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diesem Moritz war momentan nichts, aber auch gar nichts mehr vorhanden. Immer öfter hatte sie das Gefühl, schon wieder beobachtet und dazu noch kontrolliert zu werden. Jemand las ihre Mails, durchstöberte ihre Unterlagen und öffnete die an sie adressierte Post. Ihre Beziehung entwickelte sich zum Alptraum. Sie musste zeitig die Reißleine ziehen, solange die Chance bestand, ohne Moritz zu sehr vor den Kopf zu stoßen. Die Anschuldigung, dass sie seine Notizen las und er ihr nicht glaubte, hatten den Ausschlag gegeben. Sie musste eine Grenze fordern, die er nicht überschreiten durfte. Ansonsten sah sie keine Möglichkeit auf ein weiteres Zusammenleben mit ihm.

      Zu Hause rief sie nach ihm, brauchte sofort das Gespräch, um ihnen als Paar eine Chance zu geben. Moritz war allerdings nicht da, am Samstag, in der Reha hatte er keine Anwendung, vielleicht hatten Chris oder Tom ihn abgeholt. Es war vollkommen richtig, wenn Moritz wieder vor die Tür kam, viel zu lange hatte er zu Hause gesessen, was ihm ganz und gar nicht guttat.

      Auf ihrem Schreibtisch lag ein großer brauner Umschlag, ›Anette hat ihn eingeworfen‹, war ihr erster Gedanke, ›Zum Glück hatte sie Andreas nichts davon verraten.‹ Bei näherem Hinsehen fiel ihr auf, das Kuvert war geöffnet und wieder verschlossen worden. ›Hatte Anette doch hineingesehen, obwohl sie mir erzählte, diesen in Anwesenheit ihres Vaters verklebt zu haben?‹ Kurz entschlossen griff sie zum Hörer. Bereits nach dem dritten Klingeln meldete sich Anette.

      »Guten Morgen Frau Schröder, herzlichen Dank, dass Sie mir den Umschlag eingeworfen haben«, bedankte sich Eva. »Er ist so dick gefüllt und aufgeplatzt, gut, dass Sie ihn nochmals zugeklebt haben«, stocherte sie in Vermutungen.

      »Guten Morgen Frau Völkel, gerne geschehen, es war besser, dass mein Bruder nichts davon erfuhr«, gestand sie erleichtert, »Aufgegangen? Nein der Umschlag ist nicht aufgegangen, ich hatte ihn extra mit starkem Klebeband verschlossen. Glauben Sie mir, der geht nicht von allein auf. Unmöglich. Auf dieses Band ist Verlass, das benutze ich auch, um Pakete zu verschicken«, fügte sie bestimmt hinzu. »Mein Bruder hatte sich an dem Morgen kurzfristig entschlossen und war zu Hause geblieben. Ich konnte Sie nicht mehr rechtzeitig erreichen um Ihnen abzusagen. Andreas war so sehr mit Ihrem Aufkreuzen beschäftigt als eine Verbindung zwischen uns herzustellen. Er kann sehr rabiat werden, aber ich habe ihn ganz gut im Griff. Was immer auch in diesem Umschlag ist, passen Sie auf, dass die Vergangenheit Sie nicht einfängt.«

      »Danke, ich werde auf mich achten«, versprach sie.

      »Alles Gute.«

      ›Ok, Anette war es nicht, wer blieb übrig? Moritz. Schon wieder hatte er sich nicht an ihre Abmachung gehalten.‹ Eva hörte die Haustür und lief die Treppe hinunter. Vor ihr stand Moritz,

      »Du hättest mir ruhig absagen können. Ich kam mir total bescheuert vor, hab über eine Stunde auf Dich gewartet.« Die Enttäuschung stand ihm ins Gesicht geschrieben.

      »Wir waren verabredet?«, ungläubig sah Eva ihn an, »Wann? Wo?«

      »Ach komm, spiel nicht die Unwissende, ich hab Dir gestern Nacht noch eine Nachricht geschickt. Eva, lass gut sein, ich bin müde und geh schlafen.« Er drückte sich an ihr vorbei und stieg humpelnd die Treppe hinauf. Perplex blieb Eva zurück. Erst als sich die Schlafzimmertür schloss, fiel die Regungslosigkeit von ihr ab.

      ›Was war das gerade eben? Er hat mir eine Nachricht geschickt?‹ Flink zog sie das Handy aus der Handtasche und prüfte die Eingänge. Nichts. Es war nicht eine einzige Information auf ihrem Telefon angekommen. Gar keine. Das war schon recht ungewöhnlich. Erneut prüfte sie ihren Zugang, Nichts. Sie schaltete das Gerät aus und wieder ein, Nichts. Sie drückte die Telefonnummer von ihrem eigenen Festnetzanschluss und wartete, Nichts. Es klingelte nicht. Sie versuchte, die unterschiedlichen Nachrichten Apps zu öffnen, Nichts. Das Display leuchtete, doch das Handy war tot.

