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her geschieht! Seit einem dreiviertel Jahr nehme ich keinen Anteil mehr an meiner Umgebung, weil ich nur mit meinem eigenen Schicksal beschäftigt bin!

      Er erkannte, wie egoistisch er in seinem Leid geworden war, indem er für das Leid der anderen kein Auge mehr gehabt hatte.

      Ich werde die Eckhoffs besuchen! nahm er sich in diesem Augenblick vor. Ich werde mich jetzt überhaupt viel mehr um das Wohl und Wehe der Leute aus dem Ort kümmern, so wie ich es früher getan habe!

      »Ulrike Eckhoff leidet an einer hoffnungslosen Krankheit«, sprach der Doktor jetzt nach einem langen Schweigen zögernd weiter. »Es ist eine Erkrankung der Lymphdrüsen. Keine Rettung, wenn man nicht im allerfrühesten Stadium operiert. Krebs. Na, Sie wissen ja…« Er brach ab und kam mit einem unsicheren Schritt auf Arundsen zu. »Heute habe ich die Nachricht von der Klinik bekommen: hoffnungslos – absolut hoffnungslos. Sie hat wahrscheinlich noch zwei oder drei Jahre zu leben. Verstehen Sie jetzt, warum ich heute mehr trinken mußte, als mir guttat?«

      »Ich verstehe es«, antwortete Rainhart heiser. Er hatte Mühe, seine Gedanken zu ordnen, um das zu begreifen, was er eben vernommen hatte.

      Ulrike Eckhoff – ein hübsches dunkelhaariges Mädchen mit einem klaren, frischen Gesicht – große, warmherzige Augen mit einem stillen Leuchten – eine weiche, wohllautende Stimme. Und dieses Geschöpf war vom Tode gezeichnet!

      Es fiel Rainhart schwer, sich Ulrikes Züge genau vorzustellen. Er hatte sie sehr lange nicht mehr gesehen, obwohl das Gut der Eckhoffs nicht weit entfernt von dem seinen lag.

      »Gibt es – keine Rettung?« fragte er gepreßt. Langeloh schüttelte den Kopf. »Keine«, antwortete er dumpf. »Manche Ärzte sind der Meinung, die Bestrahlungen könnten die Krankheit aufhalten. Ich bin nicht davon überzeugt. Siebzig Prozent der an Lymphdrüsenkrebs Erkrankten stirbt innerhalb von fünf Jahren, wenn die Krankheit schon so weit fortgeschritten ist.« Er fuhr sich verzweifelt über die Augen. »Ich möchte so gern die Hoffnung der optimistischen Ärzte teilen, verstehen Sie? Aber ich kann es nicht!« Er schwieg, und als er wieder zu sprechen begann, war seine Stimme heiser und voll Unsicherheit. »Vielleicht sollte man das letzte, verrückteste Mittel versuchen, das einer der Ärzte vorgeschlagen hat, obwohl er dafür fast von seinen Fachkollegen gesteinigt worden wäre!«

      »Was für ein Mittel ist das?« Rainhart sah den Arzt gespannt an.

      Über die Miene des Doktors lief ein bitteres Lächeln. »Der Professor – ein junger Wissenschaftler aus Amerika, der ganz neue Wege geht – hat gesagt, sie solle ein Kind haben, denn sie hat sich seit jeher Kinder gewünscht. Einen Mann, der sie liebt, und drei oder vier Kinder das war schon immer Ulrikes heißester Wunsch, der sie sogar davon abgehalten hat, einen Beruf zu ergreifen.«

      »Ein Kind?« wiederholte Arundsen fassungslos. »Darf eine so kranke Frau denn überhaupt ein Kind bekommen?«

      Langeloh zuckte die Achseln. »Alle Welt verdammt den amerikanischen Professor, der eine so ketzerische Idee geäußert hat. Aber irgend jemand muß es Ulrike gesagt haben, und sie hat mich voll Erregung danach gefragt, ob es wahr wäre, daß dies ihr helfen könnte.«

      »Was haben Sie geantwortet?«

      »Ich mußte ihr sagen, daß ich es nicht weiß«, erwiderte Langeloh bedrückt.

      »Wie kommt er dann auf einen solchen Vorschlag?« fragte Arundsen erregt.

      Langeloh preßte die Hände ineinander. »Wir wissen so wenig, Arundsen«, erwiderte er langsam. »Im Grunde ist es ganz erbärmlich um unsere Wissenschaft bestellt, wenn wir mal ehrlich sein wollen. Sehen Sie, darum trinke ich an einem solchen Tag! Wenn ich glaube, das alles nicht mehr ertragen zu können«, setzte er entschuldigend hinzu. »Ich bin in einem furchtbaren Zwiespalt. Was soll ich mit Ulrike Eckhoff machen? Was soll ich ihr sagen? Sie hat so viel Vertrauen zu mir.«

      »Gibt es denn einen Mann in Ulrike Eckhoffs Leben, der sie trotz der Krankheit und der fürchterlichen Gewißheit ihrer Unheilbarkeit heiraten würde?« fragte Arundsen.

