Скачать книгу

Darauf war ich nicht vorbereitet. Ich dachte, Kay würde mir sofort vertrauen. Wie soll ich ihm all das nur erklären? Er weiß ja noch nicht einmal, dass ich ohne Hilfe durch die Zeit springen kann. Ich muss ihm einen Beweis liefern, ihn davon überzeugen, dass ich die Frau bin, in die er sich verliebt hat. Etwas, das nur ich wissen kann. Vermutlich zumindest.

      Kay ist am ganzen Körper angespannt. Er trägt noch immer das Fell als Poncho und seine Unterarme sind nackt. Jeder Muskel tritt deutlich sichtbar hervor.

      »Die Tätowierung in deinem Gesicht hast du von einem Indianerstamm, der dich aufgenommen hat«, sage ich leise und strecke meine Hand aus, ohne den Blick von Kay zu wenden. Er soll in meinen Augen lesen können, wie sehr er mir vertrauen kann. »Dein Lieblingstier ist der Löwe, weil er so stark ist und anmutig und seine Familie immer beschützt.« Meine Finger berühren seinen Unterarm. »Du hast in der Hütte geglaubt, einen Tee zu trinken, und bist sofort eingeschlafen.« Ich streiche langsam über seine Haut, den Arm hinunter. Die Haare stellen sich auf, wo ich ihn berühre. »Aber das waren Kräuter, die mir bei etwas anderem helfen sollten. Doch dann habe ich sie benutzt, um dich zu betäuben, weil ich wusste, dass du sonst sterben wirst. Genau so, wie du es gesehen hast. An einem Lungendurchschuss.« Ich habe seine Hand erreicht und schließe meine darum.

      Nach wie vor sieht Kay mich an, so wie ich ihn. Kein Blinzeln, kein Lächeln, kein Misstrauen mehr, nur Ungläubigkeit.

      »Aber wie …?«, bringt er heraus.

      »Ich kann durch die Zeit springen. Wann immer ich will.«

      Kays Augen scheinen noch größer zu werden. Er presst die Kiefer zusammen und plötzlich schwimmen Tränen in seinen Augen. Das erste Mal erlebe ich ihn vollkommen fassungslos.

      »Alison. Du …« Er schluckt. »Du lebst.«

      »Genau das versuche ich dir die ganze Zeit zu …«

      Noch bevor ich meinen Satz beenden kann, zieht Kay mich in seine Arme. Sein Griff ist so fest, dass ich mich kaum bewegen kann. Aber das will ich auch gar nicht. Mein Gesicht ist auf das Fell gedrückt, seine Hände pressen mich an seinen Körper, der unter lautem Schluchzen bebt. Kay drückt die Lippen auf mein Haar und nuschelt meinen Namen, wieder und wieder, und ich kann nur denken: endlich. Endlich, endlich, endlich!

       5.

      Irgendwann im Sommer, zu Hause?

      Ich weiß nicht, wie lange wir uns festhalten, unsere Körper aneinanderpressen, als würde jemand drohen, uns auseinanderzureißen. Und es ist mir auch gleichgültig. Zeit spielt in diesem Moment das erste Mal keine Rolle. Hier, im Schutz des Schuppens und vor allen Dingen in Kays Armen, scheint uns nichts in diesem Universum etwas anhaben zu können.

      Irgendwann löse ich mich von ihm. Ich bin überglücklich, aber ich fühle mich immer noch maßlos erschöpft. Vor allem emotional.

      Kay scheint es zu bemerken. Er betrachtet mich mit leicht schräg gelegtem Kopf und furcht die Stirn. »Du siehst blass aus.«

      »Ich sehe schrecklich aus.«

      »Nein, nur als hättest du sehr viel durchgemacht.«

      Zärtlich streicht Kay mit dem Daumen über meine Wangenknochen. Erst unter seiner Berührung spüre ich, wie sehr sie hervorstehen, und mir wird bewusst, dass ich seit Wochen kein Spiegelbild von mir gesehen habe, abgesehen von dem verzerrten Widerschein im Bach.

      »Du solltest etwas trinken«, sagt Kay und reicht mir die Dose. »Es ist nicht mehr viel übrig. Tut mir leid. Ich war noch nicht bei Sinnen.«

      Ich will antworten: Hey, wir sind wieder in der Zivilisation. Ich kann mehr holen. Ich muss nur ins Haus gehen und den Kühlschrank öffnen. Aber der Gedanke, Mum, Dad oder Jeremy zu begegnen, ihnen meinen Zustand erklären zu müssen, überfordert mich. Außerdem möchte ich Kay nicht verlassen.

      Er hält mir noch immer die Dose hin. »Trink. Bitte«, fügt er hinzu.