       ›Verdammt noch mal, was war jetzt wieder mit diesem Telefon los? Moritz hatte sich mit mir treffen wollen, vielleicht sucht er ja auch einen Weg aus dieser vertrackten Situation? Jetzt kann ich es nicht mehr ändern, er ist verschnupft und enttäuscht. Ich lass ihn schlafen, eventuell geht’s ihm dann besser und wir können reden.‹

       Schröders Aufzeichnung

      Eva öffnete den Umschlag, der Inhalt erwies sich als ein ordentlich gebundenes Werk von vormals losen Seiten, in Sütterlin geschrieben. Erstaunt über das nachträgliche Vertrauen macht sie sich ans Werk, die Eintragungen zu entziffern. Sie verfasste eine Zweitschrift, in der sie nach Belieben blättern und später Notizen einfügen konnte, ohne das Original mit seinen eingerissenen Papierbögen noch zusätzlich zu beschädigen. Je weiter sie las, desto mehr erkennt sie die Brisanz der Zeilen.

      Die ersten Seiten bestanden aus Angaben zu den alltäglichen Arbeiten auf dem neu angelegten Flugfeld, Probestarts und Landungen, einem Absturz mit sieben toten Soldaten und von Materialanlieferungen. Besonders interessant wurde es ab 1944.

      Denn Hans Schröder schrieb:

      Heute kam erneut eine Lieferung Holzkisten. Der Aufseher stand wie jedes Mal im Hintergrund und führte akribisch Buch. Er hatte auch diesmal keinerlei Rangabzeichen, die Rückschlüsse auf seinen Dienstgrad zuließen. Die in letzter Zeit vermehrten Anlieferungen machten uns stutzig. Wir stellten keine Fragen, kümmerten uns lediglich um die Verladung in die bereitstehende DFS 230. Die Kameraden schlossen bereits Wetten ab, ob der Übungspilot wieder den Flug ausführt und er diesmal den Heimweg findet.

      Leutnant Stiller hatte unterdessen alle Soldaten antreten lassen und zum Stillschweigen verpflichtet, jeden Monat ließ er uns erneut den feierlichen Eid schwören. Dabei befahl er uns bei der Treue zu Führer und Vaterland absolute Geheimhaltung. Im Jahr 1940 wurde ich vom ihm ausgesucht, weil er bei mir die optimalen Voraussetzungen als Pilot sah und den Respekt meiner Soldaten fand. Seit der ersten Lieferung wussten wir alle, dass diese Holzkisten zu einer geheimen Operation gehörten, die unseren Sieg unterstützen und beschleunigen sollten. Der Befehl lautete, die Kisten mit dem eigenen Leben zu verteidigen.

      15. August 1944 – Heute war ein schrecklicher Tag, wir hatten gerade die Kisten verladen und rollten auf die Bahn zu, als das Signal eines Luftangriffs ertönte. Umgehend leiteten wir den Startvorgang ein, aber unsere Flugzeuge wurden bereits getroffen und flugunfähig. Deshalb begannen wir die Ladung zu bergen und in ein sicheres Versteck nahe am Fuhrparkgebäude zu bringen.

      Die Erde bebte bei jedem Einschlag einer Bombe, oftmals wurde uns der Boden unter den Füßen weggerissen. Aufrappeln und ohne Unterlass rennen hieß da die Devise, zwischen Flugzeug und Gebäude hin und her. Aus den Augenwinkeln sah ich, wie mein Kamerad plötzlich zusammensackte. Schnell verstaute ich die Kiste und kümmerte mich sofort um ihn. Ein Splitter steckte tief in seinem Bauch. Er griff mich mit letzter Kraft an den Aufschlägen und verlangte meinen Schwur, das Versteck niemand anderem als Major Friedrich von Arche zu verraten. Er würde diese Verletzung nicht überleben und könne die Aufgabe nicht mehr ausführen. Sein Name sei Paul und ich musste beim Leben meines Sohnes Peter schwören, diese Kisten noch sorgfältiger zu verbergen, niemals darüber zu sprechen oder das Versteck aufzuschreiben. Ich solle sehr vorsichtig sein und keinem Menschen vertrauen. Ausschließlich Friedrich von Arche dürfe den Ort der Operation Medusa erfahren, niemand sonst, weder Spieß noch ein anderer aus der Kaserne in Frankfurt. Ich müsse ihn hier auf dem Flugfeld beerdigen und kein einziges Wort sagen, er sei niemals hier gewesen. Die Operation Medusa ist streng geheim.

      Mit diesem letzten Satz verstarb Paul in meinen Armen. Getreu dem Schwur verbarg ich die Kisten noch tiefer in den aufgerissenen Grasflächen und begrub ihn ordentlich. Er hatte seine Erkennungsmarke versteckt im Futter der Jacke eingenäht, die ich beim Beerdigen fühlte und sie unzerbrochen zwischen seine Kiefer steckte. Mir war, bis auf einige oberflächliche Verletzungen, nichts weiter geschehen. Meine Ohren dröhnten von den heftigen Explosionen und die Augen brannten vom beißenden Rauch.

      Der Luftangriff war vorbei, der Flugplatz fast vollständig zerstört, am Hangar stand nur noch ein fahrtüchtiger LKW, auf den Soldaten die Verwundeten luden. Die überlebenden Kameraden begrüßten mich, keiner hatte gedacht, mich lebend wiederzusehen. Sie sahen wie die Flugzeuge getroffen und in Schutt und Asche gelegt wurden. Auf der Ladefläche sah ich den Aufseher mit seinem Buch,

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