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erhob sich Bount und ging in die Küche. Bei dem Anblick, der sich ihm bot, wurde ihm übel. Tessa lag vor dem Herd. Die Mordwaffe steckte neben ihr im Fußboden. Die Klinge spießte einen Briefumschlag auf.

      Dass die Ärmste tot war, brauchte Bount nicht erst zu untersuchen. Das war offensichtlich.

      Da, abgesehen von dem Messer, in ihrer Umgebung peinliche Ordnung herrschte, hatte anscheinend kein Kampf stattgefunden. Der Killer musste von hinten über sie hergefallen sein.

      Jim? Kraft genug hatte er. Er kannte Tessas Gewohnheiten am besten. Am schwersten wog aber die Tatsache, dass die Frau ihm vermutlich von allen am meisten vertraut hatte. Schon deshalb hätte sie keinen Verdacht geschöpft.

      Bount drückte ihr die Augen zu. Er kehrte zu den anderen zurück und winkte den Doc heran. „Sind Sie in der Lage, bei einem Menschen die Todeszeit zu bestimmen?“, fragte er, als sie den Raum verlassen hatten.

      Doc Caan bekam einen Hustenkrampf. Als er sich leidlich erholt hatte, würgte er hervor: „Tessa?“

      Bount nickte.

      „Der Wahnsinnige hat seine Drohung abermals wahr gemacht. Dass er ausgerechnet Tessa ausgewählt hat, kann dreierlei Gründe haben. Entweder verdächtigte sie ihn als Täter. Oder sie fiel ihm nur zufällig in die Hände.“

      „Und die dritte Möglichkeit?“

      „Tessa war die einzige, für die er in seinem Plan keine weitere Verwendung sah.“

      „Und diesen Mann nennen Sie einen Verrückten?“

      „Ich nannte lediglich die Möglichkeiten. Was glauben Sie, wie lange sie schon tot ist?“

      Der Arzt beugte sich mit sichtlichem Unbehagen über die Leiche.

      „Schwer zu sagen“, erklärte er. „Aber kaum länger als eine halbe Stunde.“ Mit dieser Angabe gab sich Bount zufrieden.'

      Er zog das Messer aus dem Fußboden, wobei er es lediglich an der Klinge anfasste. Noch hatte er die Hoffnung nicht aufgegeben, dass die Polizei informiert werden konnte. Wenn dann der Killer noch nicht gefunden worden war, sollten sich die Beamten wenigstens über ein paar brauchbare Fingerabdrücke freuen. Er nahm den Brief und öffnete ihn. Was da stand, war der präzise Plan zur Befreiung von sechs Gefangenen. Die Aktion sollte in einer knappen Stunde anlaufen.

      12

      Die Nachricht von Tessas Ermordung löste allgemeines Entsetzen aus.

      Strother Lynch konnte sich nicht die Bemerkung verkneifen: „Meines Wissens sind Sie als Erster von uns aufgestanden, Reiniger. Wenn mich einer fragt, ich traue Ihnen den Mord glatt zu.“

      Bount behielt die Ruhe.

      „Okay! Jetzt sind Sie Ihre Meinung los. Jeder von uns hat sich zweifellos längst Gedanken über den Mörder gemacht. Auch ich, Lynch. Die Sache hat nur einen Haken. Weder Sie noch ich, noch einer der anderen kann seine Theorie beweisen. Jeder von uns dürfte inzwischen begriffen haben, dass der Killer nicht lange fackelt. Er hat uns eindeutige Anweisungen hinterlassen. Ich sehe keine andere Möglichkeit, als sie buchstabengetreu zu befolgen, auch wenn mir das noch so sehr gegen den Strich geht.“

      „Sind Sie noch zu retten? Sie wollen sich dazu hergeben, diese Galgenvögel zu befreien? Das ist ein Verbrechen. Aber ich habe ja noch nie viel von Ihnen gehalten.“

      „Das dürfte inzwischen jedem bekannt sein, Lynch. Wenn Sie eine Möglichkeit sehen zu verhindern, dass der Killer seine Freunde von uns herausholen lässt, dann sagen Sie es. Ich muss leider passen. Wir haben innerhalb kürzester Zeit hier drei Tote. Von den verbliebenen sieben Menschen, die sich noch auf der Ranch befinden, dürften fünf oder sechs unschuldig sein. Ich weigere mich, auch deren Leben noch aufs Spiel zu setzen. Sogar Ihr Leben, Lynch, werde ich nicht opfern, solange es einen anderen Weg gibt.“

      Strother Lynch sah den Detektiv missmutig an, sagte aber nichts.

