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grau, aber auch nicht farbenfroh. Ich ließ ihn treiben, genoss, kutschiert zu werden.

      Draußen lud ein heißer Sommertag zum Träumen ein. Während der drögen Geburtstagsfeier in der dunklen Restaurantstube hatte ich davon nichts bemerkt. Durch die offenen Fenster wehte mir ein kühler Wind ins Gesicht und durchs Haar. Jean drehte die Anlage noch lauter und wir schrien Californian Dream …!“ in den Sommer.

      Bald erkannte ich, wohin Jean uns entführen wollte. In unserer Jugend hatten wir ein verborgenes Plätzchen im Wald entdeckt. Nur für uns. Früher war da ein kleiner See. Ob es ihn noch gab? Das letzte Stück musste man zu Fuß gehen. Dorthin hatte bisher niemand einen Weg angelegt. Wir stellten das Auto auf die grüne Wiese, nahmen uns an der Hand und stapften durchs hohe Gras. Jean schwitzte und zog schon unterwegs sein Hemd aus.

      Am See angelangt suchten wir einen geeigneten Platz, um uns abzukühlen. Seit Jahren waren wir nicht mehr alleine zum Schwimmen. Nackt Baden – am Abend, heimlich, wenn es schon dunkel wurde. Dieser Zauber – fast vergessen. Jean hatte sich bereits vollständig entkleidet in den See gestürzt. Ich zögerte, mich auszuziehen. Die junge Amely wäre sofort nackt hinterher gesprungen, aber heute?

      „Hey, was ist los, Sweety? Das Wasser ist herrlich erfrischend!“

      Mit leiser Wehmut schüttelte ich den Kopf. Etwas hielt mich zurück. Ich saß mit kurzem Rock und knappem T-Shirt bekleidet im Gras. In meinem Kopf klang noch das letzte Lied aus dem Auto: „What the world needs now is love“

      „Das Wasser ist mir zu kalt! Bitte komm raus und hole mir deine Jacke. Ich trage sie so gerne.“

      Kommentar: Wie die Zeit vergeht! Gut eingefangen.

       Stefan Herr

       Geistesblitz

      Der Raum getaucht in helles Weiß/

      nichts ist hier, außer mir/

      Nichts da/ außer das, was war/

      Gewesen ist/ doch alles, was war, ist nichts/

      in diesem weißen Licht/ liege ich entspannt/

      und werde von ihm getragen, so sanft/

      nehme es ab jetzt selbst in die Hand/

      Vergangenheit als Vergangenheit anerkannt/

      die Bilder des Kopfkinos verbrannt/

      Geister der Vergangenheit verbannt/

      und ein in die Zukunft gerichteter Blick/

      lässt ihn in mich fahren, den Geistesblitz/

       Heiner Brückner

       Der Koffer

      Er vermutete, dass sie sich in das Schlafzimmer zurückgezogen hat. Eigentlich war er sich dessen sicher. Also wusste er, wo er sie antreffen konnte. Der Kleiderschrank stand offen, ein Koffer lag auf dem Bett, sie packte. Was packte sie und wozu denn? Er hatte bislang keine Ahnung davon, dass sie verreisen würden. Sie hatten keine Urlaubsreise vorbereitet, nicht einmal von Plänen war in letzter Zeit die Rede gewesen. Und wegen der kleinen Meinungsverschiedenheit vorhin brauchte sie doch nicht gleich abzuhauen. Das konnte man schließlich bereden, das würde sich schon wieder legen. Wie oft in den vergangenen 49 Jahren hatten sich Auseinandersetzungen wieder zusammensetzen lassen. Das hatten sie noch immer hinbekommen, darin waren sie erprobt, ja mittlerweile geübt.

      „Ich kann es einfach nicht begreifen, dass es dir reicht. Es ist doch noch lange nicht zu Ende. Wir sind erst siebzig“, sagte er zu seiner Frau.

      „Ich fasse es nicht, dass du noch immer nicht begreifen kannst, dass sich das Ende schon lange angekündigt hat. Hast du dein Rückgrat vergessen? Oder willst du es einfach nicht wahrhaben?“, antwortete sie und packte weiter.

      Er schüttelte den Kopf und beteuerte: „Nein, ich mag nicht, dass es zu Ende geht.“

      „Du willst es nicht, weil du nicht haben kannst, dass etwas so ist, wie du es nicht willst.“

      „Ja, weshalb sollte ich etwas ändern, wenn es rund läuft, ohne Nebengeräusche?“ Er stellte sich ihr in den Weg und schaute sie fragend an.

