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um mich selbst kümmern. Und dann werde ich Heidi suchen.

      Er ahnte nicht, dass er sie nicht erst suchen musste.

      21

      Heidi und Veronika stiegen aus dem Wagen und gingen auf das Portal des Hotels zu, in dem sie ein Doppelzimmer bewohnten. Die beiden Frauen sahen sehr elegant aus. Beide trugen Pelzmäntel nach einem Schnitt, den Heidi entworfen hatte. Während Veronika einen breitrandigen modischen Hut trug, hatte sich Heidi ein Kopftuch umgebunden. Der Schnee blieb in ihren Pelzen hängen, als sie das Hotel betreten hatten.

      „Ich habe einen Bärenhunger. Es ist Mittag. Ich möchte etwas essen. Du auch?“, fragte Veronika.

      Heidi nickte. „Ich glaube, ich habe ihn doch gesehen. Es war keine Einbildung. Man kann sich natürlich irren, aber ich denke, da ist jemand hinter der Gardine gewesen.“

      „Es muss Einbildung gewesen sein. Wie oft haben wir geklingelt, wie oft haben wir angerufen. Niemand rührt sich. Da ist niemand. Und auch dieser eine Herr aus dem Haus, den wir gefragt haben, sagte ja auch, dass er seit Tagen, ja fast seit zwei Wochen, Dr. Berring nicht gesehen habe. Er müsste verreist sein."

      „Aber das Auto ist doch da“, erklärte Heidi. „Es steht doch in der Garage. Das haben alle bestätigt.“

      „Vielleicht ist er mit dem Zug weg. Er kann ja mit seiner Hand vielleicht gar nicht mehr Auto fahren.“

      Heidi nickte betroffen. „Aber er muss doch aufzutreiben sein. Er muss doch irgendwo sein. Wenn ich mir vorstelle, jetzt ist bald Weihnachten, und er sitzt dort irgendwo herum, hat keinen Menschen. Das wissen wir inzwischen auch genau, dass er niemanden hat. Er ist ganz allein. Allein mit seiner Hand, ohne Zukunft, ohne Hoffnung.“

      „Sei doch nicht so sentimental.“ Veronika machte eine unwirsche Handbewegung. „Für jeden Menschen gibt es irgendeine Hoffnung.“

      „Für ihn nicht. Ich muss ihn finden, ich muss ihm helfen!“

      „Also gut. Wir versuchen es morgen noch einmal. Bleiben wir noch diese Nacht in Köln und fahren dann morgen zurück. Vorher können wir ja noch einmal bei ihm vorbeifahren, können klingeln, denn mit dem Telefon ist es ja nichts. Das ist ja gesperrt. Und das beweist mir auch, dass er nicht da sein kann. Vielleicht will er ausziehen, vielleicht wohnt er sonst wo, und wir suchen ihn hier.“

      Heidi schüttelte den Kopf. „Ich weiß, dass er hier sein muss! Ich spüre das, Veronika,“ Sie sah ihre Freundin eindringlich an. „Ich muss ihn finden. Ich weiß, du hältst mich für verrückt. Aber ich bin mir klar darüber, dass er mein ein und alles ist. Ich komme von ihm nicht los.“

      „Was würdest du denn tun, wenn du ihn fändest?“, fragte Veronika. „Angenommen, er ist morgen da, was ich nicht glaube.“

      „Wenn es so ist“, erklärte Heidi, „dann wäre es das größte Glück für mich.“

      „Hoffentlich nicht eine furchtbare Enttäuschung. Du weißt doch, was ich dir gesagt habe. Du bist gewarnt. Er soll neuerdings trinken. Diese eine Schwester aus seiner Abteilung, die ihn vor einiger Zeit getroffen hat, sagte es mir. Und wenn er ein Trinker ist ...“

      „Dann werde ich ihn davon losbringen. Er trinkt doch nur aus Verzweiflung. Ist dir das nicht klar?“

      „Du brauchst nicht mit mir zu schimpfen“, sagte Veronika. „Ich weiß ja, meine Liebe, wie dir zumute ist. Und wenn dir jemand wünscht, dass wir ihn finden, dann bin ich es. Ich weiß, was es heißt, einen Menschen zu lieben.“

