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troff vor Gift. Lässig lehnte er mit verschränkten Armen im Türrahmen, seine Miene eine Mischung aus Spott, Vorwurf und Düsternis.

      »Ich bin – kein Heilsbringer«, antwortete Proud so ruhig wie möglich, entlockte Kyle damit aber bloß ein hämisches Lachen.

      »Tja, das scheinen viele definitiv anders zu sehen. Die Nephilim. Magnus’ Strigoi. Logan.«

      Proud presste die Lippen zusammen und schloss für einen Moment die Augen, um tief durchzuatmen. Es brachte nichts, sich von Kyle provozieren zu lassen, zumal der gerade einfach nicht er selbst war.

      »Die Nephilim suchen Zuflucht, weil man sie verfolgt. L.A. ist weitestgehend sicher. Es mag ihnen zwar nicht klar sein, aber das hat nichts mit mir zu tun, sondern mit van Vaughn. Und mit Logan. Er ist es schließlich, der ihnen den nötigen Schutz verschafft. Ich denke kaum, dass er mich als Heiland sieht. Er weiß, wir machen unseren Job in dieser Sache, wobei meiner eben nicht mehr darin bestehen wird, imaginäre Willkommensfähnchen zu schwenken.« Er verzog die Lippen zu einem gequält-zynischen Lächeln. »Was Lillith angeht …« Er seufzte. »Reden wir nicht von ihr.« Sie sah garantiert keinen strahlenden Helden in ihm. Zumindest darin waren er und sie sich einig.

      Kyle stieß sich ab und kam auf ihn zu, bis er direkt vor dem kleinen Sekretär stand. Dort stützte er erst die eine, dann die andere Hand auf dem glatt polierten Holz ab und beugte sich so weit vor, dass sein Gesicht nur noch Millimeter von Prouds entfernt war.

      »Mir machst du nichts vor. Du weißt so gut wie ich, dass das erst der Anfang deiner Strafe ist. Und weißt du was? Meiner Meinung nach ist sie mehr als verdient.«

      Verblüfft und zornig zugleich runzelte Proud die Stirn. Drehte Kyle völlig durch? »Strafe? Wofür?« Er war zwar ganz sicher kein Unschuldsengel und hatte in seinem Leben eine Menge Sünden begangen, doch von denen sprach Kyle wohl eher nicht.

      »Du hast – eine Nephilim verwandelt!«, flüsterte Kyle mit vor Zorn bebender Stimme. Ein Wunder, dass er nicht meine Nephilim sagte. »Du glaubst ja wohl nicht ernsthaft, dass das nicht bemerkt wurde. Oder noch lange ungesühnt bleibt. Es ist ein Sakrileg. Die Seraphim werden nicht darüber hinwegsehen. Wenn wir deswegen scheitern, trägst du die Schuld daran. Du wirst uns alle mit dir in die Hölle reißen.«

      Proud wusste nicht, ob er lachen oder vor Fassungslosigkeit den Kopf schütteln sollte. Er blickte Kyle lange in die Augen, versuchte, zu ergründen, was in ihm vorging. Nicht zuletzt, weil auch immer noch die leise Furcht da war, dass all dieses seltsame Verhalten in Greco und seiner Strigoi gründete – oder auch in Magnus – und Kyle ihnen längst weit mehr entglitten war, als sie ahnten. Was, wenn er dem Feind womöglich ständig Bericht erstattete? Aber in Kyles Augen war nichts, was darauf hinwies. Da war nur Angst und Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit. Ein in die Ecke gedrängtes Tier, das um sich biss. Fast hätte Proud Mitleid haben können, doch am Ende siegte die Wut, weil Kyle ihn missbrauchte, um ein Ventil für all das zu haben. Es war nicht seine Schuld, dass es so weit gekommen war. Nicht seine allein.

      »Du bist verrückt, Kyle«, zischte er. »Das eine hat mit dem anderen rein gar nichts zu tun. Davon mal abgesehen, ich habe nicht eine Nephilim verwandelt, ich habe Beth verwandelt, um zu verhindern, dass sie stirbt. Du warst ja zu feige dazu. Toller Liebesbeweis, sie lieber sterben zu lassen, als mögliche Konsequenzen dafür in Kauf zu nehmen, dass sie zumindest überlebt.«

      »Überlebt?«, echote Kyle. »Nennst du das etwa Leben? Sie ist ein verdammter Zombie! Das ist kein Leben, das ist eine Tortur. Der du sie ausgesetzt hast. Ein langsames, siechendes Sterben. Findest du wirklich, dass sie das verdient hat? Wir wissen doch gar nicht, ob sie je wieder aufwacht.«

      Tausend Antworten gingen Proud durch den Kopf, die alle bereits gesagt worden waren. Sie änderten nichts. Was geschehen war, war geschehen. Jetzt konnten sie nur noch warten.