      „Ich bin kein Motor, bin nicht dein Automobil“, sagte sie und ging an ihm vorüber zum Schrank. „Ich bewege mich selbst, nach meinem Antrieb.“

      „Wieso bist du so umtriebig? Was treibt dich denn um?“, fragte er weiter und drehte sich zu ihr hin. Er fasste sie an den Oberarmen, stand frontal zu ihr. Er versuchte ihren Blick zu fixieren.

      „Ich treibe mich an, mich treibt nichts um.“ Sie hörte sich sehr entschlossen an, schaute ihm einen Moment voll in die Augen. Dann schüttelte sie sich frei und griff in den Schrank.

      „Warum reicht es dir dann?“

      „Es reicht mir eben noch nicht!“, sagte sie scharfzüngig und schaute ihm erneut, aber fester in die Augen.

      „Wieso packst du die Koffer? Wo willst du denn hin?“ Besorgnis lag in der Stimme und zeigte sich in seinem Gesicht.

      „Da ist alles drin, was mich nicht mehr anzieht“, sagte sie. Der Satz klang für ihn wie ein Rätsel, er kam ihm zweideutig vor und er meinte: „Deshalb brauchst du doch nicht auszuziehen. Bleibe daheim, wo du immer warst. Hier ist unser Zuhause.“

      „Und du lege Anzug und Krawatte ab“, sagte sie zu ihm hin. „Wir sind in unserem Paradies und nicht auf einem Amt.“

      Er begriff nicht, was sie meinte, verstand seine Frau nicht mehr. Sie verschloss den gepackten Koffer und bat ihn darum ihn aufzuheben.

      „Wenn du die ausgemusterten Sachen oben auf dem Schrank verstaust, reicht es mir schon.“

      Kommentar: Noch einmal gutgegangen.

       Therie Enn

      DIE GESCHICHTE,

      DEREN TITEL AM ENDE STEHT

      Denn am Anfang war Honig gewesen, der weiche, welcher auf zarthäutige Fingerlein tropft, durch Poren viel zu dünn geschnittenen Brotes, mit reichlich Würze von Großmutter gebacken, jener ahnungslosen Alten, die in der blühenden Mitte des Lebens an Diabetes erkrankt war. Sicher dem Honig geschuldet! Ich HASSE weichen Honig.

      Aylins Honig klebt. Die wahre Süße. Der Geschmack des Todes. Das ist JETZT.

      Was Mutter von Großmutter geerbt hatte? Die lehrersüße Stimme an meinem Ohr und in meinem Ohr, salbungsvoll „Christian“ hauchend, und: „Pflege dir stets dein wunderbar seidiges Haar!“, während meine Honighand in den fast schon erwachsenen, immer noch seidigen blonden Flaum gefahren war. Ich HASSE Seidenhaar. Ich HASSE Lehrer. Ich HASSE Christian.

      Ich bin nicht Christian. Das ist JETZT.

      Der ‚Geschorene‘ – das war ich gewesen. Nicht in der Lehrersprache der Kerzelmeier. Ihr hatte Mutter nämlich berichtet. Alles. Von dem Seidenhaar. Von dem Honig im Seidenhaar. Sicher auch von meinem Zorn.

      Hannes hatte den ‚Geschorenen‘ erfunden. Das war auf jenem Jungscharlager gewesen, als die Kerzelmeier zusammen mit dem Pfarrer Wein getrunken, den Geschorenen zum Strafdienst – vierundzwanzig Matratzen klopfen – eingeteilt und später erläutert hatte, Hannes wäre jener, der nach einem Johannes benannt war, welcher behauptet hätte, am Anfang wäre das Wort gewesen.

      Das stimmt nicht: Am Anfang war der Honig.

      Ich bin nicht der Geschorene. Das ist JETZT. Ich HASSE Wein. Ich HASSE Pfarrer. Ich HASSE die Kerzelmeier. Ich HASSE alle Verpfafften. Ich HASSE Johannes.

      Hannes hatte es nie erfahren. Nicht unter den weinglasigen Augen der Kerzelmeier und nicht – dem Wunsch meiner Torten backenden Mutter folgend – als Gast in unserem Hause, zum Kakao geladen, wenn auch dem einzigen Zweck, nämlich der mathematischen Erbauung, folgend. Nicht am Anfang war das Wort gewesen. Am Schluss. Hannes hatte immer das letzte Wort gehabt. Erziehungslos, will ich heute meinen

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