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kurz am Kaffeeautomaten getroffen hätte, würde ich glatt sagen, dass ich zu viel Zeit mit ihm verbringe. Dabei habe ich diese Woche sogar unseren Sundowner auf der Dachterrasse ausfallen lassen. Kev und Joscha sind noch zu mir an den Schreibtisch gekommen, um mich zu überreden, aber da habe ich gerade mitten in einer Brainstormingphase für meine Tutorials gesteckt.

      Die zu nichts geführt hat. Leider. Alles, was mir eingefallen ist, gibt es entweder schon in anderen, weniger bekannten Apps oder wird gerade von den Usern von fotogramma hart gefeiert.

      Sehr frustrierend, zumal ich mich nach dem Brainstorming gefühlt habe wie eine Batterie, die ihre letzten Reserven mobilisiert, um die Taschenlampe zumindest schwach zum Leuchten zu bringen. Zu dumm, dass wirklich so gar nichts Brauchbares dabei war.

      Vielleicht hat Joscha recht und ich brauche etwas Abstand, um besagte Batterie wieder aufzuladen.

      Mein Magen knurrt so laut, dass es in der Stille des Co-Working-Space deutlich zu hören ist.

      Möglicherweise brauche ich auch nur was zu essen. Mit leerem Magen kann niemand gut denken.

      Ich nehme mein Handy vom Notizenstapel rechts neben mir, um Lieferando aufzurufen, als mir die Ecke eines grellgelben Flyers ins Auge springt, der unter dem Stapel hervorlugt. Ich zögere, dann ziehe ich mit der freien Hand den Flyer heraus.

      Tonis Trattoria. Hm. Seit der besonderen Begegnung mit dem Pizzaboten hatte ich keine Pizza mehr. Dabei hat sie gut geschmeckt – toller, krosser Rand und genau die richtige Menge Käse, die den Belag nicht unter einer zentimeterdicken Schicht begräbt. Allein beim Gedanken daran läuft mir das Wasser im Mund zusammen.

      Wirklich? Du fängst wegen der Pizza an zu sabbern?

      Und wenn schon. Es war nett, dass mal wieder jemand mit mir geflirtet hat. Dass jemand sexuelles Interesse an mir gezeigt hat – auch wenn es mich ein bisschen überfordert hat. Ist doch nichts Verwerfliches, dass ich mich begehrt fühlen möchte – oder?

      Bevor ich weiter darüber nachdenken kann, tippe ich die abgedruckte Telefonnummer ins Handy, die mir das System schon nach wenigen Ziffern vorschlägt. Zuletzt vor dreizehn Tagen gewählt.

      Na, wenn das kein Zeichen ist. Wahrscheinlich arbeitet der Fahrer vom letzten Mal heute gar nicht.

      Kapitel 6

      26 Minuten später klingelt mein Handy. Die angezeigte Handynummer kenne ich nicht und sie ist auch nicht eingespeichert, trotzdem macht mein Herz einen Satz hoch in meinen Hals und mir das Atmen plötzlich schwer.

      »Hallo?« Jetzt halte ich ganz die Luft an. Wie viele Fahrer beschäftigt Tonis Trattoria wohl?

      »Hi.« Seine angenehm dunkle Stimme vibriert in meinem Ohr. Mein Herz rutscht zurück an seinen Platz und hämmert in wildem Stakkato in meiner Brust weiter. »Du hast Pizza bestellt?«

      Oh Gott. Wie kann eine so simple Frage so verflucht zweideutig klingen?

      »Ähm, ja.«

      »Super. Lässt du mich rein?«

      »Ja. Sekunde.«

      »Keine Eile.«

      Jetzt wäre der richtige Zeitpunkt, um aufzulegen. Von meinem Schreibtisch im ersten Stock sind es keine zwei Minuten nach unten zur Eingangstür. Trotzdem halte ich mir das Handy weiterhin ans Ohr, während ich den Co-Working-Space durchquere. Nebenbei überzeuge ich mich davon, dass ich inzwischen wirklich allein bin.

      Auch er legt nicht auf. Im Hintergrund höre ich ein Auto vorbeifahren.

      »Fährst du jede Nacht Pizzen aus?«, frage ich, bevor das Schweigen zu seltsam wird.

      Es gibt keine Garantie. Ich habe nicht automatisch in Sex eingewilligt, nur weil ich noch mal bei Tonis Trattoria bestellt habe. Außerdem ist es früher am Abend als letztes Mal. Wahrscheinlich bin ich heute nicht seine letzte Pizza.