      »Sie atmet, ihr Herz schlägt und sie träumt. Also lebt sie«, antwortete er gepresst. »Wenn du erwartest, dass ich mich hierfür entschuldige oder es bereue, vergiss es. Ich weiß, dass es richtig war. Sie wird es schaffen. Weil sie stark ist.«

      »Sie hätte das nie gewollt.«

      »Ach ja?«, schoss Proud nun zurück, weil er Kyles Gejammer so lächerlich fand. »Redest du dir das ein, damit du dich nicht schuldig fühlen musst, weil du den Schwanz eingezogen hast?«

      Blitzschnell erhob Kyle drohend seine Faust. Schmerz und Wut verzerrten seine Miene, doch der Schlag in Prouds Gesicht blieb aus. Er ließ sich davon so oder so nicht einschüchtern und zuckte nicht einmal mit der Wimper. Er wusste genau, worum es hier in Wahrheit ging.

      »Ich habe Beth das Leben gerettet«, betonte Proud gefährlich leise. »Mehrfach! Während du sie einfach hättest sterben lassen.«

      Es bereitete ihm keine Freude, Salz in Kyles Wunde zu streuen, aber er würde sich von ihm nicht zum Sündenbock machen lassen. Wenn ihn Selbstvorwürfe zerfraßen, weil er gezögert hatte, war das sein Problem. Wenn er nun fürchtete, Beth könnte sich von ihm abwenden, sobald sie wieder erwachte, musste er das mit sich ausmachen. Er hatte einfach eine Minute zu lange gezögert, dafür konnte Proud nichts. Niemals hätte er zugelassen, dass Beth dafür die Konsequenz tragen musste.

      »Rede nicht so mit mir«, fuhr Kyle ihn an, wobei Proud nicht sicher war, ob sein Cousin seine Worte oder seine Gedanken meinte. »Wag es nicht.« Tränen schimmerten in seinen Augen. »Du weißt, ich liebe sie und würde alles für sie tun. Das habe ich bewiesen, oder denkst du, es macht mir Spaß, den Schnitterfluch noch immer nicht loszusein? Ihn vermutlich nie wieder loszuwerden?«

      »Hast du deshalb Kontakt zu Magnus aufgenommen?« Die Frage war heraus, ehe Proud sie zurückhalten konnte. Ein Schatten glitt über Kyles Gesicht. Er zögerte mit der Antwort eine Sekunde zu lang.

      »Ich habe mit Magnus nichts zu schaffen.«

      Lügner, dachte Proud, sprach es jedoch nicht aus. Betroffen presste Kyle die Lippen aufeinander und funkelte ihn zornig an. Erstaunlicherweise fand Proud nichts in seinem Blick, was tatsächlich auf eine Lüge hindeutete. Kein Flackern, keine Unsicherheit. Der Vorwurf verletzte ihn, nicht mehr und nicht weniger. Sollte es doch bloß ein Missverständnis sein? Aber das Risiko war einfach zu groß, also blieb er auf der Hut.

      Es kratzte Proud nicht die Bohne, ob Kyle ihn hasste oder nicht, er war zu müde, um sich darüber Gedanken zu machen.

      »Selbst wenn sie wieder erwacht, und losgelöst von der Bedrohung durch die Seraphim«, wechselte Kyle das Thema, was verdächtig nach Ablenkung klang, »ich bleibe dabei, Proud, was du getan hast, war falsch. Du hast Beth damit zu einer Hölle verdammt, die sie freiwillig nie gewählt hätte. Denn eines hast du in deiner heroischen Rettungsaktion nicht bedacht. Die Folgen, die es für sie hat. Sie ist jetzt ein Azrae. Das bedeutet, sie wird Blut trinken müssen. Menschliches Blut. Du weißt, was das bedeutet. Für uns, die wir so geboren werden. Der lange, stetige Prozess. Diese Gnade hat sie nicht. Sie wird dort hineingeworfen, ohne Halt, ohne Kontrolle, egal, welche Opfer sie wählt. Sie hat dem Rausch nichts entgegenzusetzen und auch nicht dem Sog der Gegenwelt. Ich kenne sie. Ich kenne sie vielleicht besser als du. Das wird sie nicht überstehen.«

      Proud schluckte. Diese Tatsache hatte er tatsächlich wohlweislich in den Hintergrund gedrängt, als er Beth sein Blut gegeben hatte, weil es seine Entschlossenheit womöglich geschwächt, wertvolle Sekunden und Beth somit ihr Leben gekostet hätte.

      »Sie ist stark!«, sagte er so entschieden, als müsste er sich selbst davon überzeugen. »Sie schafft das.«

      Kyle lachte höhnisch. »Sicher? Oder versuchst du nur gerade, deine Schuld kleinzureden? Sie ist nicht als Azrae geboren. Sie wird damit nicht umgehen können. Mit dem Hunger, der Gier. Es wird sie verzehren. Und mit dem ersten Tod, den sie einem Menschen bringt, wird sie an ihrer neuen Natur zerbrechen. Dafür trägst du die Verantwortung. Dieser Tod wird grausamer sein, als wenn sie in Genf gestorben wäre.«

      »Ich werde ihr Halt sein«, knurrte Proud entschlossen. »Wenn sie mich braucht, bei jedem Schritt, den sie macht, werde ich an ihrer Seite sein. Sie wird nicht scheitern. Sie kann ihre neue Natur annehmen. Vielleicht kennst du sie doch nicht so gut, wie du glaubst. Ihr Mitgefühl

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