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Guy de Maupassant – Gesammelte Werke. Guy de Maupassant
Читать онлайн.Название Guy de Maupassant – Gesammelte Werke
Год выпуска 0
isbn 9783962817695
Автор произведения Guy de Maupassant
Жанр Языкознание
Серия Gesammelte Werke bei Null Papier
Издательство Bookwire
Sie suchte nach etwas, worauf sie schwören könnte; denn sie wagte nicht, das Heiligste mit dieser Sache zu vermischen.
»Er folgte Dir aber doch in alle Ecken«, unterbrach er sie, »und verzehrte Dich bei Tisch mit seinen Blicken. Hast Du ihm Deinerseits Treue gelobt, sprich!«
Dieses Mal schaute sie ihrem Herrn offen ins Gesicht.
»Nein, niemals! niemals! Ich schwöre es bei Gott, wenn er heute um mich anhielte, ich würde ihn nicht nehmen.«
Ihre Miene war so aufrichtig, dass der Pächter inne hielt. Er fuhr wie im Selbstgespräch fort:
»Aber was denn dann? Ein Unglück ist Dir nicht widerfahren, das hätte man ja gehört. Und welches Mädchen würde die Hand seines Herrn zurückweisen, wenn keine Folgen von früher da sind? Aber es muss doch etwas vorliegen?«
Von Angst gefoltert konnte sie nicht mehr antworten.
»Du willst nicht?« fragte er nochmals.
»Ich kann nicht, Herr!« seufzte sie.
Und er drehte ihr den Rücken und ging.
Sie glaubte endlich Ruhe zu haben und verbrachte den Rest des Tages fast in heiterer Stimmung, aber geistig doch so stumpf und gleichgültig, als hätte sie an Stelle des alten Schimmels in der Dreschmaschine gehen müssen.
Sobald als möglich legte sie sich nieder und schlief sogleich ein.
Gegen Mitternacht wurde sie durch ein Zupfen an ihrer Bettdecke wach. Sie zitterte vor Schrecken, hörte aber zugleich die Stimme des Pächters, der ihr sagte:
»Nur ruhig, Rose, ich bin’s, um mit Dir ein Wort zu reden.«
Sie war anfangs erstaunt; als er sich aber dann immer noch an ihrer Decke zu schaffen machte, begriff sie, was er wollte und fing noch heftiger an zu zittern. Was sollte sie machen, so allein in der Dunkelheit, noch halb schlaftrunken, im Bett und unbekleidet, mit diesem Manne, der nach ihr verlangte? Sie willigte nicht ein, wahrhaftig nicht, aber sie widerstand auch nicht energisch. Sie bekämpfte zwar die Begierde, die bei diesen einfachen Naturen immer viel lebhafter ist, aber sie war doch nur ein Weib und ihre Willensstärke war nicht groß genug. Anfangs wich sie den heissen Küssen des Pächters aus, indem sie den Kopf bald rechts, bald links wandte, und sie suchte ihn sich auf alle Weise auch sonst fern zu halten; aber schliesslich siegte die rohe Kraft und die wilde Begehrlichkeit des Mannes, und sie gab ihren Widerstand auf, während sie vor Scham das Gesicht mit den Händen bedeckte.
Der Pächter blieb die Nacht über bei ihr. Er kam den folgenden Abend und dann schliesslich jede Nacht.
So lebten sie nun zusammen.
Eines Morgens sagte er zu ihr:
»Ich werde unser Aufgebot verkündigen lassen. Nächsten Monat soll unsere Hochzeit sein.«
Sie antwortete nicht. Was hätte sie auch noch sagen sollen? Sie wagte keinen Widerspruch; es war ja doch umsonst.
IV.
