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plötz­lich hef­ti­ge Wind­stös­se dar­ein­fah­ren, die das Ge­äst der Bäu­me kra­chen las­sen und sich dann lang­sam in der Fer­ne ver­lie­ren.

      Es war sehr heiss und drückend; die Son­nen­strah­len lock­ten die Grä­ser aus dem Bo­den her­vor und das Was­ser glänz­te wie ein Spie­gel. Si­mon hat­te Au­gen­bli­cke des Wohl­be­ha­gens, je­ner an­ge­neh­men Er­schlaf­fung, die so oft auf stür­mi­sche Trä­nen folgt, und fühl­te so­gar ein hef­ti­ges Ver­lan­gen, sich ins war­me Gras zu le­gen, um ein­zu­schlum­mern.

      Zu sei­nen Füs­sen hüpf­te ein klei­ner grü­ner Frosch, den er zu ha­schen such­te; aber er ent­wisch­te ihm. Der Kna­be ver­folg­te ihn, aber drei­mal hin­ter­ein­an­der be­müh­te er sich um­sonst, bis er ihn end­lich un­ten an den Hin­ter­bei­nen er­wi­sch­te; jetzt brach er bei den ver­geb­li­chen An­stren­gun­gen des klei­nen Tie­res, wie­der los­zu­kom­men, in ein herz­li­ches La­chen aus. Der Frosch duck­te sich auf sei­ne di­cken Schen­kel zu­sam­men, dann streck­te er sich mit ei­nem plötz­li­chen Sprun­ge aus, so­dass sei­ne Hin­ter­bei­ne ge­ra­de wie zwei Stan­gen wa­ren; sei­ne run­den gold­ge­rän­der­ten Äug­lein starr­ten ängst­lich aus dem brei­ten Köpf­chen her­vor, wäh­rend er mit den Vor­der­füs­sen, die wie klei­ne Hän­de aus­sa­hen, in die Luft schlug. Das Gan­ze er­in­ner­te ihn an ein klei­nes Spiel­zeug, das er be­sass, wo man auf klei­nen schräg über­ein­an­der lie­gen­den Stäb­chen die auf­ge­steck­ten Sol­da­ten im Zick­zack vor­wärts be­we­gen konn­te. Da muss­te er aber auch wie­der an zu Hau­se den­ken, an sei­ne Mut­ter; und von großer Trau­rig­keit er­grif­fen, wein­te er aufs Neue hef­tig. Er schau­er­te an al­len Glie­dern; schliess­lich knie­te er nie­der und be­te­te, wie vor dem Ein­schla­fen, sein Abend­ge­bet. Aber er brach­te es nicht zu Ende, denn sei­ne Trä­nen flos­sen jetzt so un­auf­halt­sam und hef­tig, dass sie al­les an­de­re un­ter­drück­ten. Er dach­te und sah nichts mehr; er war nur noch mit Wei­nen be­schäf­tigt.

      Plötz­lich leg­te sich eine brei­te Hand auf sei­ne Schul­ter und eine lau­te Stim­me hin­ter ihm frag­te:

      »Was be­küm­mert Dich denn so sehr, klei­ner Mann?«

      Si­mon wand­te sich um. Ein ro­bus­ter Ar­beits­mann mit schwar­zem, ganz krau­sen Haupt- und Bart­haar schau­te ihn freund­lich an.

      »Sie ha­ben mich ge­schla­gen … weil … weil ich … kei­nen … Va­ter habe … kei­nen … Va­ter«, ant­wor­te­te er sto­ckend und un­ter hef­ti­gen Trä­nen.

      »Wie?« sag­te der Mann lä­chelnd, »aber alle Welt hat doch einen.«

      »Aber ich … ich … habe kei­nen!« ant­wor­te­te das Kind, im­mer noch schluch­zend.

      Jetzt wur­de der Ar­bei­ter ernst; er hat­te den Sohn der Blan­chot­te wie­der­er­kannt, und ob­schon noch nicht lan­ge in der Ge­gend, wuss­te er ober­fläch­lich ihre Le­bens­ge­schich­te.

      »Geh’ doch, trös­te Dich, mein Jun­ge!« sag­te er, »und komm mit mir zu Dei­ner Mut­ter. Man wird schon … einen Papa für Dich fin­den.«

      Sie be­ga­ben sich auf den Weg, und wäh­rend der Gro­ße den Klei­nen an der Hand führ­te, lä­chel­te er aufs Neue; denn er war schliess­lich nicht trau­rig, Blan­chot­te ken­nen zu ler­nen, die, wie man er­zähl­te, ei­nes der hüb­sche­s­ten Mäd­chen in der gan­zen Um­ge­gend war. Vi­el­leicht moch­te er sich im Her­zen sa­gen, dass ein Mäd­chen, das ein­mal schwach ge­we­sen war, auch noch ein andres Mal schwach sein könn­te.

      Sie ka­men zu ei­nem wei­ßen rein­li­chen Häu­schen.

