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der junge Majoratsherr erschrocken.

      Ulrikes Gesicht, das früher voll und lebendig gewesen war, hatte seine frischen Farben verloren. Es war blaß und schmal geworden, so daß die dunklen Augen übernatürlich groß erschienen. Die vollen Lippen zitterten ein wenig und gaben dem Gesicht einen angstvollen Ausdruck. Das braune Haar trug Ulrike glatt zurückgekämmt.

      Rainhart erhob sich. »Sie stören nicht, Ulrike«, sagte er mit beklemmter Stimme. »Wollen Sie uns nicht Gesellschaft leisten?«

      Zögernd kam sie näher. »Grüß Gott, Rainhart«, sagte sie und gab ihm ihre schmale Hand, die, kalt und zitternd, in der seinen fast verschwand. »Wir haben uns wohl eine Ewigkeit nicht gesehen!« Ihr Lächeln wirkte rührend und schmerzlich zugleich. »Bitte, behalten Sie doch Platz!«

      Rainhart setzte sich wieder und fing den brennenden Blick voll schmerzvoller Verzweiflung auf, mit dem Konrad Eckhoff seine Tochter betrachtete.

      »Trinkst du einen Schluck Sherry mit uns, Ulrike?« fragte er liebevoll.

      »Nur einen winzigen Schluck«, erwiderte Ulrike leise.

      Rainhart sah sie an, und alle Worte, die ihm durch den Kopf gingen, erstarben auf seinen Lippen. Eine heiße Woge des Mitleids wallte in ihm auf.

      Sollte es wirklich wahr sein, was ihm der Doktor gesagt hatte? Unheilbar krank – ohne Hoffnung, ohne Rettung?

      Die furchtbare Gewißheit schnürte ihm die Kehle zu.

      »Wir haben oft von Ihnen gesprochen«, sagte Ulrike, während ihre durchsichtigen Finger mit dem Sherryglas spielten. »Nicht wahr, Papa?«

      Eckhoff nickte. »Ich habe Arundsen schon gesagt, daß ich mich sehr über seinen Besuch freue. Ich hoffe, daß nun nicht wieder ein Jahr vergeht, bis wir uns das nächste Mal wiedersehen!« Er zwinkerte Rainhart zu, doch sein heiterer Spott wirkte gezwungen, und seine hellen Augen blickten ungewöhnlich ernst und traurig auf Ulrike.

      »Sie werden meinen Besuch hoffentlich bald erwidern«, sagte Arundsen rasch. »Sie kommen mit, Ulrike, ja?«

      Ihre dunklen Augen leuchteten. »Ja – o ja, gern!« murmelte sie, doch sogleich erstarb der freudige Glanz auf ihrer Miene, und sie warf einen ängstlichen Blick auf ihren Vater. »Ich darf doch, Papa, ja?«

      Rainhart sah, daß Eckhoff beide Hände zu Fäusten ballte und sie gegen die Knie preßte. »Natürlich, Ulrike«, antwortete er mit spröder Stimme. »Warum nicht?«

      »Ich dachte«, flüsterte sie und senkte den Kopf.

      Eckhoff straffte sich plötzlich und sah Arundsen mit einem entschlossenen Blick an. »Ulrikes Gesundheit ist nicht die beste«, erklärte er hastig. »Sie muß sich schonen. Der Arzt hat ihr Aufregungen und Anstrengungen verboten.«

      Rainhart spürte, daß sehr viel von seiner Antwort abhing. »Nun, ich hoffe, daß ein Besuch auf meinem Gut weder mit besonderen Anstrengungen noch mit Aufregungen verbunden ist«, sagte er leichthin. »Jedenfalls werde ich mich bemühen, alles von Ihnen fernzuhalten, was Sie beunruhigen könnte, Ulrike!« Mit einem freundlichen Lächeln sah er sie an.

      Sie erwiderte seinen Blick mit einem raschen Augenaufschlag. »Danke, Rainhart – vielen Dank!« flüsterte sie.

      »Wir haben wenig Gäste«, sagte Konrad Eckhoff, aus dessen Gesicht die Spannung gewichen war. »Seit dem Tod meiner Frau ist es recht still im Haus geworden. Es wäre wirklich schön, wenn wir Sie öfter bei uns sehen würden, Arundsen!« Hinter seinen Worten stand eine so dringende Bitte, daß Rainhart eifrig zusagte.

      »Sie wissen, daß ich lange Zeit ebenfalls sehr zurückgezogen gelebt habe. Auch ich habe jetzt den Wunsch, aus meiner Einsamkeit auszubrechen!« sagte er mit einer Spur von Selbstironie.

      Ulrike streckte zögernd ihre blasse Hand aus, doch sie wagte nicht, Rainharts Arm zu berühren. »Es hat mir schrecklich leid getan damals«, flüsterte sie. Als sein Blick sie traf, senkte sie rasch die Lider.