      »Ich weiß nicht«, antwortete der Doktor zögernd. »Manchmal hatte ich den Eindruck, daß Ulrike einen jungen Mann liebt, von dem sie sich leidenschaftlich ein Kind wünscht, aber sie hat niemals seinen Namen erwähnt.«

      Ein Kind! dachte Rainhart, und diese Worte brannten sich in sein Gedächtnis ein.

      Ein wahnsinniger Gedanke erfaßte ihn und ließ ihn sekundenlang vor sich selbst erschauern.

      Wenn ich sie heiraten würde? Wie weit bin ich gekommen? warf er sich voll ohnmächtiger Verzweiflung vor, Ich denke nur an mich, an mich und das Gut, und in diesem fanatischen Bestreben, den Besitz zu erhalten, schrecke ich nicht einmal vor dem Schicksal dieses todgeweihten Mädchens zurück!

      Vergiß es, Rainer! redete er sich selbst energisch zu. Vergiß es, denn es ist ein teuflischer, berechnender Plan!

      *

      Konrad Eckhoff begrüßte mit einem erstaunten Blick den jungen Majoratsherrn. »Wie schön, Sie nach so langer Zeit einmal wiederzusehen, Arundsen!« sagte er und geleitete den Gast in die Bibliothek.

      Rainhart hatte Mühe, seine Verlegenheit zu überspielen, und es fiel ihm kein plausibler Grund ein, mit dem er seinen unverhofften Besuch erklären konnte.

      Aber Eckhoff schien es auch nicht zu erwarten. »Setzen Sie sich, Arundsen! Wir werden in aller Ruhe einen Sherry miteinander trinken.«

      »Danke, ich schlage Ihr Angebot nicht ab«, erwiderte Rainhart. Er war froh darüber, daß Eckhoff ihn mit völliger Selbstverständlichkeit behandelte.

      Eckhoff schenkte die Gläser ein und setzte sich dann seinem Besucher gegenüber in einen der tiefen Ledersessel. »Wirklich, ich muß es noch einmal sagen: Ich freue mich, Sie heute bei mir zu sehen!«

      »Ich bin gekommen, um Sie zu fragen, ob Sie mich gelegentlich mit Ihrer Tochter auf dem Gut besuchen wollen«, sagte Reinhart, und er wunderte sich selbst, wie glatt ihm diese Aufforderung über die Lippen gekommen war.

      Eckhoff sah Arundsen forschend an. »Wir kommen gern«, antwortete er zögernd, »obwohl ich ehrlich gestehen muß, daß mich Ihre Einladung etwas merkwürdig berührt.«

      »Warum?« Rainhart wurde unruhig. Glühende Röte schoß ihm ins Gesicht. Ahnte Eckhoff, welcher Gedanke ihn erfaßt hatte, als er von Ulrikes Erkrankung gehört hatte?

      »Sie haben sich von allen Freunden und Bekannten zurückgezogen«, fuhr Eckhoff fort, »und deshalb wundere ich mich, daß Sie sich nun ausgerechnet auf uns besinnen. Hat das bestimmte Gründe?«

      Rainhart lächelte und fand dabei seine Sicherheit wieder. »Nein, Herr Eckhoff, ich will nur allmählich – wie man so schön sagt – ins Leben zurückkehren. Ich hatte eine Enttäuschung erlebt, die ich nur mühsam überwinden konnte.«

      Du hast sie ja noch gar nicht überwunden! sagte eine innere Stimme in ihm, doch er wollte sie nicht wahrhaben.

      Eckhoff nickte kurz. »Ich habe davon gehört«, erwiderte er ruhig. »Sie standen damals kurz vor der Hochzeit, nicht wahr?«

      »Ja«, gab er knapp zurück.

      »Sie möchten nicht darüber sprechen?«

      »Nein.«

      Der Gutsherr hob das Glas. »Ich kann es verstehen«, sagte er und trank Rainhart zu. »Es gibt Dinge, die man mit sich allein abmachen muß«, setzte er leise hinzu.

      Rainhart ahnte, was Eckhoff damit sagen wollte.

      Wahrscheinlich bin ich der einzige Außenstehende, der es weiß! dachte er. Langeloh hatte ihm später, als er wieder nüchterner geworden war, das feste Versprechen abgenommen, über das, was er an jenem Abend gehört hatte, Stillschweigen zu bewahren.

      Doch plötzlich hörte Rainhart eine Tür klappen, und Ulrike Eckhoff stand auf der Schwelle.

      »Oh, ich wußte nicht, daß du Besuch hast, Papa«, sagte sie und wurde dunkelrot. »Ich störe gewiß, nicht wahr?«

      Unsicher

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