      Dankbar lächelnd nehme ich sie und leere sie in einem Zug. Mein Magen gluckert aufgeregt und Sekunden später fühle ich mich regelrecht berauscht von dem Zucker.

      »Wo sind wir hier?« Kay steht auf und späht durch das Astloch in der Bretterwand.

      »Zu Hause.« Die Worte auszusprechen, kommt mir vor wie ein Traum. Ich lache leise, gluckse und plötzlich lache ich immer lauter, regelrecht übergeschnappt, drehe mich mit ausgestreckten Armen im Kreis, berühre alles, was meine Finger erreichen. »Zu Hause! Zu Hause!«

      Kay lacht nicht. »In deinem Zuhause?«, vergewissert er sich und ergreift mein Handgelenk, um mich zum Stillstand zu bringen.

      Ich nicke eifrig. »In Dads Tischlerschuppen. Ich wollte eigentlich nicht hierher. Es war anders geplant. Es war überhaupt nicht geplant, aber –«

      »Sind wir in Gefahr?«

      »Nein«, lüge ich, denn ich kann mir nicht sicher sein.

      »Wirklich nicht?«

      »Ganz bestimmt nicht.«

      »Gut.« Kay schließt kurz die Augen und atmet durch. Dann sieht er mich durchdringend an. »Ich will dich nämlich nicht wieder verlieren. Nie mehr, hörst du?« Ohne meine Antwort abzuwarten, umschließen seine Hände mein Gesicht. »Ich liebe dich.«

      Kays dunkle Augen ruhen auf mir. In ihnen liegt so viel Wärme und Zärtlichkeit, dass die Worte wie von selbst über meine Lippen kommen: »Ich liebe dich auch.«

      Jetzt rast mein Herz. Noch nie habe ich diese Worte laut zu ihm gesagt, zu überhaupt irgendjemandem, und sie bedeuten so viel mehr, als sie ausdrücken könnten: Vertrauen, Hingabe, Selbstaufopferung, gemeinsame Kraft und Stärke und vor allem das Wissen, nie, nie, nie mehr getrennt sein zu wollen.

      Noch haben wir uns nicht geküsst. Es ist, als würden wir damit warten, bis wir alles Unausgesprochene gesagt haben. Wir sehen uns nur an, während Kay über meinen Rücken streicht. Kay zu spüren, kommt mir beinahe so unfassbar vor wie die Tatsache, dass er nach all den Jahren endlich bei mir ist.

      »Können wir nicht für immer hierbleiben?« Meine Frage ist dumm, aber sie drückt aus, wonach ich mich sehne.

      Kays Hand verharrt auf meinem Schulterblatt. »Ist es das, was du möchtest? Bei deiner Familie sein?«

      »Mit dir, ja.«

      »Möchtest du nicht jetzt zu ihr gehen?« Kays Blick wandert zur Tür. »Sehen, ob jemand zu Hause ist? Ich könnte hier warten.«

      Ich nage an meiner Unterlippe.

      »Warum zögerst du?«, fragt Kay sofort.

      »Ich weiß nicht, wie ich ihnen all das erklären soll. Und es kann sein, dass ich den falschen Zeitpunkt getroffen habe. Ich bin mir noch nicht mal sicher, welches Jahr wir haben, verstehst du? Vielleicht haben meine Eltern mich als vermisst gemeldet oder glauben, ich sei tot.«

      »Aber dann solltest du erst recht gehen. Jede Minute, die sie sich weniger sorgen müssen –«

      »Ich will, dass du erst einmal weißt, was passiert ist«, falle ich Kay ins Wort, »und dann müssen wir gemeinsam überlegen, was wir meinen Eltern sagen, okay? Ich kann ja schlecht behaupten, ich habe dich gestern bei McDonalds kennengelernt.«

      Kay zieht eine Braue hoch. »Wer sind diese Mac Donalds? Nachbarn?«

      »Nachbarn?« Einen Moment sehe ich vollkommen verdattert zu Kay hoch, aber dann wird mir bewusst, dass McDonalds erst viele Jahre nach seiner Zeit gegründet wurde. »Also, ähm … ich schätze, ich werde dir wohl noch einiges erklären müssen. Setzen wir uns?«

      Kay nickt, zieht die zusammengeschnürte Matratze hervor und löst das Band. Sie springt förmlich auseinander, sodass Staub durch die Luft wirbelt. Nur dort, wo sie stand, ist der helle Holzfußboden blank und sauber und ein runder Fleck zeichnet sich ab, dahinter eine Tüte Chips und eine umgekippte, aber verschlossene Gallone Wasser.

      »Hey, sieh mal. Picknick!« Ich gehe auf die Knie, angle beides hervor

Скачать книгу