Sie war nun verheiratet. Es war ihr zu Mute, als befände sie sich in einer tiefen Grube, aus der keine Flucht möglich war, und als schwebten über ihrem Kopf alle Arten von Unglück wie riesige Felsen, jeden Augenblick bereit, auf sie nieder zu stürzen. Ihr Gatte kam ihr vor wie jemand, den sie bestohlen hatte und der dies eines Tages merken würde. Und dann dachte sie an ihr Kind, von dem all’ ihr Unglück kam, das aber auch zugleich ihr einziges Glück auf Erden ausmachte.
Zweimal im Jahre besuchte sie es und kam jedes Mal trauriger nach Hause.
Allein mit der Zeit gewöhnt man sich an alles. Ihr Herz wurde ruhiger, und sie sah mit mehr Vertrauen auf ihre jetzige Lage, die nur hin und wieder noch durch eine flüchtige Regung der Furcht beeinträchtigt wurde.
Die Zeit verging. Das Kind war nun schon sechs Jahre alt. Sie war jetzt sogar fast glücklich, als plötzlich bei dem Pächter eine finstere Stimmung sichtlich immer mehr Platz griff.
Schon seit zwei oder drei Jahren schien er an einer inneren Unruhe zu leiden, irgend eine Sorge mit sich herumzutragen, irgend einen bösen Gedanken, der von Tag zu Tag wuchs. Wenn das Essen schon vorüber war, blieb er noch lange am Tische sitzen, den Kopf in den Händen vergraben, traurig, so traurig, als würde er von einem tiefen Kummer verzehrt. Er sprach lauter, ja barsch zuweilen, und es schien unwillkürlich, als habe er einen Hintergedanken gegen seine Frau, denn er begegnete ihr öfters mit Rauheit, ja mit Zorn sogar.
Eines Tages kam ein Nachbarsjunge in den Hof, um Eier zu holen. Da sie gerade sehr beschäftigt war, ließ sie ihn etwas barsch an, als plötzlich hinter ihr ihr Mann mit boshaftem Tone sagte:
»Wenn das Dein Kind wäre, würdest Du es nicht so anfahren.«
Sie stand einen Augenblick sprachlos da; dann ging sie müden Schrittes ins Haus zurück. Alle ihre Qualen waren aufs Neue erwacht.
Bei Tisch sprach der Pächter nicht mit ihr und sah sie kaum an; er schien sie zu verabscheuen und zu verachten. Er musste etwas wissen.
Sie verlor den Kopf und wagte nicht, nach dem Essen mit ihm allein zu bleiben. Sie ging hinaus und lief zur Kirche.
Der Abend brach herein. Das schmale Schiff der Kirche war schon ganz dunkel, aber sie hörte Schritte da unten am Chor; es war der Sakristan, der die ewige Lampe vor dem Altare für die Nacht zurecht machte. Dieser Lichtschimmer, der aus dem Dunkel des Gewölbes auftauchte, erschien Rose wie der Verkünder einer letzten Hoffnung; sie warf sich auf die Knie und betete, die Augen auf den Altar geheftet.
Knisternd brannte die kleine Flamme neu empor. Bald schlürften wieder Tritte durch den Gang, denen das gleichmässige Geräusch eines an der Mauer sich reibenden Strickes folgte: Die kleine Glocke der Kirche rief zum »Angelus.« Als der Mann heraus ging, schloss sich Rose ihm an.
»Ob der Herr Pfarrer wohl zu Hause ist?« fragte sie.
»Ich glaube wohl;« antwortete er, »er speist immer nach dem Angelus.«
Mit zitternder Hand öffnete sie die Türe des Pfarrhauses.
Der Pfarrer war gerade beim Essen und hiess sie sich setzen.
»Ja, ja«, sagte er, »Euer Mann hat mir schon von dem gesprochen, was Euch zu mir führt.«
Die arme Frau knickte zusammen.
»Was gibt es also, mein Kind?« fuhr der Priester fort, und ass schnell einige Löffel Suppe, wobei ihm verschiedene Tropfen auf seine etwas fleckige, abgenutzte Soutane fielen.
Rose