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Herz gegen Vernunft. Nora Wolff
Читать онлайн.Название Herz gegen Vernunft
Год выпуска 0
isbn 9783958238459
Автор произведения Nora Wolff
Жанр Языкознание
Серия Co-Working-Space
Издательство Bookwire
Er betrachtet sein leeres Glas und verzieht kurz ärgerlich die Mundwinkel. Die Flaschen zum Auffüllen stehen vermutlich in einem der Kühlschränke unten. Kevs Gesichtsausdruck nach zu urteilen, zu weit weg. Ich nippe an meinem Bier, das ich bisher kaum angerührt habe. Schon jetzt merke ich, wie mir die wenigen Schlucke auf den leeren Magen schlagen.
Seufzend stellt Kev sein Glas auf der gemauerten Begrenzung der Dachterrasse ab. Unter uns rauscht der Münchner Nachtverkehr vorbei. »So. Und was machen wir nun mit dem angebrochenen Abend?« Er sieht von Joscha zu mir und wieder zurück und rollt die Hüften. »Tanzen, feiern, saufen, Sex?«
Völlig unerwartet wendet er sich wieder mir zu, packt mich und dirigiert mich in eine Pirouette, die ich stolpernd und stümperhaft zu Ende führe, ehe mich Kev dicht an sich heranzieht. Starke Arme pressen mich an einen harten Körper. Im Gegensatz zu mir verbringt Kev seine Zeit nicht nur am Schreibtisch.
Kev beugt sich über mich, so dicht, dass ich seinen Atem auf meinem Gesicht spüre. Gin. Definitiv Gin. »In dieser Reihenfolge?«
Die Situation überfordert mich komplett. Hitze schießt mir in die Wangen und mein Herzschlag stockt. Das letzte Mal, dass ich einem anderen Mann so nahe gewesen bin, ist... ewig her.
War das ein Angebot? Meint er das ernst?
»Ähm, ich... äh, glaube... nicht?«
Ich weiß nicht, wohin mit meinen Händen, wobei ich in der einen zu allem Überfluss immer noch die Bierflasche halte. Ich will ihn auf Abstand schieben, was nicht leicht ist, wenn ich ihn dabei so wenig wie möglich anfassen will. Der Hoodie ist jedenfalls nicht dick genug, um die darunterliegenden Muskeln nicht zu spüren.
Gott. Wieso kann ich das nicht so locker und verspielt wie Joscha?
Grinsend schüttelt Kev den Kopf und lockert seinen Griff. »Mann, Anton. Entspann dich mal. Du bist steif wie ein verdammtes Brett. Und ich meine steif nicht auf die gute, geile Art.« Er lässt mich los. »Ich beiße nicht.« Das wölfische Grinsen auf seinem Gesicht lässt mich schlucken. »Außer du willst es.«
»Äh, nein... ich... danke, nein.« Ich erinnere mich an die Bierflasche in meiner Hand und trinke einen großen Schluck in der Hoffnung, dass der Alkohol meine flatterigen Nerven beruhigt.
Himmel. Bin ich denn wirklich so raus aus diesem Spiel?
Joscha klopft Kev auf die Schulter. »Lass ihn in Ruhe. Du siehst doch, dass ihm das unangenehm ist.«
Kev legt den Kopf schief. »Im Ernst? Was ist dir unangenehm? Beißen? Körperkontakt? Ich?«
»Äh...«
»Kev.«
»Ich frag ja nur.«
Oh Gott, das wird immer schlimmer. Am Ende halten mich die beiden noch für eine verklemmte Jungfrau. »Ich bin nur... etwas aus der Übung. Das ist alles.«
»Dann solltest du dich nicht immer hinter deinem Schreibtisch verkriechen, sondern mal mit uns feiern gehen.«
»Oder du gehst allein feiern.« Joscha wirft Kev einen bezeichnenden Blick zu. »Kev übertreibt es gerne mal. Daran muss man sich erst gewöhnen.«
»Haha. Ich geh jedenfalls nicht allein nach Hause, wenn ich nicht will. Wie lange hattest du keinen Sex mehr, Anton? Einen Monat? Zwei?«
Fast hätte ich mich an meiner eigenen Spucke verschluckt. Das ist die längste Abstinenz, die er sich vorstellen kann?
»Länger als zwei Monate?«
Ich schlucke – und muss erst mal rechnen.
