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Guy de Maupassant – Gesammelte Werke. Guy de Maupassant
Читать онлайн.Название Guy de Maupassant – Gesammelte Werke
Год выпуска 0
isbn 9783962817695
Автор произведения Guy de Maupassant
Жанр Языкознание
Серия Gesammelte Werke bei Null Papier
Издательство Bookwire
Ganz nahe an der Türe sass ein kleiner untersetzter Herr mit aufgedunsenem Gesicht, dessen Bauch sozusagen zwischen seinen geöffneten Schenkeln ruhte. Er war ganz schwarz gekleidet und trug ein Ordensband im Knopfloch. Sein Gegenüber, mit dem er sich eifrig unterhielt, war ein großer, magerer Mann von nachlässigem Äusseren. Sein weißer Drillich-Anzug war sehr schmutzig, und auf dem Kopfe trug er einen alten ebenfalls stark mitgenommenen Panama-Hut. Der erste Herr sprach langsam, sodass er zuweilen den Eindruck eines Stotterers machte; es war Herr Caravan, Bürobeamter im Marineministerium. Der andere war früher Krankenwärter an Bord eines Handelsschiffes gewesen und hatte sich schliesslich in Courbevoie niedergelassen, wo er bei der ärmeren Bevölkerungsklasse den Rest von medizinischen Kenntnissen verwertete, den er sich aus seinem dunklen abenteuerlichen Leben bewahrt hatte. Er hiess Chenet und hörte sich gerne »Doktor« nennen; über seinen Charakter gingen allerlei Gerüchte herum.
Herr Caravan hatte von jeher das gleichmässige Leben eines Büromenschen geführt. Seit dreissig Jahren ging er unveränderlich jeden Morgen auf demselben Wege in sein Büro, begegnete zu derselben Stunde und an denselben Stellen denselben Leuten, die ihren Geschäften nachgingen; und ebenso kehrte er abends auf demselben Wege zurück, wo er noch dieselben Gesichter sah, die er schon vor dreissig Jahren gesehen hatte.
Jeden Tag, nachdem er sich an einer Ecke des Faubourg Saint-Honoré sein Sou-Blättchen gekauft, holte er sich seine zwei Brödchen und ging dann ins Ministerium, wie ein Verurteilter, der seine Haft antreten will; schnell trat er in sein Büro ein, denn er wurde die stete innere Unruhe nicht los, ob er nicht bei seiner Ankunft irgend einen Tadel wegen eines Versehens zu erwarten hätte.
Nichts hatte bisher die einförmige Ordnung seines Daseins geändert, denn ausser seinen Bürogeschäften, Avancements und Gratifikationen berührten ihn die sonstigen Ereignisse nicht. Mochte er nun im Ministerium oder in seiner Familie sein (er hatte nämlich die Tochter eines Kollegen, ohne jede Mitgift, geheiratet), niemals sprach er von etwas anderem als vom Dienst. Sein durch die geisttötende tägliche Arbeit verknöcherter Sinn hatte keine anderen Gedanken, keine anderen Träume und Hoffnungen mehr, als die, welche sich auf sein Ministerium bezogen. Aber eins verbitterte ihm stets die Selbstzufriedenheit seines Beamtendaseins: die Zulassung der Marine-Kommissare, der Klempner, wie man sie ihrer silbernen Litzen wegen nannte, zu den Stellen der Sous-Chefs und sogar der Chefs; und jeden Abend beim Essen demonstrierte er seiner Frau, die übrigens ganz seinen Groll teilte, unter lebhaften Gebärden vor, wie ungerecht es auf alle Fälle sei, die Stellen in Paris mit Leuten zu besetzen, die naturgemäss für das Seeleben bestimmt wären.
Er war jetzt alt geworden, ohne zu bemerken, wie das Leben verflog; denn das Gymnasium hatte ohne eigentliche Unterbrechung seine Fortsetzung im Büro gefunden und die Lehrer, vor denen er früher gezittert hatte, waren jetzt durch die Chefs ersetzt, vor denen er beinahe noch eine grössere Angst hatte. An der Schwelle dieser Büro-Despoten überlief ihn stets ein heiliger Schauer, und von dieser fortgesetzten Ängstlichkeit hatte er sich allmählich eine linkische Art des Auftretens, diese demütige Haltung, dieses gewisse nervöse Stottern angewöhnt.
Er kannte von Paris eigentlich nicht viel mehr, als ein Blinder, der von seinem Hunde täglich an denselben Standplatz geführt wird, und wenn er in seinem Sou-Blättchen die täglichen Neuigkeiten und Skandal-Geschichten las, so durchflog er sie wie hübsche Märchen, die eigens erfunden waren, um den kleinen Beamten etwas Unterhaltungsstoff zu bieten. Ein Mann der Ordnung, ein Reaktionär ohne bestimmte Parteirichtung, aber ein abgesagter Feind aller Neuerungen, überschlug er die politischen Nachrichten, welche sein Blatt übrigens, je nachdem es bezahlt wurde, entsprechend entstellte. Und wenn er abends die Avenue des Champs-Elysées wieder heraufging, so betrachtete er die hin- und herwogende Menge der Spaziergänger und das Getriebe der Wagen, wie ein heimatloser Wanderer, der fremde Gegenden durchquert.
Da er zu eben dieser Zeit seine dreissig Dienstjahre hinter sich hatte, so hatte man ihm zum 1. Januar das Kreuz der Ehrenlegion überreicht, womit man bei den Militär-Verwaltungen die lange und elende Sklaverei -- man nennt sie: »Redliche Dienste« -- belohnt, in der diese armen Sträflinge am grünen Tische schmachten. Diese unerwartete Auszeichnung, welche ihm von seinen Befähigungen einen ganz neuen und hohen Begriff beibrachte, hatte in seinem Wesen eine vollständige Umwälzung hervorgerufen. Von nun an verbannte er seine farbigen Hosen und Fantasie-Westen; er trug nur noch schwarze Beinkleider und lange Überröcke, auf denen sein sehr breites Band sich besser ausnahm. Jeden Morgen war er glatt rasiert, seine Nägel pflegte er mit Sorgfalt, und alle zwei Tage wechselte er die Wäsche in einem ganz richtigen Gefühl der Hochachtung und Ehrfurcht vor dem nationalen Orden, den er trug. So war er über Nacht ein anderer, ein selbstbewusster, zugeknöpfter und herablassender Caravan geworden.
Zu Hause sprach er bei jeder Gelegenheit von »seinem Kreuze.« Er war darin so eifersüchtig, dass er nicht einmal im Knopfloch eines anderen irgend ein buntes Band sehen konnte. Vor allem ereiferte er sich beim Anblick fremder Orden, »die man in Frankreich gar nicht zu tragen erlauben sollte.« Er betonte dies besonders mit Bezug auf den »Doktor« Chenet, den er jeden Abend auf der Tramway mit irgend einer weiß-blauen, orangefarbenen oder grünen Dekoration im Knopfloch antraf.
Die Unterhaltung dieser beiden vom Arc de Triomphe bis Neuilly war übrigens täglich die gleiche; und auch heute beschäftigten sie sich, wie immer, mit lokalen Übelständen, über die sie sich beide ärgerten, während der Maire von Neuilly sie viel zu leicht nehme. Dann brachte Caravan, wie das in Gegenwart eines Arztes ja stets geschieht, das Gespräch auf das Kapitel der Krankheiten, indem er hoffte, auf diese Weise einige ärztliche Ratschläge gratis zu erhalten. Seine Mutter machte ihm übrigens seit einigen Tagen wirklich Sorgen. Sie hatte öfters längere Ohnmachtsanfälle