      Die Anweisung sah vor, dass Bount zusammen mit Lynch und dem Doc die Gefangenen in Alliance befreite. Alle übrigen sollten als Geiseln zurückbleiben. Es war zweifelhaft, wem der gefährlichere Part zugedacht worden war. Auf jeden Fall wollte Bount nichts tun, was die Geiseln gefährdete. Er fragte sich schon jetzt, wie es weitergehen würde, falls es ihnen tatsächlich gelang, die sechs Gangster freizubekommen. Hatten sie dann ihre Schuldigkeit getan und mussten sterben? Oder hatte sich der geheimnisvolle Boss noch etwas anderes ausgedacht?

      Das Frühstück bereiteten Gladys und Mabel Taylor, nachdem Jim und Lynch Tessas Leiche fortgeschafft hatten.

      Bei keinem stellte sich der richtige Appetit ein. Sogar Reverend Pool hatte seinen Hunger vergessen.

      Nach dem Essen teilten sich die Anwesenden in zwei Gruppen. Der Reverend blieb mit den Frauen und Jim zurück. Die anderen begannen ihren Marsch.

      Der Brief enthielt eine Wegskizze. Bount warnte ausdrücklich davor, von diesem Weg abzuweichen. Er dachte an die Sprengsätze, die überall in der Nähe der Farm angebracht sein konnten. Er selbst ging voraus, obwohl es ihm nicht angenehm war, Strother Lynch hinter seinem Rücken zu wissen.

      Doc Caan marschierte zwischen ihnen. Er hielt sich eng hinter dem Detektiv und redete pausenlos.

      Nach etwas mehr als einer halben Stunde entdeckten sie tatsächlich den angekündigten Wagen. Es war ein dunkelbrauner Chrysler, der im Schatten einer Ulme stand. Die Sonne spiegelte sich in seinen Fenstern und warf ihre Strahlen zu ihnen herüber.

      „Jetzt nichts wie weg von der verdammten Ranch“, schrie Strother Lynch. Er rannte an den beiden vor ihm Gehenden vorbei und wollte den Chrysler in seinen Besitz bringen.

      „Sie verdammter Idiot!“, schimpfte Bount und setzte hinterher. Er holte ihn auf halber Strecke ein und packte ihn am Kragen. Aber Lynch wollte nicht aufgeben. Seine Faust schnellte vor.

      Er war ein kräftiger Bursche. Doch er hatte es zu eilig. Deshalb vernachlässigte er seine Deckung, und Bount Reiniger sah jede kleinste Lücke.

      Als der Doc sie schnaufend einholte, gab sich Lynch bereits geschlagen.

      Sie legten das letzte Stück bis zum Chrysler zurück. Der Wagen war offen. Der Zündschlüssel steckte. Auf dem Fahrersitz lag wieder ein Brief. Er enthielt die knappe Anweisung:

      „Schalten Sie den Recorder ein, und fahren Sie los!“

      In dem Abspielgerät unter dem Armaturenbrett war eine Kassette eingelegt. Als Bount die Taste drückte, erklang eine asthmatische Stimme, die deutlich verstellt war. Bount glaubte trotzdem, sie zu erkennen. Er behielt seine Meinung aber für sich. Man würde ihn für verrückt halten.

      Die Stimme hechelte eine Fahranweisung herunter. Bount befolgte sie exakt.

      Strother Lynch saß neben ihm und starrte finster geradeaus. Doc Caan murmelte hinter ihnen, dass es ganz ausgeschlossen sei, einfach in ein Gefängnis zu spazieren und sechs Schwerverbrecher herauszuholen.

      Sie umfuhren Rapid City und gelangten auf Umwegen zur Staatsstraße 79. In der Nähe von Hot Springs wechselten sie auf den Highway 385, den sie bis Alliance nicht mehr verließen.

      Wie es nun weitergehen sollte, sagte ihnen der Kerl auf dem Tonband. Er dirigierte sie an der Stadt vorbei bis zu einem Außenbezirk. Das Gefängnis war ein massiver Bau, von einer hohen Mauer umgeben. Das eiserne Tor war verschlossen.

      „Im Handschuhfach finden Sie alles Nötige“, klang die Stimme.

      Bount Reiniger sah nach. Er zog eine Plastikhülle heraus. In ihr befand sich ein Pass mit seinem Foto. Der Name lautete allerdings auf einen gewissen Dave Carlson.

      Die Herkunft des Fotos bereitete Bount kein Kopfzerbrechen. Das hatte jemand mit einem Teleobjektiv geschossen, sobald er als Teilnehmer dieses Coups feststand. Warum man ausgerechnet auf ihn verfallen war, schien ihm auch klar zu sein. Zweifellos hatte sich herumgesprochen, dass er niemals einen Unschuldigen gefährdete. Man war also sicher, dass er alles tun würde,

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