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Sekunde.« Verblüfft hat er mich angeblinzelt. »Der Hottie hätte mit dir gevögelt und du hast abgelehnt? Mann, Anton. Dir ist echt nicht mehr zu helfen.«

      Das Schlimme ist: Je länger mir der Pizzabote im Kopf herumspukt, desto mehr muss ich Kev zustimmen. Was hätte ich zu verlieren gehabt? An diesem Abend habe ich eh kaum noch was geschafft, sondern nur meine Pizza gegessen. Und den verdammten Fehler im Code habe ich auch erst am Morgen danach gefunden.

      Eine halbe Stunde Auszeit. Hoffentlich ein Orgasmus. Vielleicht sogar Spaß. Etwas abschalten. Was wäre schon dabei gewesen?

      »Anton!«

      Mit einem Ruck sitze ich wieder mit meiner Familie am Esstisch, statt mir vorzustellen, wie ich noch mal bei Tonis Trattoria anrufe und die Spezialpizza bestelle. Wer weiß schon, ob derselbe Mann die Auslieferung fahren würde? Ob er noch Lust hätte?

      »Siehst du!« Anita zeigt auf mich wie auf die Musterlösung einer schwierigen Programmieraufgabe. »Genau so was meine ich. Es ist frustrierend, wenn man sich den Mund fusselig redet und niemand hört einem zu.«

      »Ich höre zu.« Ich sehe meinen Vater wieder an, der streng die Augenbrauen zusammengezogen hat. »Ich war nur gerade... Was hast du gesagt?«

      »Wenn du bei deiner App auch die ganze Zeit Löcher in die Luft starrst, wundert es mich nicht, dass du nicht vorankommst. Du hast nach der Uni noch nicht mal ein volles Jahr bei mir gearbeitet. Dir fehlt die Disziplin für eine Selbstständigkeit.«

      Dass ich es kein ganzes Jahr bei ihm ausgehalten habe, hat nicht an mangelnder Disziplin gelegen, sondern neben den eintönigen Aufgaben vor allem an seiner Art. So, wie er alles kontrolliert und überwacht, könnte er genauso gut Roboter anstellen.

      »Ich komme voran. Und ich arbeite sehr hart und diszipliniert an meiner App. Du kannst meinen Schreibtisch also gerne neu besetzen.«

      Mein Vater schnaubt und verschränkt die Arme vor der Brust. »Dein Schreibtisch wartet auf dich, bis du wieder zurück bist. Die Arbeit darauf übrigens auch und die wird in der Zeit nicht weniger.«

      Es macht mich wahnsinnig, dass er die ganze Zeit redet, als würde ich nächste Woche wieder bei ihm anfangen. Trotzdem versuche ich, ruhig zu bleiben. »Ich komme nicht zurück. Wenn meine App –«

      »Deine App, deine App.« Mein Vater wirft die Hände in die Luft. »Das ist alles, was ich höre, aber du hast nichts Konkretes. Keinen Namen, kein Konzept, kein Design, keinen Code –«

      »Ich arbeite am Code«, unterbreche ich ihn mit etwas mehr Nachdruck. Allmählich geht mir dieses Thema an die Substanz. »Und an allem anderen. Außerdem habe ich ein Büro. Ich verlasse jeden Morgen genau wie ihr das Haus und komme abends erst spät nachts heim.«

      »Nun ja«, sagt meine Mutter, die sich für gewöhnlich aus der Diskussion mit meinem Vater heraushält, grundsätzlich jedoch dieselbe Meinung wie er vertritt. Kein Wunder, schließlich ist sie genau wie Anita tief mit der Firma verbunden und arbeitet genauso viel wie mein Vater. »Ein Büro zu haben, hat nichts mit einer App zu tun. Ist das nicht so ein Co-Working-Space, wo du dich eingemietet hast?«

      »Nichts Halbes und nichts Ganzes«, brummt mein Vater.

      »Ob nun Co-Working-Space oder nicht, ich arbeite trotzdem.« Derzeit wahrscheinlich sogar mehr als sie alle drei zusammen.

      »Für lau. Bei mir bekommst du nicht nur ein anständiges Gehalt, sondern auch sämtliche Überstunden und Wochenendarbeit bezahlt. Also sei nicht so stur und komm zurück.«

      »Nein.«

      Mein Vater haut so kräftig auf den Tisch, dass das Geschirr scheppert. »Herrgott, Anton, sei doch nicht so –«

      »Was genau soll deine App denn machen? Irgendeinen Plan musst du ja haben.«

      Ich sehe Anita an, unsicher, ob sie mir mit dem Einwurf helfen oder mich nur weiter vorführen will.

