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ausgesöhnt. Er hatte endlich eingesehen, dass sie recht daran getan hatte, ihren eigenen Weg zu gehen.

      Sie fühlte sich unendlich erleichtert. Von nun an wollten sie sich regelmäßig schreiben und ab und zu miteinander telefonieren. Im Frühling wollte die junge Frau eine Woche nach Hamburg kommen, und im Sommer sollte ihr Vater zwei, drei Wochen bei ihr in Bergesfelden wohnen.

      Sie hatte endlich wieder einen Vater. Dass Mutter tot war, stimmte sie zwar traurig, aber sie war froh, dass sie nicht beide Eltern verloren hatte.

      Ganz kurz hatte Vater auch über Mutters schlimme Krankheit gesprochen, die sie unbarmherzig aus dem Leben gerissen hatte. Auch den Namen der Krankheit hatte er erwähnt: Neurofibromatose.

      Antje Büchner hatte noch nie von dieser Krankheit gehört. Da sie merkte, dass der Vater sich nicht weiter darüber äußern wollte, beschloss sie zu Hause in den Nachschlagewerken zu blättern, und sollte das nicht den gewünschten Erfolg bringen, würde sie mit Dr. Anders oder Dr. Hansen darüber sprechen.

      Die beiden waren sicherlich in der Lage, ihr eine erschöpfende Auskunft zu geben.

      Sie fand, was sie suchte...

      Zitternd las sie von Bindegewebsgeschwülsten, die von den Nervenscheiden ausgingen ... Pigmentnävi... Multiple Skelettsymptome ...

      Was sie jedoch mit der Wucht eines Keulenschlags traf, war die Tatsache, dass es sich um eine familiäre Erbkrankheit handelte.

      Mutter ist an Neurofibromatose gestorben - und ich erwarte ein Kind!, schrie es in Antje.

      32

      Für eine Schwangerschaftsunterbrechnung war es zu spät. Die werdende Mutter war verzweifelt. Wenn ihr Sohn im Mai zur Welt kam, würde er keinen Vater haben und mit einer schrecklichen Erbkrankheit behaftet sein.

      Wann würde die Krankheit bei ihm ausbrechen?

      Wann wird sie bei mir ausbrechen? fragte sich Antje Büchner entsetzt. Ich muss sie doch auch haben. Dieser furchtbare Keim muss sich auch in mir befinden. O Gott, was habe ich verbrochen? Warum bestrafst du mich so hart?

      Sie sprach mit Dr. Anders über die Krankheit, und er musste zugeben, dass die Medizin dagegen machtlos war. Der Weisheit letzter Schluss war: Menschen, die diese Krankheit in sich trugen, durften keine Kinder haben.

      Aber Antje war in anderen Umständen.

      Was sollte nun geschehen?

      Es blieb ihr nichts anderes übrig, als das Kind auszutragen.

      Ein Kind, das von Anfang an zum Tod verurteilt war.

      Bei dem Einen brach die Krankheit früher aus, beim Anderen später. Man konnte also nur hoffen, dass sie bei Robert Büchner so spät wie möglich zum Ausbruch kommen würde, aber eines war von Anfang an gewiss! Alt würde er nicht werden.

      Antje war einem Nervenzusammenbruch nahe. Tagelang schloss sie sich in ihre Wohnung ein und wollte niemanden sehen, nicht einmal Jutta Sibelius, die sich große Sorgen um sie machte.

      Ein Wort, ein Name, den Antje Büchner nie zuvor gehört hatte, veränderte ihr Leben auf eine tragische Weise. Sie horchte ständig in sich hinein.

      Wie weit war die Krankheit in ihr schon fortgeschritten? Wann würde sie sie zum ersten Mal spüren? Mit welchen Symptomen würde sie sich ankündigen?

      Wann ist es bei mir soweit? Diese Frage quälte die junge Frau ununterbrochen.

      Sie war nicht so robust wie ihre Mutter. Die Neurofibromatose würde sie mit Sicherheit früher dahinraffen, und der Nächste würde ihr Sohn sein, der arme Junge.

      Sie legte die Hände auf die sanfte Wölbung ihres Bauchs und schluchzte: »Bitte, verzeih mir, mein kleiner Liebling. Das habe ich nicht gewusst. Ich hätte dir das niemals angetan. Ich schwör’s bei allem, was mir heilig ist«

      In der Firma hatte sie sich krank gemeldet.

      Krank, ja, das war sie. Todkrank!

      Aber sie hätte nicht so sehr gelitten, wenn diese Krankheit nur ihr Leben bedroht hätte.

      Wenn das Telefon läutete, hob sie nicht ab. Meistens hörte sie es gar nicht, weil sie völlig geistesabwesend war. Wozu sollte sie jetzt noch mit jemandem reden?

      Es konnte ihr ja doch keiner helfen, und ihrem Baby auch nicht. Sie wollte allein sein, wollte niemandem zur Last fallen, denn nichts ermüdet schneller als Mitleid.

      Sie dachte an Lutz Bendokat, diesen netten Mann. Er war in ihrem Leben nach langem der erste Lichtblick gewesen. Wer weiß ... Wenn er hartnäckig geblieben wäre ...

      Lange hätte ihn Antje nicht mehr abweisen können. Doch nun ... Was sollte sie jetzt noch mit einem Mann? Sollte sie noch einen Menschen ins Unglück stürzen?

      Bendokat schien anständig zu sein. Er hätte sie mit dem Kind genommen. Aber würde er vor der Krankheit nicht zurückschrecken? Antje hätte es ihm sagen müssen. Verschweigen hätte sie es ihm nicht dürfen. Es hätte sich eine peinliche Situation ergeben. Lutz Bendokat hätte wahrscheinlich nach einem Vorwand gesucht, sie nicht mehr sehen zu müssen.

      Das wollte sie sich und ihm ersparen. Doch selbst wenn er sich nicht zurückgezogen hätte ... Was hätte sie ihm bieten können? Eine kranke Ehefrau und ein krankes Kind.

      Nein, das durfte sie diesem sympathischen Menschen nicht antun.

      33

      Es war Freitagabend, und Erich Gloger wollte schick mit Jutta Sibelius ausgehen. Seit jener Silversternacht hatte er nicht mehr versucht, Jutta nahezutreten, und er spürte, wie sehr sie ihm das dankte und anrechnete.

      Er wollte nichts überstürzen. Sie hatten ein ganzes Leben vor sich, da kam es auf ein paar Wochen oder Monate nicht an. Jutta würde ihn wissen lassen, wann sie soweit war, und er würde das Signal bestimmt nicht übersehen.

      . Der junge Mann stieg aus seinem Wagen. Er hatte sich toll in Schale geworfen. Der gefütterte Trenchcoat war neu, und auf dem Kopf trug Erich Gloger eine sportliche Mütze.

      Er hatte vor einer Stunde mit Jutta telefoniert. Sie war schon zu Hause gewesen und hatte gesagt, sie hätte die Vorhänge gewaschen und müsse sie nun aufhängen. Eine Arbeit, die sie höchst ungern erledigte. Erich Gloger hatte ihr angeboten, ihr dabei zu helfen, doch sie hatte erwidert: »Bis du kommst, hängen die Gardinen bereits, und ich bin ausgehfertig.«

      Jetzt läutete er an der Haustür und setzte ein freundliches Lächeln auf, doch dieses Lächeln gefror ihm bald ein, denn die Tür blieb geschlossen.

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