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sie besser als je zuvor. So wie Beth gab sich auch Proud ganz, verlor sich in ihr und war verloren, bis sie völlig eins waren. Ein Herzschlag, ein Atem, ein Gedanke, eine einzige gemeinsame Erinnerung an alles, was sie waren und auf ewig sein würden.

      Er verflocht seine Finger mit den ihren und zog Beth die Hände über den Kopf, wo er sie fest auf das Laken presste, während er wieder und wieder in sie stieß. Die Geste hätte dominant wirken können, tat es aber nicht. Es war nichts weiter als die stille Übereinkunft, einander völlig zu gehören.

      Heiser flüsterte er ihren Namen. Drückte seine Lippen gegen ihre Schläfe, während der Schlaf allmählich von ihm wich. Noch war er nicht bereit, den Tatsachen ins Gesicht zu sehen. Nichts als ein Traum. Sie war noch immer fern von ihm und allem Leben. Eine leere Hülle, in die sich ihre Seele tief zurückgezogen hatte. So tief, dass niemand sie erreichen konnte. Der Schmerz, der mit dem Erwachen einherging, war grauenvoller als der finsterste Orkus, in den man ihn werfen könnte. Verzweifelt krallte er die Finger in ihr Nachthemd und ihr blondes Haar, das beides von seinen lautlosen Tränen benetzt wurde. Erlaubte sich den Moment der Schwäche, wo er sich unbeobachtet wusste. Stark sein musste er lange genug, obwohl die Leere ihn jede Sekunde in die Knie zu zwingen suchte, denn ohne sie hatte sein Leben jeden Sinn verloren. Beth kehrte nicht zu ihm zurück; die Tage verstrichen und sie blieb … verloren.

      Sie hatte seit ihrer Rückkehr aus Europa das Bewusstsein nicht wiedererlangt. Das war jetzt drei Wochen her. Drei Wochen, in denen so viel passiert war, dass es Proud wie Monate erschien. Was wäre mit den Nephilim geschehen, wenn sie niemanden hier in L.A. gefunden hätten, an den sie sich wenden konnten? Hätte sich Samuel um sie gekümmert? Und was dann? Er wusste noch immer nicht, ob er Beth’ Vater rückhaltlos trauen durfte oder nicht. Was seine Pläne waren. Wer seine Verbündeten. Fakt war, dass alle Frauen aus dem Sadeshia verschwunden waren und Proud das Gefühl nicht loswurde, dass Sam mehr oder weniger darin verstrickt war, denn schließlich hatte er mit diesen Zuchtprogrammen überhaupt erst angefangen.

      Seit sie zurück waren, hatte der Grigori nur ein einziges Mal nach Beth gesehen. Der Schmerz in seinen Augen war echt gewesen. Wenigstens dachte Proud das. Samuel hatte ihm auf die Schulter geklopft und gesagt, dass er keine Wahl gehabt hätte. Kein einziges Wort des Vorwurfs. Aber auch kein Angebot, ihnen zu helfen. Nicht einmal, als sie mit einer scheintoten Nephilim von Europa zurück in die Staaten gelangen mussten. Nur dank Lloyd und seinen Beziehungen hatten sie es überhaupt geschafft, Beth in diesem Zustand wieder nach Hause zu bringen. Im Augenblick kümmerte sich der Arzt so gut es ging darum, sie stabil zu halten, aber sie wollte einfach nicht aufwachen. Das bereitete ihnen allen Sorgen. Proud am meisten, obwohl vermutlich Kyles Furcht um ihr Überleben nicht nennenswert geringer war und er deshalb ständig angepisst durch die Gegend lief. Der Unterschied zwischen ihnen beiden bestand darin, dass einer die Verantwortung übernommen hatte, wo der andere den Schwanz eingekniffen hatte. Ob zum Guten oder Schlechten, das blieb nach wie vor abzuwarten.

      Proud legte seine Hand an Beth’ Wange und küsste sanft ihre Stirn. Er ließ die schwarze Strähne durch seine Finger gleiten, deren Seidigkeit ihm einen Schauder durch den Leib sandte.

      »Meine Sleeping Beauty«, flüsterte er an ihrer Schläfe. Um sie zu schützen, hätte er sogar tatsächlich eine Wand aus Rosen und Dornenranken um dieses Haus errichtet. Ihr durfte nichts geschehen.

      Er zog Beth in seine Arme, wobei die Gewichtlosigkeit ihrer Glieder ihn ein weiteres Mal erschreckte. Die Angst, sie womöglich doch noch zu verlieren, schnürte ihm das Herz zusammen. Proud konnte nicht verhindern, dass ihm Tränen in die Augen stiegen und brennend heiß über sein Gesicht liefen.

      »Ich lass dich nicht los, hörst du. Ich lass dich nicht auf die andere Seite gehen. Du wirst das schaffen. Wenn du den Weg allein nicht findest, dann komme ich und hole dich.«

      Kalkutta

      »Lauf, Zeyda! Und dreh dich nicht um, egal, was du hörst.«

      Rahul stieß seine Gefährtin so heftig von sich, dass er für eine Sekunde fürchtete, er könnte ihr alle Knochen im Leib gebrochen haben. Aber wenn es ihm nicht gelang, sie vor den Verfolgern zu beschützen, war ihr Leben ohnehin verwirkt. Da heiligte der Zweck wohl die Mittel.