      »Hier ist es«, sag­te der Klei­ne und rief »Mama!« Eine weib­li­che Ge­stalt zeig­te sich in der Türe, und plötz­lich erstarb dem Ar­bei­ter das Lä­cheln auf den Lip­pen; denn er be­griff so­fort, dass wei­ter kein Scherz mit die­sem hoch­ge­wach­se­nen blei­chen Mäd­chen zu trei­ben war, wel­ches ernst auf der Schwel­le stand, als wol­le es ei­nem Man­ne den Ein­tritt zu ei­nem Hau­se ver­weh­ren, in dem es schon ein­mal von ei­nem And­ren ver­ra­ten wor­den war.

      Schüch­tern die Müt­ze zie­hend stam­mel­te er:

      »Hier, Ma­da­me, brin­ge ich Ih­nen Ihren klei­nen Jun­gen wie­der, der sich am Flus­se ver­lau­fen hat­te.«

      Si­mon aber fiel sei­ner Mut­ter um den Hals und sag­te ihr un­ter neu­en Trä­nen:

      »Nein, Mama, ich woll­te mich er­trän­ken, weil die And­ren mich ge­schla­gen ha­ben … ge­schla­gen ha­ben … weil ich … kei­nen Papa habe.«

      Eine bren­nen­de Röte er­goss sich über die Wan­gen der jun­gen Frau, und tief ins Herz ge­trof­fen um­arm­te sie ihr Kind mit stür­mi­scher Zärt­lich­keit, wäh­rend ihr die Trä­nen über die Wan­gen ström­ten. Tief­be­wegt schau­te der Mann zu und wuss­te nicht recht, wie er sich emp­feh­len soll­te. Aber Si­mon sprang jetzt has­tig auf ihn zu und sag­te:

      »Willst Du mein Papa sein?«

      Alle schwie­gen. Blan­chot­te lehn­te stumm und scham­er­füllt an der Wand, bei­de Hän­de auf ihr Herz pres­send.

      »Wenn Du nicht willst«, fuhr der Klei­ne fort, als ihm nie­mand ant­wor­te­te, »dann gehe ich von Neu­em ins Was­ser.«

      Der Ar­bei­ter nahm die Sa­che scherz­haft und ant­wor­te­te:

      »Nun gut, ich will ja.«

      »Wie heisst Du?« frag­te nun das Kind, »da­mit ich den an­de­ren ant­wor­te, wenn sie Dei­nen Na­men wis­sen wol­len.«

      »Phil­ipp«, ant­wor­te­te der Mann.

      Si­mon schwieg einen Au­gen­blick, um den Na­men sei­nem Ge­dächt­nis fest ein­prä­gen zu kön­nen; dann brei­te­te er sei­ne Ärm­chen aus und sag­te ganz ge­trös­tet:

      »Gut! Phil­ipp, Du bist jetzt mein Papa!«

      Der Ar­bei­ter hob ihn auf, küss­te ihn zärt­lich auf bei­de Wan­gen und ging dann schleu­nigst mit großen Schrit­ten von dan­nen.

      Als das Kind am an­de­ren Mor­gen wie­der die Schu­le be­trat, wur­de es von al­len Sei­ten mit bos­haf­ten La­chen emp­fan­gen. Beim Her­aus­ge­hen, als der große Ben­gel wie­der mit sei­nen Ne­cke­rei­en be­gin­nen woll­te, schleu­der­te ihm der Klei­ne, als ob es Stei­ne wä­ren, die Wor­te ent­ge­gen:

      »Er heisst Phil­ipp, mein Papa.«

      Ein Freu­den­ge­heul er­folg­te von al­len Sei­ten.

      »Phil­ipp, wie? … Was, Phil­ipp? … Was heisst das, Phil­ipp? … Wo hast Du Dei­nen Phil­ipp her­ge­nom­men?«

      Si­mon ant­wor­te­te nichts, und un­er­schüt­ter­lich in sei­nem Glau­ben streif­te er sie mit ver­ächt­li­chen Bli­cken; er hät­te sich eher von ih­nen zer­reis­sen las­sen, als dass er vor ih­nen da­von­ge­lau­fen wäre. Sch­liess­lich be­frei­te ihn der Leh­rer von sei­nen Quäl­geis­tern und er ging heim zu sei­ner Mut­ter.

      Drei Mo­na­te lang spa­zier­te der große Ar­bei­ter Phil­ipp häu­fig am Hau­se der Blan­chot­te vor­über, und ei­ni­ge Male fass­te er sich auch das Herz, sie an­zu­re­den, wenn er sie ge­ra­de am Fens­ter ste­hen sah. Sie ant­wor­te­te ihm höf­lich, stets sehr ernst, ohne je­mals mit ihm zu la­chen oder ihn auf­zu­for­dern, bei ihr ein­zu­tre­ten. Ei­tel in­des­sen, wie nun ein­mal

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