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feierten wir Jungs auf andere Art. Vor dem Haus des künftigen Ehemannes versammelten wir uns absprachegemäß. Ein Wagenrad mit Eisenbeschlag war zwingend nötig, weiterhin eine Sense ohne Stiel. Das Rad wurde so aufgebockt, dass es frei drehbar war. Mindestes drei Burschen wurden zur Bewältigung des Akts benötigt. Am Rad musste fleißig gedreht werden, während einer die Sense auf das Eisen hielt. Das ohrenbetäubende Kreischen des beinahe glühenden Sensenblattes zu ruhiger Abendstunde mag sich manch einer nun vorstellen. Je nach Örtlichkeit konnten die Anwohner das quietschvergnügte Spektakel aus der Nähe oder Ferne miterleben. Die Volksbelustigung erfolgte keineswegs ehrenamtlich oder rein zu unserer Freude. Der aus dem freien Leben sich Verabschiedende hatte seinen Tribut zu zollen. Wir sangen: „Geld her oder die lärmende Nacht gehört uns.“ Das war unsere Forderung. Zugeben muss ich heute, dass wir unseren Lohn am nächsten Sonntag nicht dem Klingelbeutel der Kirche spendierten. Besonders drängendes Gefühl, unseren Durst zu stillen, lenkte uns nach vollendeter Arbeit raschen Schrittes zu Anneliese in die Wirtschaft. Jetzt lautete der Song doch: „Bier her! Bier her! Oder ich fall um, juchhe.“ Unsere liebe Wirtin war vorbereitet und die Platte mit eigenhändig produzierten leckeren Frikadellen stand parat. Neckereien hatten wir stets auf den Lippen und riefen manchmal unisono: „Na, bei welchem Bäcker (gemeint war das Paniermehl als Zutat in den Klopsen) bist du gewesen, um das Fleisch zu vermischen?“

      Lange Zeit dröhnte noch die Musikbox in den Ohren nach. Preiswert war die Musik in den 1960er Jahren. Als andere Medien die gute Wurlitzer Fuego oder Jukebox Seeburg ablösten, verschwanden diese nicht komplett aus dem Marktgeschehen. Sammler können solche Geräte heute für circa eintausendfünfhundert Euro im Internet bei eBay erwerben. Das Wurlitzer Modell 2510 soll sogar für mehr als viertausend Euro zu erwerben sein. Immer wieder bedrängten wir unsere Anneliese, den Münzeinwurf zu füttern, wenn wir schon das Bier bezahlen.

      Mir ist nicht bekannt, ob Forschungsergebnisse zur Entstehung unserer Bräuche in Schüller existieren. Jedenfalls festigten viele Sitten und mannigfaltiges Brauchtum die Dorfgemeinschaft. Wir waren zwar nicht mehr so sehr wie unsere Vorfahren mit der ursprünglichen Natur, der Religion und in den alten Traditionen verwurzelt. Manche alte Sitte unserer Väter hatten wir nicht erfahren, um sie wieder aufleben zu lassen. Ob die in meinem Buch „Beamtenkühe und betrunkene Hühner“ erwähnten Flurprozessionen im Monat Mai mit den Gebeten um gutes Wachstum und Ernte auch in diesem Jahrhundert gepflegt werden, kann ich nicht sagen. Ich muss feststellen, dass insbesondere der allgemein sich verbreitende gesellschaftliche Wandel selbst in kleinen Dörfern nicht zu stoppen war.

      Während meiner Jugendzeit trugen bereits einige Menschen Jeans. Hier denke ich an unsere Küsterin während meiner Messdienerzeit. Ich dagegen mochte nie Jeans und habe bis heute keine getragen, da ich schicke Kleidung liebte. Im Tag des Herrn18 wurde ausführlich über den Juden Levi-Strauss aus dem oberfränkischen Buttenheim berichtet. Der Senior der Jeans hatte in der Zeit des Goldrauschs in Amerika den richtigen Riecher. Das Leben des 1829 geborenen Kindes überaus armer Eltern wird im Levi-Strauss-Museum 19 in seinem ehemaligen Geburtshaus (stammt aus dem späten siebzehnten Jahrhundert) geschildert. Trotz der günstigen Zeitepoche als wesentliche Hilfe zum Erfolg, musste der Erfinder der Mutter aller Jeans „Arbeitshose“, „Cowboyhose“ und „Nietenhose“ Spürsinn und Tatkraft einsetzen.

      Ja, so war die schöne Jugendzeit – sie ist vergangen und kommt nicht wieder. Jedenfalls purzelten aus verschiedenen Köpfen interessante Ideen und es saßen nicht alle Mann, wie heutzutage zu sehen ist, jeder mit seinem Handy beschäftigt nebeneinander. Wer weiß, mit welcher Freizeitgestaltung die Jugend sich in fünfzig oder gar hundert Jahren beschäftigen wird? Wer hätte vor einigen Jahrzehnten an eine unendliche Datenautobahn, für Omas und Opas auch mit großer Schrift, und mobile Ferngespräche für jedermann gedacht? Wir jedenfalls noch nicht. Oder man ist dieses entfremdeten Treibens überdrüssig geworden, kehrt zurück zur Natur, was mancherorts bereits wohltuend zu beobachten ist.

