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um einen fast gleichaltrigen jungen Kollegen und eine ältere Sachbearbeiterin. Sie stand etwa fünf Jahre vor ihrem Rentenbeginn, das schien mir fast der Grund zu sein, ihre grauen Haare nicht besonders zu frisieren. Nun bekam ich einen ersten Eindruck zu meinem künftigen Arbeitsbereich.

      Oh, wie viele Steine purzelten von meinem Herz, als nach mir unendlich lang erscheinender Zeit der dortige Beigeordnete aus der Abteilung von meiner Notsituation erfuhr und eine Lösung andeutete.

      „Herr Niebes, ich bringe Sie heute Nachmittag zu Freunden. Sie werden ihnen nach meiner telefonischen Absprache im Obergeschoss des Hauses ein möbliertes Zimmer zur Verfügung stellen. Dort werden Sie unterkommen; nehmen Sie gleich Ihre Sachen mit. Ruhe werden Sie dort finden, denn die Gärtnerei grenzt an den städtischen Friedhof.“

      Dieses Gelände verursachte bei mir keine Furcht. Ich habe schon Menschen kennengelernt, welche um Mitternacht vor Angst vor aufsteigenden Geistern keinen Sparziergang dorthin wagen würden. An den mächtigen Sonnengott Re aus der altägyptischen Religion, viele Jahrhunderte vor christlicher Zeit, der des Nachts durch die Unterwelt fahre und die Toten erleuchte, glaubte ich wirklich nicht. Im 20. und 21. Jahrhundert gibt es sogar noch Menschen, welche sogar in bestimmten Wolkenformationen fremde Mächte mit Botschaften erkennen, solches Denken lag und liegt mir fern.

      Nach Dienstschluss durfte ich meine in einer Ecke im künftigen Büro abgestellten Reiseutensilien aufnehmen und in seinem Auto die Reise zur Gärtnerei antreten. Gesagt, getan.

      Ich schließe meine Augen und sehe mich vor dem stattlichen Zweifamilienhaus, links von der großen Beerdigungsstätte an einer Sackgasse gelegen. Alles macht einen picobello Eindruck. Es ist bereits später Nachmittag und die im Vorhof sichtbaren Gartengerätschaften sind ordentlich platziert. Na, da bin ich mal gespannt, was die Leute zu mir sagen werden. Etwas sonderbar ist mir schon zumute, nun so plötzlich vor ihnen zu stehen und um Einlass zu bitten. Aber ich hatte doch einen sehr guten Fürsprecher.

      Wie von Westfalen allgemein erwartet wird, erfolgte durch Ehepaar Saager eine freundlich-kühle Begrüßung. Eine Wohltat schien sich zu eröffnen. Aber was sollte ich denn erwarten? Es konnte mir doch niemand direkt, wie die Bläck Fööss im Jahr 1971 sangen, zurufen: „Drink doch ene met …“ Der Hausherr wollte sich noch mit Herrn Scholze unterhalten. Ob er wohl etwas Näheres zu meiner Person hören wollte? Verständlich wäre es schon.

      Frau Saager ging mit mir zu dem gesonderten Eingang, um mir den Weg zu zeigen. Sie schritt voran zu meinem künftigen Domizil. Auf der besonders engen, alten Holztreppe, knarrte diese und jene Stufe. Auf der ersten Etage angekommen, erfuhr ich, dass links im ersten Obergeschoss ein älteres Rentnerehepaar, nach meiner Einschätzung fast achtzig Lenze zählend, wohnte. Oben in der zweiten Etage angelangt, öffnete sie eine weiße Holztüre und ich sah ein winziges Kämmerlein.

      Ich erblickte links neben dem Eingang einen schmalen Kleiderschrank, höchstens einen Meter breit mit einem Hängeteil, mehrere alte Holzbügel und vier Böden für Wäsche. Nach kurzer Einschätzung schien mir die Lagerfläche für meine wenigen Habseligkeiten im inzwischen abgestellten Koffer zu genügen.

      Im Uhrzeigerlauf sah ich das weiße Waschbecken mit einem kleinen Riss an der rechten Seite und mittig einen kleinen Tisch sowie zwei mit dunkelbraunem Stoff bezogene Stühle und, in die Ecke gerückt, das Bett für eine Person. Durch das kleine Fenster erspähte ich die vielen Gräber, ohne ein Ende der Grabstätten auszumachen. Erfreut atmete ich beim Anblick der bereits herbstlich gefärbten großen Bäume auf. Die einzelnen Ruhestätten sollte ich während eines späteren Rundganges entdecken.

      „Die nächste Nacht wird mir jedenfalls Ruhe bescheren, sofern um Mitternacht nicht die Geister aus den dunklen Gräbern aufsteigen“, dachte ich. Das Gedicht „Die Geister vom Mummelsee“ von Eduard Mörike, wenn bei ihm diese Unholde vom Berge mit Fackeln kommen, hätte ich umdichten können (damals war der Dichter mir nicht sehr bekannt), um auf die Geister aus den tiefen Gräbern zu warten. Nein, nicht warten, sondern rasch das Fenster schließen.

