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als wollte es wie eine Rakete vom Meer aus zum Himmel aufsteigen. Dann aber wurde Ingrid von der Meereskraft herabgezogen wie in einen schwarzgrünen Schlund, aus dem es kein Entrinnen gab. Als ihr die Sinne schwanden, da spürte sie nicht mehr, wie sie gegen den Rumpf des Bootes geschleudert wurde. Das Boot, das jetzt gekentert war, kieloben, quer zur Richtung der Wogen trieb, auf die Wellenkämme stieß, wieder ins Tal hinabsank und nun - ein Spielball der Wellengewalt - zurück zum Land getrieben wurde.

      Und ebenso erging es Ingrid.

      Dr. Hans Berring war vom Portier darauf aufmerksam gemacht worden, dass seine Frau zum Hafen gegangen war. Irgendeine Ahnung schien der alte Mann doch gehabt zu haben, und Hans befand sich bereits am Strand, als er den alten steifbeinigen Bootswärter sah, der vergeblich versucht hatte, Ingrid zurückzuhalten. Das Boot selbst und seine Insassin konnte Hans vom Hoteleingang aus nicht mehr entdecken. Aber nun lief er zum Strand hinunter, rannte hinüber zum Hafen, und der Bootswärter, der ihm entgegenblickte, schien ihn erkannt zu haben, winkte. Und der Wind, der von See her kam, wehte Geräuschfetzen von Motorenlärm des Bootes in die Ohren Dr. Berrings. Er lief, obgleich er im weichen Sand einsank und bei jedem Tritt ganze Wogen des feinen Sandes hochgerissen und vom Wind davongetragen wurden. Doch was kümmerte ihn das jetzt!

      Als er die glitschige Mole erreichte, oben war und dann erkannte, wie Ingrid bereits durch die Hafeneinfahrt gefahren und von den ersten schweren Brechern gepackt worden war, meinte er, das Herz müsste ihm stehenbleiben. Er konnte nur noch zuschauen. Aber er lief weiter, rannte über die Mole hinweg zur Hafeneinfahrt hin. Er sah das Boot jetzt nicht mehr! Es war wie verschlungen von der See. Doch dort! Da tauchte es auf! Ganz oben auf einem Wellenberg sah er es tanzen wie eine Nussschale. Unmittelbar danach war es wieder verschwunden.

      Er lief weiter, bis es kein Weitergehen mehr gab, bis er am Ende der Mole stand. Und er musste sich festklammern, damit ihn der Sturm nicht bis ins Hafenbecken zurücktrieb. Hilflos musste er zusehen, wie da draußen immer wieder das Boot auftauchte, das verloren war, so sicher wie der Wind die Wogen peitschte.

      Es kam, was kommen musste. Mit einem Mal sah er das Boot kieloben, da war es auf den Wellen. Wie es tanzte, war es nichts weiter als ein Spielzeug in der Urgewalt des Meeres.

      Ingrid!, dachte er entsetzt. Wo ist Ingrid?

      Mit einem Male sah er sie. Da vorn, in den Wellen trieb sie, wurde hochgerissen, versank in der Tiefe, tauchte wieder auf! Und mit rasender Geschwindigkeit trieb das Meer sein Opfer auf die wellenbrechenden Steine der Mole zu. Dort würden sie den Körper der jungen Frau zerschlagen.

      „Nein!“, schrie Hans, „Nein!“ Und dann riss er sich die Jacke herunter, starrte auf diesen Körper, der da in den Wellen trieb, der immer rascher näher kam und war entschlossen zu verhindern, dass das Meer die hilflos treibende Frau gegen die Steine schlug, sie dort tötete. Denn der Gedanke, dass sie vielleicht schon tot sein konnte, der kam ihm nicht.

      Als er meinte, dass sie nahe genug war, da stürzte er sich ins Wasser, versuchte gegen das tobende, donnernde Meer anzukommen, aber die Woge packte ihn, drohte ihn selbst gegen die Molensteine zu schleudern.

      Geschickt tauchte er, versuchte den Wogenschlag zu unterschwimmen, und plötzlich sah er ein Paar Beine vor sich, griff zu, umschlang mit seiner Rechten Ingrids Körper und versuchte sie heil auf die Mole zu bringen. Aber in diesem Augenblick hatte das Meer das Boot wie ein Geschoss gegen die Mole geschleudert. Unter einem donnernden Knall, einem Splittern, einem Prasseln zerfiel es in Stücke. Und dann geschah es!