      Er hielt sich nicht damit auf, nachzusehen, in welche Richtung sie flüchtete. Es genügte ihm, ihre eiligen Schritte zu hören. Er würde sie finden – und da war er leider nicht der einzige. Alles, was er im Augenblick tun konnte, war, ihr einen ausreichenden Vorsprung zu verschaffen. Ihnen beiden. Und beten, dass es genügte.

      Fast hätte er lachen müssen. Beten? Zu welchem Gott sollte einer der ihren schon beten? Sie wussten doch genau, dass da niemand mehr war, der sie hätte hören können.

      Entschlossen wandte er sich dem Ende der Gasse zu, wo die Grigori jeden Augenblick auftauchen mussten. Sie waren nah, er konnte sie wittern und hasserfüllte Gedankenfetzen hören. Bilder strömten auf ihn ein, wie die Opferung stattfinden sollte. Völlig sinnloses Morden, das nichts bewirken würde. Wie konnte man nur so verblendet sein? So hoffnungslos ahnungslos? Alles die Schuld der Seraphim, die nichts als Lügen und Intrigen unter den Gefallenen streuten, um die Prophezeiung nach ihrem Willen zu lenken.

      Die Vorstellung, wie viele von Zeydas Art schon deshalb auf grausamste Weise gestorben waren oder als Versuchskaninchen hatten herhalten müssen, um die Rätsel der Nephilim zu entschlüsseln, heizte Rahuls Zorn an. Gut für den Kampf, der vor ihm lag.

      Dieser ließ nicht länger auf sich warten. Es waren vier. Direkte Abkommen des Grigori-Oberhauptes ihrer Stadt, Raj Khapoor. Natürlich kämpfte er nicht selbst, doch sein ältester Sohn Dev und drei seiner jüngeren Brüder versperrten Rahul den Weg. Ihr Blut war mächtig, sie ließen es ihn bewusst spüren, um ihn einzuschüchtern, was auch beinah gelang. Nur seine Entschlossenheit, Zeyda um jeden Preis zu beschützen, verlieh ihm die Kraft, dem Quartett trotzig entgegenzublicken. Wenn er fiel, war sie tot. Wenn es ihm nicht gelang, die vier auszuschalten, war sie tot. Wenn er Raj Khapoors Erben tötete … waren sie beide ebenfalls so gut wie tot, aber zumindest blieb eine letzte vage Hoffnung auf Flucht.

      »Geh!« Devs Stimme rollte wie heißer Rauch durch die Gasse. »Wenn du sie uns freiwillig überlässt, darfst du leben. Ich geb dir mein Wort.«

      Rahul schluckte. Konnte er es mit diesen vier kampferprobtem Grigori aufnehmen? Er wusste es nicht. Sie waren allesamt muskulös und gut trainiert. Darauf legte Raj großen Wert. Disziplin wurde in seiner Familie groß geschrieben. Bisher waren sie immer siegreich aus einem Kampf hervorgegangen. Ihre unangetastete Macht in Kalkutta kam nicht von ungefähr. Aber wenn Rahul davonlief, könnte er sich nie wieder selbst ins Gesicht sehen.

      »Ihr werdet sie nicht bekommen, so lange ich es verhindern kann.« Seine Stimme zitterte. Er hoffte, dass es im Widerhall der Häuserwände nicht auffiel.

      Dev lachte spöttisch und schüttelte mitleidig den Kopf. »Du hättest es dir einfach machen sollen. Das hier wird sehr unschön. Und am Ende wird sie doch bluten.«

      Rahul hatte schon eine bissige Antwort auf der Zunge, doch sie blieb ihm im Hals stecken. Der Angriff kam unvermittelt und überrumpelte ihn, sodass er außerstande war, zu reagieren. Hart prallte er mit dem Rücken gegen die Fassade eines Gebäudes. Dev hatte ihn beinah die gesamte Gasse entlanggeschleudert. Seine Knochen knirschten bedenklich und der Schmerz schnitt wie eine glühende Scherbe durch ihn hindurch. Für Sekunden überkam ihn das Gefühl, nicht mehr atmen zu können, und die Aussicht auf ein rasches Ende wurde ausgesprochen verlockend.

      Mit aller Kraft zwang sich Rahul wieder auf die Beine. Es überraschte ihn nicht, die Seitenstraße leer vorzufinden. Er hielt sich nicht damit auf, diesen Umstand zu verfluchen. Zeyda blieb nicht viel Zeit. Ihr Vorsprung war nur gering.

      Der Weg über die Häuserdächer war kürzer. Er konnte die Spur der Grigori nicht verfolgen, aber er wusste genau, wo Zeyda war, und die Wächterengel waren ihr dicht auf den Fersen.

      Er sah ihre Schatten durch die Straßen huschen. Zu schnell für menschliche Augen. Sie teilten sich auf, das musste er zu seinem Vorteil nutzen.

      Dem Jüngsten schnitt er zuerst den Weg ab. Nicht nur, weil er der einfachste Gegner war, sondern auch, weil

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