      Mir fällt zu den Geistern meine Angst in Kindertagen ein, alleine im dunklen Keller zu sein. Keinen Gedanken verschwende ich an eine Geisterstunde, gleich ob sie in der dunkelsten Nachtstunde zwischen null und ein Uhr sein soll oder später. Ich lebe nicht mehr im Mittelalter.

       Erstaunlich, dass ein altes Manuskript aus dem Jahr 1411 sich bereits über Okkultismus mit allen dazugehörigen Anrufungen und Beschwörungen zum Herbeirufen der Geister beschäftigt. Damals herrschte eine gewisse kollektive Angst vor Kometen, Seuchen und verständlicherweise vor Erdbeben. Dies wurde, intensiv geschürt durch Gruselmärchen des Aber- und Kirchenglaubens (z. B. über Teufel, Dämonen oder Hexen). Die Angst vor Seuchen in unseren Breiten und nach den Jahrhunderten der Pest ist für mich an sich noch verständlich.

      Ich dagegen befand mich im 20. Jahrhundert im sicheren Hafen Deutschland in Westfalen.

      Heimweh kam angesichts der überaus großen Neugierde und völlig fremden Stadt noch nicht auf. Einigermaßen nervös gespannt erwartete ich als junger Beamter und Stadtassistent zur Anstellung die auf mich zukommende Arbeit.

      Es drängt mich überaus heftig, aus dem Arbeitsleben Anekdoten zu erzählen. Wie lautet der Spruch? Morgens ist die Welt noch in Ordnung. Damals hatte ich keine Kenntnis davon, dass die Formulierung als Basis zum Roman des englischen Autors Eric Malpass aus dem Jahr 196524 sowie zum Kinofilm im Jahr 1968 fungierte.

      Jedenfalls war dem so in unserer kleinen Bürowelt. Die besagte Ältere und der gleichaltrige Kollege Konrad zeigten am zeitigen Morgen keinen ausgeprägten Drang zu Fleiß. Pünktlich anzutreten morgens um sieben Uhr in der Früh war Pflicht. Die mir noch unbekannten Kartenspiele Rommee oder Canasta sollten Bestandteil der ersten Aufgabe sein. Verwundert schaute ich beide an. Eins kommt noch hinzu: Die Dame qualmte hinter ihrem Schreibtisch wie eine Dampfwalze und zündete sich in kurzen Abständen eine neue Zigarette an. Bis dato war ich Nichtraucher. Aber das Drängen fand kein Ende und endlich hatten beide mich so weit, dass ich meinen ersten Glimmstängel probierte, und sie mussten mein anfängliches Gehuste ertragen.

      Wenn nur das Rauchen völlig neu gewesen wäre, nein sogar Alkoholisches schien nötig zur Motivation und zum morgendlichen Start oder – ich wagte kaum zu denken – es diene dem Überstehen der Ödnis der Arbeitsalltage?

      Im Schrank war (es wird ja häufig über geheime Aktenordner gelästert) ein kleines Fläschchen Likör zum morgendlichen Ermuntern heimlich verstaut.

      Mit Konrad kam ich rasch zu einer Büro-Feierabend-Freundschaft. Die feucht-fröhlich und fidel gestalteten Abende mit ihm auf meiner Bude sind fast nicht zählbar.

      Nicht selten kam er auf mich zu und flüsterte: „He Winfried, heute hätte ich abends frei, da meine Freundin etwas anderes plant. Wollen wir uns einen netten Abend machen?“

      „Na klar, ich habe ohnehin nur Langeweile in meiner Kammer.“

      Uns schwebte vor, eine Kiste Bier und eine Flasche Whisky zu kaufen. Kurz überlegt und schon sausten wir mit dem alten, für diesen Abend ausgeliehenen Kleinwagen seiner Mutter zu einem Laden. Oje, wer eine derartige Mischung in größerer Menge noch nicht als Staudamm zu sich nehmen konnte, dem ist der Durst am nächsten Tag unbekannt. Staudamm trinken? Das war für uns beide ein gängiger Ausspruch. Jeder von uns wusste, was der andere sich vorstellte.

      Da wir, trotz großen Durstes, nun nicht zwanzig Flaschen Bier und eine komplette Flasche Whisky an einem Abend verzehren konnten, stand für einen der nächsten Abende eine erfreuliche Reserve zur Verfügung. Viel tragischer war zweifelsohne der heftige Drang nach Wasser ob der Nachwirkung einiger Gläser Pernod abends zuvor am nächsten Morgen. Sehr deutlich rauschte mir später noch so manche Kanonade der Mutter seiner Freundin in den Ohren, dass er schon wieder ohne Besuch bei ihr mit mir herumvagabundiert sei. Manchmal fuhr seine mögliche Schwiegermama zu ihren Verwandten irgendwo nach Westfalen wie Bielefeld oder Osnabrück. Die Städte kannte ich nur aus dem Atlas und stellte mir eine Fahrt mit dem Zug dorthin unendlich lang vor. Für Konrad war dann einige Abende Ruhe, wenn er seiner Freundin ausgiebig erklärt hatte, dass wir Wichtiges besprechen müssten zur Büroarbeit, wofür nur abends die nötige Ruhe herrsche. Es war kaum zu glauben, dass sie dies als bare Münze

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