      Wie ein riesiges Schwert wurde das losgerissene Dollbord von einer Welle gepackt und mit furioser Gewalt nach unten geschleudert. Hans sah dieses Dollbord wie einen überdimensionalen Hockeyschläger auf sich herabkommen. Vergeblich versuchte er auszuweichen. Da schmetterte dieses eisenbewehrte Holzbord auf seine rechte Hand, mit der er Ingrid umkrampft hielt.

      Hans schrie auf vor Schmerz. Er hatte das Gefühl, alles in ihm sei urplötzlich gelähmt. Der Schmerz war so stark, dass es ihm bis ins Herz hineinstach. Für eine Sekunde lang verlor er jede Kontrolle, und sofort überwand ihn die Macht der See, riss ihn hoch, schleuderte ihn auf die Mole zu, und auf der Höhe einer Woge stürzte er hinab auf diesen schmalen Steg.

      Doch jetzt rettete ihn Ingrid. Rettete ihn mit ihrem Körper. Sie dämpfte seinen Aufschlag, als sie unter ihn zu liegen kam. Aber schon wollte ihn die See zurückreißen, wollte ihn mitnehmen. Doch plötzlich waren die Hände des Alten da, packten zu, rissen ihn und Ingrid ein Stück weiter landwärts, brachten sie beide in Sicherheit.

      Fast irrsinnig vor Schmerzen richtete sich Hans auf, blickte auf Ingrid. Und an ihrer eigenartigen Kopfhaltung erkannte er, dass ihr niemand mehr hatte helfen können, dass sein Opfergang ihr Leben nicht gerettet hatte.

      Er hörte den Alten auf spanisch nach einem Arzt rufen. Und jetzt blickte Dr. Hans Berring auf seine rechte Hand, auf seine zerschmetterte rechte Hand.

      Es geschah wie in Trance, dass er ins Hospital gebracht wurde, dass man seine Hand verband, sie schiente, sie in die Binde hängte. Sie wollten ihn in der Klinik lassen, aber er verweigerte das.

      Gegen Abend ließen sie ihn gehen, nachdem er eine schmerzstillende Spritze bekommen hatte. Jemand aus dem Hotel begleitete ihn, jemand, den er nicht kannte, und der ihm vorhin schon geholfen hatte. Aber alles war für Hans wie im Traum. Ingrids Tod, und die Verletzung seiner Hand.

      Eine Verletzung, von der er auf Anhieb wusste, dass diese Hand womöglich nie mehr wiederherzustellen war. Doch noch hatte er etwas Hoffnung. Noch war er viel zu gelähmt von Ingrids Schicksal.

      Und am Abend dann trat er in den Raum, in dem sie aufgebahrt war.

      18

      Hans blickte auf sie herab, sah in ihr überirdisch schönes Gesicht, dessen Haut transparent wirkte. Es war, als hätte ein begnadeter Künstler diesen Kopf in einer nicht zu übertreffenden Schönheit geformt. Das war nicht Ingrid, wie Hans sie kannte. Die Frau, die hier aufgebahrt war, schien eine Fremde zu sein. Und doch war es Ingrid.

      Er hatte sich, seit er wusste, welches Schicksal sie erwartete, immer vorzustellen versucht, wie es sein würde, wenn es einmal soweit war, was er dann empfände. Aber es war ihm nie gelungen, sich das richtig auszumalen. Und nun stand er allein in diesem Raum, den, die Hotelleitung zur Verfügung gestellt hatte. Kerzen waren aufgestellt worden, die Totenfrau hatte Ingrid hergerichtet. An einen Unfall erinnerte äußerlich nichts mehr. Sie lag da, als schliefe sie. Nein, verbesserte sich Hans, als er diese Überlegung anstellte, sie schläft nicht. Es ist, als sei sie eine Kopie, als läge da nicht die Ingrid, die er kannte, sondern eine andere.

      Merkwürdig, dachte er, warum stelle ich mir das vor? Es ist Ingrid, ich weiß es. Ich müsste eigentlich Schmerz empfinden, wahnsinnige Trauer. Wir haben fast zehn Jahre zusammen verbracht. Und dennoch trennten uns Welten. Wir haben zehn Jahre nebeneinanderher gelebt. Im Grunde gab es erst ganz zuletzt, hier im Hotel, in diesen letzten Tagen so etwas wie ein Verständnis. Sie spielte nicht mehr ihre Rolle, sondern hatte sich ihm so gezeigt, wie sie war.

      Es hätten zehn schöne Jahre sein können, überlegte er.

      In seiner Rechten hielt er den Brief, den man in dem Sessel gefunden hatte, von dem aus Ingrid zu ihrer allerletzten Reise angetreten war. Er riss das Kuvert auf, zog den Brief heraus, faltete ihn mit einem Ruck auseinander und las:

      „Lieber Hans!

      Wenn du diesen Brief liest,

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