      22

      Er hatte den ganzen Tag über die Wohnung gesäubert, seine Sachen in Ordnung gebracht und geschuftet. Jetzt war er völlig erschöpft, aber glücklich über seine Leistung. Er hatte die Post durchgesehen und mit Schrecken entdeckt, dass die Telefonrechnung nicht bezahlt war. Und nun öffnete er den Brief, dieses weiße Kuvert mit der schönen Handschrift. Er riss ihn auf, zog den Brief heraus und las:

      „Geliebter, ich habe dich gefunden, ich möchte mit dir sprechen. Ich weiß, was du erlebt hast, habe alles erfahren. Ich möchte dir helfen, ich möchte für dich da sein. Ich liebe dich! Ich liebe dich! Ich liebe dich! Auf der Rückseite steht die Adresse, wo du mich erreichen kannst. Deine Heidi.“

      Er spürte wieder, wie er zitterte. Aber es war anders. Es war nicht mehr das Zittern der Verzweiflung, oder die Folgen des Alkohols. Jetzt war es Freude. Und es verging auch ganz schnell.

      Ich habe es geahnt! Ich habe es gewusst! Mein Gott, wie alt ist dieser Brief? Ich muss mich sofort an sie wenden. Ich muss sofort zu ihr fahren. Wo ist das? Frankfurt. Ich muss sofort nach Frankfurt. Wieso, das ist doch die Adresse von Dr. Gstaad. Wie kommt sie denn an den? Das versteh ich nicht. Was hat sie mit Dr. Gstaad zu tun? Was steht hier? Heidi Pechner. Pechner, das ist doch dieser Chemiker, der zu Dr. Gstaads Leuten gehört. Vor ein paar Wochen habe ich noch gehört, dass er weggegangen ist, dass er irgendwo in Hamburg arbeitet und dort mit einer anderen Frau zusammen lebt. Verdammt noch mal, mit einer anderen Frau. Und ich bin nie darauf gekommen, dass er der Mann von Heidi ist! Natürlich ist er ihr Mann. Die Verbindung, Dr. Gstaad, Heidi Pechner, Dieter Pechner. Ich werde sofort anrufen.

      Aber das Telefon war gestört. Noch war es gesperrt.

      Aus dem Haus gehe ich nicht. Ich habe zu tun.

      Er trat vor den Spiegel, blickte sich an und erschrak vor sich selbst. Dann beschloss er zu duschen, sich zu rasieren und richtig anzuziehen.

      Es war schon dunkel, und er ging ins Badezimmer. Infolge des Entlüftungsschachts, der sich dort befand, konnte er oft unfreiwillig mitanhören, was vom Erdgeschoss bis hier heraufdrang. Er hörte Weihnachtslieder. Eines der Kinder unten saß in der Badewanne und sang eine Melodie mit, die im Radio ertönte.

      Hans lauschte, und er entsann sich seiner Kindheit. Ihm wurde erst mal jetzt bewusst, dass bald Weihnachten war. Wenige Tage nur noch. Weihnachten! Mein Gott, wie lange habe ich nicht mehr richtig Weihnachten gefeiert? Ingrid hat es nie etwas bedeutet.

      Er duschte, rasierte und kämmte sich, kleidete sich an und beschloss, in die Stadt zu fahren, irgendwo vernünftig zu essen und von da aus die Telefonnummer in Frankfurt anzurufen, die auf dem Brief stand. Er zog sich gerade das Jackett über, prüfte noch einmal den Sitz seiner Krawatte, da schellte es. Etwas überrascht ging er in den Korridor, wollte die Sprechanlage betätigen. Aber da hörte er ein Räuspern dicht vor der Tür. Der Besucher war also schon da.

      Er öffnete. Draußen stand, vom grellen Treppenhauslicht angestrahlt, eine Frau. Das Gesicht lag im Schatten; er erkannte es nicht sofort. Aber irgendwie ahnte er es in diesem Augenblick schon. Ahnte, dass diese Frau im

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