      »Nicht jede. Du hast Glück.« Sein Grinsen ist deutlich durch das Handy zu hören und beschert mir ein wohliges Kribbeln.

      »Hab ich?«

      »Jepp. Siggi, der andere Fahrer, nutzt jede Ausfahrt für ein ausgiebiges Zigarettenpäuschen. Bei ihm würde der Karton entweder krass nach Rauch stinken oder die Pizza wäre nur noch lauwarm – würde aber natürlich genauso gut schmecken.«

      »Und bei dir ist die Pizza... heiß?«

      Ich habe wirklich keine Ahnung, wo das hergekommen ist, aber sein leises Lachen macht mir Mut.

      Oh Mann. Vielleicht habe ich doch nicht nur Pizza bestellt.

      »Im besten Fall, ja.«

      Ich erreiche das Erdgeschoss und kann ihn bereits durch die große Glasfront an der Eingangstür lehnen sehen. Das Licht neben der Tür ist durch den Bewegungsmelder angesprungen und wirft einen warmen Schimmer auf seine athletische Gestalt in der braunen Jacke. Ein paar Schritte von ihm entfernt steht ein Roller mit Warmhaltebox auf dem Bürgersteig. Dunkle Augen blitzen mir entgegen und meine Beine werden mit jedem Schritt wackeliger, während mein Schwanz heftig pocht.

      Hierbei ging es nie um Pizza.

      Heilige...!

      Erst an der Eingangstür nehme ich das Handy runter, beende den Anruf und schiebe das Smartphone in meine Hosentasche. Er tut es mir gleich, dann ziehe ich die Tür auf.

      »Hi«, sagt er noch mal. Sein Lächeln ist umwerfend, auch wenn er leicht irritiert den Kopf schief legt. »Wieder eine Nachtschicht?«

      »Sieht so aus.«

      »Hm.« Er reicht mir den Pizzakarton, den er in der Hand hält. »Deine Pizza. Bezahlt ist schon.«

      »Ich weiß. Oh, Mist.« Hitze schießt mir in die Wangen. »Ich habe dein Trinkgeld oben liegen lassen.«

      Er winkt ab. »Nicht schlimm. Die Fahrt hat sich trotzdem gelohnt.«

      Und jetzt wäre der richtige Zeitpunkt, sich von ihm zu verabschieden, die Pizza mit nach oben zu nehmen und sie an meinem Schreibtisch zu essen.

      Im Dunkeln. Allein.

      »Wenn...« Ich räuspere mich und muss noch mal ansetzen. »Wenn du kurz Zeit hast, könntest du mit hochkommen. Dann gebe ich dir das Trinkgeld da.«

      Ein Grinsen umspielt seine Mundwinkel. »Oh, ich hab die ganze Nacht Zeit. Du bist meine letzte Pizza für heute.«

      »Sch...schon wieder?«

      Er zuckt die Schultern. »Hab mich mit Siggi arrangiert, weil ich auf alles vorbereitet sein wollte.«

      »Oh. Okay. Gut. Aber das dauert höchstens fünf Minuten. Das Trinkgeld zu holen, meine ich.«

      Er runzelt die Stirn. »Jetzt bin ich verwirrt. Reden wir hier wirklich übers Trinkgeld?«

      Hilflos klammere ich mich an den Pizzakarton und atme tief durch. So viele Zufälle spielen mir in die Hände, er hat mir deutlich sein Interesse gezeigt und trotzdem stehe ich immer noch hier und zögere?

      »Ich... denke nicht.«

      »Du denkst?«

      »Manchmal zu viel, ja.«

      Er lacht, aber es klingt nicht böse oder abfällig. Es ist sogar ziemlich ansteckend und ich merke, wie ein Teil der Anspannung von mir abfällt.

      »Merkt man gar nicht. Also – soll ich reinkommen oder wieder fahren? Oder gehen wir woanders hin?«

      Ich weiß sofort, dass ich einen Rückzieher machen werde, wenn wir erst noch durch halb München gondeln, und schüttle den Kopf. »Nein. Komm rein.«

      Ich mache einen Schritt zur Seite und lasse ihn eintreten, bevor ich die Eingangstür zuziehe und sichergehe, dass sie verschlossen ist. Um diese Uhrzeit kann man sie nur noch von innen öffnen oder mit der elektronischen Schlüsselkarte, die allen Langzeit-Co-Workern ausgehändigt wird.

      Als ich mich wieder dem Pizzaboten

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