gewesen wäre, als das Fehlen seiner Netze.
»Bei diesem Winde, Herr Baron,« meinte er, »müsste man morgen eigentlich nach Etretat fahren. Wir kämen bequem hin und zurück.«
»Ach Papa!« sagte Johanna, die Hände faltend, »das wäre zu herrlich.«
»Machen Sie mit?« wandte sich der Baron an den Vicomte. »Wir könnten da unten frühstücken.«
Da dieser zustimmte, wurde die Partie sofort beschlossen.
Mit dem Morgengrauen war Johanna schon auf und wartete voll kindlicher Ungeduld auf ihren Vater, der etwas langsam im Anziehen war. Dann gingen sie durch den frischen Morgentau erst an dem großen Rasenplatz vorbei, hierauf durch das Holz, welches vom Gesang der Vögel widerhallte. Der Vicomte und Papa Lastique sassen auf einer Schiffswinde.
Zwei andere Schiffer halfen bei der Abfahrt. Ihre Schultern gegen den Schiffsrand stemmend, schoben sie aus Leibeskräften; aber sie brachten den Kiel nur langsam von dem kiesigen Grunde ab. Lastique schob einige mit Fett beschmierte Rollen unter den Kiel, dann nahm er seinen Platz wieder ein und ließ mit eigentümlicher Modulation sein unaufhörliches »Ahoh hopp« erklingen, mit dem er die Bewegungen seiner Genossen leitete.