»Oh Scheiße, bitte sag mir, dass es wenigstens innerhalb des letzten halben Jahres war.«
»Das... könnte so gerade hinkommen.« Als mich nicht nur Kev entsetzt ansieht, sondern auch Joschas Blick nachdenklich wird, fühle ich mich wie eine seltene Lebensform, die erst noch genauer erforscht werden muss. Der paarungsunwillige Nerd oder so. »Ich hatte keine Zeit. Ich habe studiert, dann gearbeitet, meine App geplant, bei meiner vorherigen Firma gekündigt...« Diese Entscheidung muss ich heute noch vor meiner Familie verteidigen. »Da kann einem schon mal die Lust vergehen.«
»Wenn mir sechs Monate lang die Lust vergeht, bin ich tot. Und zwar seit mindestens sieben Monaten.«
Joscha kippt seinen Sekt hinunter. »Wollen wir noch irgendwo hingehen? Vielleicht in eine Bar, wenn du kein Clubgänger bist?«
»Moment mal. War das gerade eine Einladung zum Sex? Warum hast du mir noch nie Sex angeboten?«
»Hast du irgendwo das Wort ficken gehört?«
»Bei dir hör ich so Einiges zwischen den Zeilen, Baby.«
»Es war ein Angebot auf angenehme Gesellschaft.« Joscha hebt fragend die Augenbrauen. »Wie sieht's aus? Wir können auch ohne Mr. Multimillionär losziehen.«
»Uh.« Kev stöhnt so laut, dass man sich sechs Stockwerke unter uns auf der Straße fragen könnte, ob hier oben auf der Dachterrasse gerade ein Porno gedreht wird. »Das klingt so heiß, wenn du das sagst. Multi. Millio. När.«
Ich muss lachen und auch Joscha stimmt kurz darauf ein. So anstrengend und schwierig es manchmal mit Kev ist, so lustig kann es auch mit ihm sein. Trotzdem würde mich kein noch so großer Teil seiner Millionen dazu bringen, mit ihm feiern zu gehen. Wenn Joscha schon findet, dass er es dabei übertreibt, würde ich vermutlich vor Fremdschämen im Boden versinken wollen.
Kev grinst. »Na bitte. Das ist doch schon viel besser. Und jetzt suchen wir uns einen Club.« Er zieht bereits sein Handy aus der Bauchtasche seines Hoodies, als er es sich kopfschüttelnd anders überlegt. »Vergesst es. In München gibt es nur einen Club, wo wir hingehen können. Oder wollt ihr den Heteros mal zeigen, wie hart Homos feiern können?« Er schlingt je einen Arm um Joscha und mich und stößt uns mit wiegenden Hüften an. »Pun intended. Vielleicht krieg ich euch mit genug Alkohol noch zu einem Dreier.«
Erschrocken schnappe ich nach Luft, während Joscha schnaubt. »Nie im Leben.«
»Okay. Dann nur du und ich. Anton wird's verkraften, oder, Anton?«
»Ja. Also, nein. Äh, ich meine...« Ich schiebe Kevs Arm von meinen Schultern. »Ich will mit keinem von euch schlafen.«
»Ich auch nicht.« Joscha befreit sich ebenfalls aus Kevs Umarmung.
»Und ich komme auch nicht mit feiern. Oder in eine Bar. Oder sonst wohin. Obwohl das Angebot echt nett ist. Danke.«
Joscha zuckt die Schultern. »Wenn du es dir anders überlegst, sag Bescheid. Ich bin ein guter Zuhörer.«
Es ist niederschmetternd, dass er mir innerhalb weniger Minuten schon zum zweiten Mal seine Gesellschaft anbietet wie einem Obdachlosen einen Kaffee. Ich kann wohl nicht besonders gut verbergen, dass sich mein Sozialleben, inklusive guter Zuhörer, auf ein Minimum beschränkt. Schon gar nicht, nachdem beide nun wissen, dass ich so viel arbeite, dass ich nicht mal Zeit für Sex finde.
»Und ein echter Samariter.« Mit einem theatralischen Seufzen klatscht sich Kev eine Hand auf die Brust. »Bitte sag mir, dass du dich auch meiner erbarmst und mich heute Abend begleitest.«
Joscha hebt die Hand mit der Piccoloflasche und spreizt den Zeigefinger ab, um damit vor Kevs Nase herumzuwedeln. »Nur um auf dich aufzupassen. Nicht, um dich zu ficken.«
Kev schürzt die Lippen. »Hm, das genügt mir.«
»Was machst du dann jetzt?«, fragt Joscha mich, während Kev sein Glas von der Mauer nimmt.
»Ich werde...« ... arbeiten. Gerade noch rechtzeitig verkneife ich mir das Wort. Für heute bin ich erbärmlich genug rübergekommen. Aber ich habe die Bierflasche nicht mal zur Hälfte geleert und auf meinem Mac wartet noch ein Problem auf mich. Es ist ja erst zehn. Oder jetzt halb elf. Noch eine Stunde oder so. Bis die Pizza geliefert wird.
Pizza!