      Sie ist fünf Jahre älter als ich, aber eigentlich haben wir uns immer gut verstanden, bis sie mit sechzehn angefangen hat, ab und zu in der Firma auszuhelfen. Danach ist sie immer verbissener geworden, kämpferischer, besserwisserischer – fast so wie unser Vater. Früher wäre das eine Beleidigung für sie gewesen. Inzwischen bin ich mir da nicht mehr so sicher.

      »Natürlich habe ich einen Plan.«

      Auffordernd hebt sie die Augenbrauen. »Super. Schieß los. Wir sind ganz Ohr. Vielleicht können wir dich unterstützen.«

      Mein Vater schüttelt schnaufend den Kopf und fängt an, die Teller zu stapeln, da ohnehin niemand mehr isst.

      »Die App soll auf den Social-Media-Plattformen beim Fotodesign helfen. Templates, kleine animierte How-To-Videos für Neulinge –«

      »Nicht schon wieder der Fotoquatsch!« Anklagend deutet er auf meine Mutter. »Daran ist nur deine Schwester schuld. Wenn sie ihm damals nicht diese Kamera geschenkt hätte...!«

      Abwehrend hebt sie die Hände. »Sie hat das nicht mit mir abgesprochen. Du weißt doch, wie sie ist, wenn sie sich einmal was in den Kopf gesetzt hat.«

      »Oh ja. Völlig unzurechnungsfähig, genauso wie die Sache mit diesem Amerikaner, mit dem sie mal eben über den großen Teich gehüpft ist, nachdem sie hier alles hat stehen und liegen lassen.«

      Kopfschüttelnd stellt er die gestapelten Teller auf die Servierplatte mit den Resten des Schweinebratens. Meine Eltern sind der Meinung, dass man nicht aus Pappschachteln essen muss, nur weil das Essen geliefert wird. Sogar im Büro füllen sie das Essen um, sehr zur Belustigung des ein oder anderen Mitarbeiters.

      »Eine Fotodesign-App.« Mein Vater schnaubt wie ein Rottweiler, der statt seines Lieblingsfutters Schonkost serviert bekommt. »So was braucht kein Mensch. Jedes Handy macht heutzutage perfekte Fotos, dazu all die mitgelieferten Filter... Das ist die reinste Zeit- und Geldverschwendung!« Dieses Mal ist sein Finger auf mich gerichtet. »Zeit und Geld, die ich in dich investiert habe, damit du bei mir arbeitest.«

      Ich öffne gerade den Mund, um etwas darauf zu erwidern, als Anita fragt: »Und diese App willst du verkaufen?«

      Weil ich eh schon im Antwortmodus bin, sage ich, ohne nachzudenken: »Eigentlich will ich sie kostenlos zur Verfügung stellen und In-App-Käufe –«

      »Kostenlos! Kostenlos?!«

      »Bert, bitte.«

      »Wie zum Donnerwetter noch mal willst du davon leben, wenn du deine Arbeit kostenlos...! Für so einen Quatsch habe ich nicht dein Studium finanziert!« Er schnappt nach Luft. Sein Gesicht ist vor Zorn krebsrot angelaufen.

      Derartige Ausbrüche hat er seit meiner Kündigung regelmäßig, sonst würde mich seine Gesichtsfarbe vielleicht beunruhigen. Tatsache ist jedoch, dass wir dieses Gespräch in abgewandelter Form und abzüglich genauer Details zur App schon so oft geführt haben, dass ich beinahe vorhersehen kann, wann welche Äußerung kommt.

      Anfangs hat mich jeder Streit in eine tiefe Krise gestürzt. Ich habe so sehr an mir gezweifelt, dass ich schon zweimal kurz davor war, alles hinzuschmeißen. Keine Ahnung, ob ich dann wieder für ihn gearbeitet oder mir etwas anderes gesucht hätte. Hauptsache, ich hätte wieder etwas gemacht, das seine Zustimmung findet und diese elenden Reibereien beendet.

      Aber ich habe durchgehalten – bis jetzt zumindest. Ich weiß, dass weder mein Vater noch meine Mutter oder meine Schwester viel von Fotografie halten, aber mir bedeutet sie etwas. Allein schon, um ihnen allen zu beweisen, dass es eben kein Hirngespinst ist, mit dem ich mich seit zwei Wochen beschäftige, muss ich eine perfekte App launchen, die auf zahlreiche begeisterte Abnehmer stößt.

      Alles andere ist inakzeptabel.

      »Sie ist ja nicht ganz kostenlos. Nur die Basis-Funktionen. Solche Modelle gibt es oft in den App-Stores. Das ist bekannt und akzeptiert.«

      Mein Vater macht eine wegwerfende Handbewegung, steht abrupt auf, schnappt sich das gestapelte Geschirr und marschiert ohne ein weiteres Wort in die Küche.

      Okay. Am besten launche

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