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Die Legende vom Hermunduren. G. K. Grasse
Читать онлайн.Название Die Legende vom Hermunduren
Год выпуска 0
isbn 9783347036659
Автор произведения G. K. Grasse
Жанр Контркультура
Серия Die Legende vom Hermunduren
Издательство Readbox publishing GmbH
„Greife den Jungen an oder wage es, ihn zu beleidigen und ich schlitze dich auf, von deiner Kehle bis zu deinen Eiern!“ Der Dolch des Trierarch vollführte eine Kreisbewegung unmittelbar vor Gessius Nase. Dessen rechte Hand griff nach dem eigenen Dolch und währe wohl in Boiuvarios Brust gelandet, wäre Zosimos nicht schneller gewesen.
„Segelmeister…“ Zosimos Dolch stach mit dessen Spitze leicht in den Hals seines früheren Freundes. „… du scheinst Atlas Tod schnell vergessen zu haben… Ich aber nicht! Bekomme ich Praeco noch einmal zu fassen und der Trierarch ist nicht dabei, schneide ich ihm seine Ohren und Nase ab. Sicher weißt du, wenn du ein wenig nachdenkst, warum… Atlas war mein Freund, ich glaube auch der Deine… Dir aber scheint sein Tod nichts auszumachen, mir aber schon… Lass dein Messer wo es ist oder meines findet deine Kehle…“ Gessius stand wie zu Stein erstarrt. Er bewegte kein Glied. Seine Zornesader schwoll an, er wurde tiefrot im Gesicht und fauchte den Jüngeren an. „Nimm dein Messer weg oder ich schneide dich in Streifen, Zosimos!“
„Lass dein Messer dort und Dank an dich!“ meldete sich der Trierarch. „Nutzen wir doch den Augenblick, um Klarheit zu schaffen… Wer glaubt, dass Gessius recht hat, geht zum Bug! Wer mir vertraut, sammelt sich im Heck am Ruder… Los, entscheidet euch!“ schrie er und sein Blick musterte die herumlungernde Mannschaft.
Er wusste, dass dies ein Spiel mit dem Feuer war. Gingen mehr Männer zum Bug, konnte er mit nur wenigen Getreuen kaum wirksamen Widerstand leisten. Dennoch war es Zeit, reinen Tisch zu machen und er war entschlossen, sich diesen Moment nicht entgehen zu lassen. Hatte doch Zosimos, mit seinem Eingreifen, diese Gelegenheit herbeigeführt…
Eine Mannschaft im Müßiggang war stets eine Gefahr, zumal auch noch dem Praeco Nachtrauernde eher bereit waren, für dessen Freunde, zu denen Gessius nun einmal zählte, einzustehen.
Plötzlich stand Argelastus neben Boiuvario. Auch Falko, der Hermundure, schob sich an ihn heran.
„Herr…“ meldete sich Fuscus leise Stimme. „… sorge dich nicht… Wir halten zu dir!“
Und wirklich drängte die Mehrzahl der Mannschaft zum Heck. Um Gessius im Bug scharrten sich lediglich fünf der älteren Besatzungsmitglieder.
„Dann scheint mir, die Sache ist entschieden!“ stellte Boiuvario die Aufteilung musternd, mit einem Grinsen fest. „Ich nehme eure Abmusterung zur Kenntnis! Bei nächster Gelegenheit geht ihr von Bord und merkt euch, dass ich keinen von euch jemals wieder in der Nähe meiner Liburne erblicken will! Solltet ihr dies vergessen, wird mein Messer für Erinnerung sorgen… Argelastes, Fuscus und Falko, lasst die Kerle dort wo sie sind! Die Übrigen an die Ruder! Suchen wir uns eine Stelle, an der wir diese Abtrünnigen von Bord werfen können…“
Boiuvario wusste, dass es früher oder später darauf hinauslaufen musste, dass er auch Gessius aus der Mannschaft warf. Zu offenkundig versuchte der Segelmeister mit seinen Händen nach der Macht an Bord zu greifen. Das ihm aber gerade seine zuverlässigsten Männer, so wie er sicherlich glaubte, ihre Freundschaft und Verbundenheit aufkündigten, schien ihn vollständig zu überraschen.
Zosimos Freundschaft zum großen, schwarzen Bären Atlas lag in der Unterschiedlichkeit ihrer körperlichen Voraussetzungen und im Charakter begründet. Der große Starke schützte den kleinen, vermeintlich Schwachen. Der kleine Kluge dachte für seinen großen, etwas schwerfälligen Freund. Die Einheit der Beiden, so unterschiedlichen Matrosen, war eine Besonderheit, die solange geachtet, keinerlei Gefahr hervorrief… Der Tod des Atlas aber brach eine Wunde auf.
Als sich Gessius einst den wieselflinken Zosimos zu seinen Segelaffen holte, nahm sich Atlas des damals Schutzbedürftigen an. Gessius war, schon zu dieser Zeit, wenig nachsichtig gegenüber Zosimos und erzog seinen vermeintlichen Getreuen mit manchem Tauende. Als Atlas aber seine Rolle als Beschützer annahm, wagte Gessius es nicht mehr so oft, den Jüngeren zu züchtigen.