      16 Lesehinweis

      17 Lesehinweis

      18 Lesehinweis

      19 Lesehinweis

       Verpasste Chancen

      Vor einiger Zeit las ich einige Zeilen aus dem Gedicht „Stufen“ von Hermann Hesse.

      Wie passend es doch ist, dass jede Blüte wie die Jugend welkt. Auch meine musste, ob ich wollte oder nicht, das Alter kommen lassen. Wichtig ist, jeweils zu einem Abschied bereit zu sein, einen Neubeginn zu wagen, nicht traurig zu sein, sondern tapfer.

      In den verflossenen Jahren flackerten beharrlich Fragen auf, deren Antworten auf ewig ausbleiben werden. Welche Gründe lagen vor, mit den Eltern nicht öfter über die Vergangenheit und diesen verheerenden gottlosen Krieg oder die Hitlerzeit diskutiert zu haben?

      War mein Vater freiwillig in das Soldatenleben eingetreten oder aufgrund welcher Beweggründe? Wollte er etwa weg aus dem Dorf? Wie oft erzählte er, dass bereits früh morgens die Pflicht auf der Wiese rief, um mit der Sense das noch taufrische Gras zu mähen. Niemand meiner oder der folgenden Generation mag sich jene Arbeit vorstellen und zwar noch vor Schulbeginn. Nicht mal an einem freien Samstag, falls schulfrei war.

      Welche Meinung vertrat er damals, noch keine dreißig Jahre zu Kriegsbeginn, über die Juden? Dass er auf der niederländischen Insel Terschelling als Funker seine Aufgabe erfüllte, hat er erzählt. Wo und in welcher Funktion mein Vater außerdem operierte, wurde nie diskutiert. Gefragt hatte ich auch nicht. Oder alles vergessen? Ich hoffe inständig, dass er nicht direkt als Täter wirkte. Es dürfen auch nicht alle Soldaten als Täter verurteilt werden. Irgendwie oblag sehr vielen jedenfalls die Opferrolle.

      Ich höre noch heute manch entschuldigend klingenden Sätze wie „Hitler hat die Arbeitslosen von der Straße gebracht. Der Autobahnbau brachte für viele Menschen Beschäftigung und Brot auf den Tisch“.

      Ob ihm bekannt war, dass einige bekannte große deutsche Unternehmen wie die Gussstahlfabriken von Krupp (Alfred Krupp wurde verurteilt und erhielt auf Veranlassung der Amerikaner während des Koreakrieges Amnestie), die tödliche Chemiefabrik Bayer AG oder Siemens-Fabriken KZ-Häftlinge und Kriegsgefangene sowie Ostarbeiter einsetzten? Es sollen bis zum Herbst 1944 bis zu fünfzigtausend Zwangsarbeiter gewesen sein. Leider konnten die Alliierten im April 1945 nur noch vierzigtausend Menschen befreien.

      In späteren Jahren kam mir hin und wieder eine von mir damals nicht gestellte Frage in den Sinn: „Weshalb habe ich ihn nie konkret zu seinen Einstellungen zu den massenhaft ermordeten Juden befragt?“ Mir bleibt daher nur das Bemühen, mit größtmöglicher Intensität zu versuchen, im Langzeitgedächtnis damalige Diskussionen zu reflektieren. Eine bedeutende Grundsatzfrage an ihn tritt aus undurchsichtigen und schwachen Gehirnkammern innerhalb dieser von mir geführten Diskussion zutage: „Weshalb habt ihr Soldaten denn so lange im Krieg wie Statisten zugeschaut? Wieso habt ihr euch nicht gegen das Morden von vielen Tausend Menschen gewehrt? Seid ihr denn völlig blind oder taub gewesen und verblendet durch die Propaganda des einflussreichen Hitlervertrauten Goebels?“ Ich hätte weiterfragen können: „Warum habt ihr später so getan, als sei nichts geschehen? Niemals etwas über die Zeiten erzählt?“

      Heute weiß ich, dass eine solche Verdrängung auch zu späteren Zeiten und an anderen Orten geschah.

      Manchmal hatten seine Worte einen für meine Ohren negativen Nachklang: „Die wollten immer Geschäfte machen.“

      Ich hätte darauf antworten sollen: „Meinst du, eine Geschäftstätigkeit ist eine negative Eigenschaft?“

      Seine Antwort könnte ich mir jetzt vorstellen: „Die haben nicht richtig gearbeitet.“

      Was er als Arbeit interpretierte, war für meinen Papa keine Frage. Nach seinem Reden zählte hierzu nur die körperliche Arbeit. Kein Wunder, dass mancher mir Spötteleien zurief: „Du mit deiner linken Flutsch.“ Als Linkshänder war es schon ein Problem, von körperlich tätigen Männern im Alltag akzeptiert zu werden. Allerdings sind derartige Sätze auch heute keine Seltenheit. „Wer im Büro sitzt, ist ein Schreibtischtäter und arbeitet nicht“, ist hier und da zu hören. Zu entgegnen wäre heute andererseits: „Weißt du, Geschäftstätigkeit und Erfolg

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