      Er sah, daß sie lange Augenwimpern hatte, die tiefe Schatten auf die durchsichtigen Wangen warfen, und plötzlich erfaßte ihn das Bedürfnis, dieses zarte, zerbrechliche Wesen zu beschützen. »Es ist vorbei, Ulrike«, sagte er unbewegt und bemühte sich, seiner Stimme die nötige Überzeugungskraft zu geben. »Es gibt Schlimmeres im Leben.« Als er es ausgesprochen hatte, erschrak er. Er sah, daß Ulrike zusammenzuckte, und er bemerkte den forschenden Blick, den Eckhoff ihm zuwarf.

      »Kathinka hat einen anderen Mann geheiratet, nicht wahr?« fragte Ulrike hastig, und es war deutlich zu merken, daß sie mit ihrer eigenen Verwirrung rang.

      Deshalb nahm Rainhart ihr diese Frage, auf die er bei jedem anderen schroff reagiert haben würde, nicht übel. »Ja«, antwortete er langsam. »Sie hatte ihn geheiratet, ehe das Kind zur Welt kam.«

      »Es muß ein furchtbarer Schlag für Sie gewesen sein«, flüsterte Ulrike, und daran erkannte er, daß ihr jene Zusammenhänge kein Geheimnis waren.

      »Sind Sie mir böse?« fragte sie angstvoll und wagte kaum, ihn anzusehen.

      Rainhart lächelte ihr beruhigend zu. »Nein, Ulrike, ich bin Ihnen nicht böse!«

      »Gott sei Dank!« Es war mehr ein Seufzer als ein gesprochenes Wort.

      Konrad Eckhoff bemerkte die Spannung, die plötzlich entstanden war, und lenkte das Gespräch geschickt auf landwirtschaftliche Fragen.

      Als Rainhart sich wenig später verabschiedete, fragte sie mit leiser Stimme: »Werden Sie wirklich wiederkommen?«

      Er lächelte auf sie hinab. »Ich habe es Ihnen doch versprochen!«

      *

      »Sie haben wundervolle Pferde«, sagte Ulrike und beugte sich über die Seitenwand der Box.

      »Sie lieben die Tiere, nicht wahr?« fragte Rainhart Arundsen und streifte Ulrikes schlanke Gestalt in dem duftigen Sommerkleid mit einem raschen Blick.

      Sie nickte lebhaft und wandte sich zu ihm um. »Ich liebe die Tiere und die Menschen«, entgegnete sie mit einem zarten Lächeln. »Am allerliebsten habe ich kleine Kinder.«

      Rainhart gab es einen Stich.

      War sie wirklich ahnungslos, wie es um sie stand? Bei allen ihren Besuchen auf Gut Arundsen oder bei den Gesprächen, die er mit ihr geführt hatte, wenn er sie besuchte, hatte sie kein Wort von ihrer schweren Krankheit erwähnt.

      Und auch Konrad Eckhoff sprach nie darüber. Nur seine sorgenvolle Miene verriet, wie er litt.

      Rainhart Arundsen befand sich seit Wochen in einem inneren Zwiespalt, aus dem er keinen Ausweg sah. Der Gedanke, den er immer wieder von sich zu schieben versuchte, nahm ständig mehr Raum in ihm ein.

      Ich könnte sie heiraten, dachte er oft, wenn er allein in seinem Arbeitszimmer saß. Sie würde meine Frau, und ich würde versuchen, ihr die wenigen Jahre, die ihr noch verbleiben, so angenehm wie möglich zu gestalten. Sie könnte ein Kind haben, Langeloh hat es gesagt.

      Aber er wußte auch, daß es gefährlich war, wenn eine Frau mit diesen schwerwiegenden Krankheitserscheinungen ein Kind zur Welt bringen sollte…

      Immer wieder geriet Arundsen in diesen Gedankenkreis. Er kam nicht davon los, und bei jedem neuen Zusammentreffen mit Ulrike drängte sich dieser Wunsch bei ihm in den Vordergrund.

      Ulrike trat jetzt neben »Mustang«, der früher Kathinkas Lieblingspferd gewesen war, und legte ihm die Arme um den Hals.

      »Vorsicht, Ulrike, ›Mustang‹ ist ein feuriges und unberechenbares Pferd!« warnte er. »Nehmen Sie sich vor ihm in acht!«

      Doch Ulrike lächelte Rainhart unbekümmert an. »Ich habe keine Angst«, sagte sie ruhig, während sie ihr Gesicht an den Hals des Tieres legte.

      »Mustang« schnaubte ein wenig und drehte neugierig den Kopf zur Seite.

      Ulrike streichelte ihn zärtlich.

      Rainhart beobachtete sie in stummer Ergriffenheit.

      Sie

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