Gessius und Praeco waren einst absolut tonangebend und wer sich nicht fügte, blieb, zumeist mit einer Messerwunde, auf der Strecke. Irgendwie schienen sich die übrigen Segelaffen Falko und Fuscus daran zu erinnern, dass auch ihnen einmal, in dieser Art, gedankt werden könnte. Beide kannten Gessius Fäuste, die ihnen früher, fast genauso wie Zosimos zuletzt, den Weg wiesen.
Gessius bemerkte nicht, dass sich nach Praecos Abmusterung die innere Geschlossenheit der Mannschaft veränderte. Als Boiuvario nach der Übernahme der Liburne zu Alte aussonderte, verlor die Mannschaft einen Teil des inneren Gefüge. Neu Hinzugekommene passten sich an, waren aber nicht so aufgenommen worden, wie zuvor Entlassene dazu gehörten. Dann warf Boiuvario den Praeco von Bord. Die innere Einheit der bisherigen Mannschaft bröckelte weiter, weil sie ihren wichtigsten Kopf verlor…
Rojer und Matrosen sind oft harte Kerle… Wie sollten sie auch nachsichtig und freundlich sein, bestand ihr Leben doch zu großen Teilen nur aus hässlichen Pflichten, schlechtem Essen, wenig Schlaf und ständig einer Peitsche im Rücken…
Auch wenn Freundschaften unter Gleichartigen selten waren, galt es stets der Geschlossenheit der eigenen Mannschaft zu vertrauen. Nach Außen war eine solche Schiffsmannschaft ein festes Gefüge, schloss aber im Inneren nicht aus, das Rivalität, Neid, Missgunst, Brutalität oder einfach auch nur Gemeinheiten wirkten. Je fester eine Mannschaft zusammenhielt, desto unverwundbarer wurden deren einzelne Teile. So war es schon vor Boiuvarios Zeiten auch auf dieser Liburne. Sein Einfluss veränderte aber vieles. Zuerst wich ein Teil der Besatzung, dann wirkte seine Klarheit sowie auch seine Stärke und veränderte die innere Stabilität. Letztlich bewirkten Auseinandersetzungen, dass sich die Mannschaft völlig neu ausrichtete. Boiuvario förderte diesen Vorgang, wenn er auch nicht jede Einzelheit beeinflusste oder gar steuerte. Eines aber gelang ihm hervorragend… Es war seine Beobachtungsgabe, die gepaart mit Geduld und zuweilen auch Forschheit, Entscheidungen herbeiführte. Das letztlich immer alles zu seinem Vorteil ausschlug, verdankte er dem Einfluss der Götter oder einfach nur seinem Glück.
Auch dieses Mal entschied er sich scheinbar richtig. Die Lage an Bord spitzte sich nach des Praecos Abgang zu. Gessius nahm sich Dinge heraus, die Boiuvario nicht zu dulden gewillt war. Er zögerte jedoch, weil er noch immer nicht wusste, ob die Mehrheit der Mannschaft zu ihm halten würde. Zosimos war das Pendel, das ihm zeigte, dass der Augenblick einer Entscheidung gekommen schien. Erkannt und genutzt, schrumpfte der Teil ihm feindlich Gesinnter auf Gessius und nur noch weitere fünf Rojer. Merkwürdigerweise entschieden sich alle verbliebenen Segelaffen für ihn und gegen ihren bisherigen Segelmeister.
Es war wieder der Flusshafen in Borbetomagus, an dem sie anlegten und die Abmusterung vollzogen. Boiuvario stand an der Planke, vom Boot auf die Mole, als Gessius festen Boden betrat.
„Gessius, ich bedaure deinen Entschluss, dich hinter Praeco gestellt zu haben… Den allerdings verfluche ich! Ihm und dir rate ich, nie wieder in meine Nähe zu kommen… Solltet ihr dennoch auftauchen, werde ich euch töten!“
Gessius blickte auf. „Wir werden sehen, wer wen…“ antwortete er und Boiuvario wusste, dass diese Feindschaft bis zum Tod hielt.
Er hätte dem Kerl seinen Dolch in die Rippen schieben sollen, statt auf Verständnis zu hoffen. Die Gelegenheit ergab sich mehrfach, allein die Verbundenheit der Segelaffen fürchtend, zögerte er. Nun war es zu spät und sich dessen gewiss, würde er öfter hinter sich blicken müssen, bis der Praeco und der Segelmeister ihre Götter trafen.
Dieser Zwischenfall zeigte einen neuen Geist. Boiuvario machte Falko zum Segelmeister und griff sich zwei der jüngeren Burschen, um aus diesen neue Matrosen zu machen. Damit war die entstandene Lücke scheinbar geschlossen. Neue Rojer würde er in Mogontiacum oder in Gaidemars Sippe finden. Er hoffte auf das Verständnis und die Hilfe des Eldermann.
Das Wetter ließ den bärbeißigen Winter ausklingen. Sie hatten Mogontiacum noch nicht erreicht, als sie von der heranwälzenden Masse gebrochener Eisschollen eingeholt wurden. Jetzt begriffen seine Männer die vom Eis ausgehende Gefahr. Um die Liburne herum schwammen alle Arten von Schollen. Kleine und Ungefährliche ebenso wie große, breite und lange, selbst riesige, ungebrochene Stücke… Auch sich auftürmende Blöcke erschienen immer zahlreicher.