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Vor dem Eingang rechts in einer nicht einsehbaren, etwas abgeschotteten Ecke stehen die Kickertische.

      Neben dem Co-Working-Space mit flexiblen und fixen Arbeitsplätzen gibt es zwei Gemeinschaftsküchen, vier Kaffee- und Teeküchen, diverse Meetingräume jeder Größe, Art und Ausstattung, Einzelbüros und kleinere Co-Working-Offices.

      Alles in allem sehr modern, trendy, hipstermäßig und das genaue Gegenteil von den vollgestopften, beengten Büroräumen, in denen mein Vater seit Jahrzehnten residiert.

      Trotzdem ein Luxus, den ich mir eigentlich nicht leisten kann. Der Esstisch in meiner Wohnung kostet nichts, abgesehen von der Miete, die ich sowieso zahle. Aber es wirkt zweifellos professioneller, wenn ich morgens zum Arbeiten das Haus verlasse und so etwas wie eine Bürogemeinschaft um mich herum habe, anstatt den ganzen Tag in Jogginghose in den eigenen vier Wänden zu sitzen.

      Als ich an der Sitzgruppe in der Mitte vorbeigehe, fallen mir auf dem Couchtisch eine Handvoll neongelber Flyer auf, einerseits wegen der schaurigen Fotos, andererseits wegen der abgebildeten Pizza, auf die mein ausgehungerter Magen sofort anspringt. Dankenswerterweise ist die grauenvolle, knallrote Comic Sans-Schrift so über die Fotos geklatscht, dass sie das meiste verdeckt und trotzdem das Wichtigste verkündet: Lieferung bis 24:00 Uhr und eine Telefonnummer. Dazwischen espressobraune Augen.

      Hm?

      Ich blinzle und sehe noch mal genauer hin. Auf dem Roller mit Warmhaltetransportbox für die Pizzen sitzt ein junger Mann, der dank der schlechten Bildqualität und des Helms mit Werbeaufdruck nur unzureichend zu erkennen ist. Selbst das Gesicht wirkt verzerrt. Die Augen scheinen dunkel zu sein, aber ob nun espressobraun oder anders braun – schwer zu sagen.

      Und völlig irrelevant.

      Trotzdem stecke ich den Flyer ein. Die lange Öffnungszeit ist zu verlockend. Dann laufe ich endlich die Treppe zur Dachterrasse hoch.

      Kapitel 2

      »Anton!« Kev reicht mir direkt eine Bierflasche. »Ist inzwischen pillewarm, aber aus dem Sundowner ist ja auch ein Moonriser geworden.« Demonstrativ nickt er zu dem abnehmenden Mond am dunklen Himmel über uns. Vereinzelte Sterne leisten ihm Gesellschaft, für mehr ist es mitten in der Stadt zu hell.

      Ich ziehe den Reißverschluss meiner Jacke zu, bevor ich die Bierflasche entgegennehme. Obwohl es tagsüber meist schon recht warm ist, kühlt es nachts ab und zu noch auf unter zehn Grad ab. Keine Ahnung, warum Kev in seinem Hoodie nicht friert. Vielleicht, weil das da in seiner Hand nicht sein erster Drink ist. Vermutlich Gin Tonic. Oder Gin minus Tonic. Kevs Cocktails variieren je nach Stimmung.

      Neben ihm steht Joscha und prostet mir zur Begrüßung mit seinem Piccolo zu. Wenn ich den Anblick nicht schon gewohnt wäre, würde mich die kleine Flasche sicher irritieren, weil man bei einem schlanken Kerl in Lederjacke wie ihm eher rustikales Bier oder Schnaps erwarten würde. Andererseits wirkt auch das glatt gebügelte, hellblaue Hemd unter der Lederjacke fehl am Platz, vor allem mit dem Wissen, dass zumindest sein linker Unterarm – und wer weiß wie viel von seinem restlichen Körper – mit einem detailreichen Tattoo verziert ist.

      Kev stößt mit seinem Glas gegen meine Bierflasche. »Du hast nicht wirklich bis jetzt gearbeitet, oder?«

      »Doch, habe ich.« Was hat er denn gedacht? Dass ich die letzten Stunden damit verbracht habe, mir auch online ein Auto zu konfigurieren?

      »Fuck. Und? Wie läuft's mit deiner App?«

      Sofort habe ich ein schlechtes Gewissen, weil ich meine Arbeit mittendrin abgebrochen habe. Nein, nicht nur mittendrin, sondern auch noch funktionsuntüchtig.

      »Ich feile noch dran.«

      »Immer noch kein Termin für den Launch?«

      Der nächste wunde Punkt. Um Zeit zu schinden, trinke ich einen Schluck Bier, allerdings nur einen kleinen. Für mehr fehlt mir die Grundlage im Magen.

      »Es ist nach zehn«, sagt Joscha, bevor mir eine gute Antwort einfällt, und klopft Kev auf die Schulter. »Wie wär's, wenn wir über was anderes reden als Business?«

      Dankbar lächle ich Joscha zu, der es mit einem knappen Nicken zur Kenntnis nimmt.

      Ich habe die beiden auf meiner ersten After-Work-Party im Co-Working-Space kennengelernt, an der ich eigentlich gar nicht teilnehmen wollte. Da jedoch die ganze Bürogemeinschaft in geselliger Runde gefeiert hat, hätte ich nach Hause gehen müssen, um der Party zu entkommen, hatte mich aber an einem Programmierungsfehler festgebissen.

      Bis mir Joscha aufgefallen ist und ich ihn wegen seines unfassbar hübschen Gesichts so lange angestarrt habe, dass er irgendwann zu mir rübergekommen ist und sich vorgestellt hat. Kev ist ein paar Minuten später wie auf ein stummes Stichwort gefolgt. Die beiden besitzen ein wesentlich zuverlässigeres Gaydar als ich.

      »Okay, kein Problem.« Kev wechselt sein Glas von der linken in die rechte und schüttelt die nun freie Hand aus, als hätte er einen fünfzigseitigen Aufsatz per Hand geschrieben. »Ich hab heute auch genug Business betrieben. Worüber reden wir dann? Oh, mein Ferrari –«

      »Nein.« Joscha hebt die Piccoloflasche wie ein Stoppschild hoch. »Nicht dein Ferrari. Der Einzige, der darüber redet, bist du und ich kann's langsam nicht mehr hören.«

      »Neidisch?«

      »Genervt.«

      Kev schnalzt mit der Zunge. »Wie nett. Wie wär's, wenn du gegenüber deiner Sahneschnitte von Boss mal so ehrlich wärst?«

      Joscha verdreht die Augen und wendet sich an mich. »Hast du es am Wochenende zur Isar geschafft?«

      Ich schüttle den Kopf, möchte aber nicht zugeben, dass ich stattdessen gearbeitet habe. Der Co-Working-Space steht Monats- und Wochenmietern 24/7 zur Verfügung. Bei all den Räumlichkeiten fehlen eigentlich nur noch Schlafzimmer. Wobei die Sofas der Loungeinsel ganz bequem sind, wie ich aus Erfahrung weiß.

      Da Joscha mich abwartend ansieht, suche ich nach einer Ausrede. »Es hätte eh noch nicht viel zu fotografieren gegeben. Der Frühling fängt gerade erst an.«

      »Und in der Übergangszeit gibt's nichts zu fotografieren? Wasser, Steine, Bäume? Da ist die Jahreszeit doch egal.«

      »Oder Menschen.« Kev schnaubt. »Ich versteh immer noch nicht, warum du keine Menschen fotografierst.«

      Und ich verstehe immer noch nicht, warum ich ihm das überhaupt erzählt habe.

      »Menschen sind schwieriger.« Und deutlich anspruchsvoller als ein Stein.

      »Na und? Challenge accepted.«

      »Zweifellos dein Lebensmotto«, wirft Joscha trocken ein, woraufhin Kev lacht.

      »Oh yeah, Baby.« Er schlingt einen Arm um Joscha, zieht ihn an sich heran und drückt ihm einen Kuss auf die Schläfe. »Das macht dich auch so unwiderstehlich für mich.«

      Der sinnliche Klang seiner Stimme verursacht selbst mir eine wohlige Gänsehaut. In zehn Staffeln Micktown hat Kev es zweifellos geschafft, sämtliche Tonlagen zu perfektionieren.

      Joscha scheint dafür nicht besonders anfällig zu sein. Kopfschüttelnd, aber mit einem Grinsen im Gesicht befreit er sich aus Kevs Umarmung und schubst ihn auf Abstand. »Spinner. Mit deinen Millionen auf dem Konto kannst du doch jeden haben.«

      »Das macht es ja so langweilig.«

      Entgeistert starre ich Kev an. »Was? Es sind inzwischen schon Millionen? Plural?«

      Kev zuckt die Schultern. »Letzte Woche hab ich die zweite geknackt. Deshalb auch der Ferrari.« Er zwinkert mir zu und kippt seinen Drink auf ex runter.

      »Aber... warum arbeitest du dann noch hier und nicht in deinem eigenen Bürokomplex?«

      »Ich mag die Arbeitsatmosphäre und die Kollegen. Auch wenn's natürlich keine richtigen Kollegen sind. Geht dir doch genauso.«

      Automatisch öffne ich den Mund, klappe ihn dann aber wieder zu. Ich bin nicht

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