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vielfältigen Vereinsleben. Aus heutiger Sicht ist das verständlich, da noch kein Handy und Internet den Tagesablauf bestimmen konnten. Wir suchten auf andere Art Möglichkeiten zum geselligen Beisammensein. Ich denke an den Junggesellenverein. Basis war nicht eine festgelegte Mitgliedschaft, sondern es bestand keinerlei rechtliche Bindung. Besonders kurzweilige Erlebnisse gibt es zu schildern. Nach Gusto planten wir auf einer in westlicher Richtung liegenden Wiesenparzelle einen Grillabend. Je nach Jahreszeit interessierte uns nicht, wer Eigentümer war und ob das Gras nach unserem Besuch wie von einer Bullenherde niedergetrampelt aussah. Eine anstrengende Schlepperei war vorher notwendig, den Grill, meistens drei je fünf Kilogramm schwere Schweinerollbraten und das erforderliche Bier zu transportieren. Niemand hatte ein Auto verfügbar. Der Rückweg mit dem Fahrzeug wäre nach dem Genuss der Menge flüssigen Brotes ohnehin äußerst risikoreich gewesen.

      Eine kleine Kabbelei gab es schon hin und wieder, wenn sich niemand freiwillig positionieren wollte, um längere Zeit den Schwenkarm zu drehen, während die anderen gemütlich nutzlos herumsaßen. Manch einer vertrieb sich die Langeweile mit Grashalmen. Ich konnte damals auch mit breiten festen Gräsern eine Art Pfeifton hervorbringen. Den Halm presste ich zwischen zwei Daumen, blies möglichst horizontal darüber und ein heller Ton erklang in den Abendhimmel. Der Saft läuft mir noch heute im Mund zusammen, wenn ich die dicken knusprigen Fleischscheiben vor mir sehe. Wenn der Franz Dortmunder Bier als Spende mitgebracht hatte, reduzierte sich mein Durst automatisch. Dieses Gebräu stillte mir zwar den normalen Durst, aber selbst, wenn ich über einen Zeitraum von vier bis fünf Stunden nur zwei Flaschen trank, hämmerte ein böser Geist intensiv in meinem Kopf.

      Es traf jedenfalls bei uns nicht die gängige Aussage zu, wenn der nächste Tag unwohl ins Land zog, zu sagen: „Das letzte Bier war schlecht.“ Im Gegenteil verlautbarten wir noch einen anderen „gutgemeinten“ Spruch: „Am nächsten Tag soll man wieder das trinken, womit der Abend endete.“ Dies nahm ich mir meistens nicht zu Herzen.

      Die schönsten Abende und anschließenden Nächte ergaben sich regelmäßig, sobald die Mannschaft die Masse von fast fünfzehn Kilogramm Fleisch verspeist hatte, der Bauch prall gefüllt war und uns daher kein Durst mehr auf der Wiese halten konnte. Ja, was sollten wir denn jetzt fast um Mitternacht noch anstellen? Um nach Hause zu gehen, war es noch zu zeitig. Also sangen wir so laut, wie es unsere Verfassung ermöglichte, Lieder und spazierten möglichst durch alle Straßen und über alle Plätze. Abgemacht! So schmetterten wir viele alte Volksweisen, welche die heutige Jugend kaum kennen dürfte.

      Mir fallen spontan ein: „Im Frühtau zu Berge, wir zieh‘n fallera …“; „Nun will der Lenz uns grüßen …“; „Hoch oben auf dem Berg, da steht ein Gerüst, da werden die Mädchen elektrisch geküsst“ (Ob das ein Volkslied war?); „Ein Jäger aus Kurpfalz, der reitet durch den grünen Wald …“.

      So laut wie möglich ließen wir unsere Stimmen während der dunklen Nacht von der Hauptstraße bis zur kleinsten Nebengasse mit erhöhtem Schallpegel ertönen. Es gab Pappenheimer16, deren Ärgerpegel aus unserer Erfahrung heraus rasch auf die höchste Stufe einer Leiter gelangen konnte, beehrten wir mit ausgesprochener Freude und Inbrunst mit einem Extraständchen.

      Jedem Wanderer ist das Hungergefühl nach langem Marsch eine gewisse Last. Trotz der mächtigen Fleischportionen von vor einigen Stunden und kräftigem Gesang erreichte uns ein gewisses Grummeln im Magenbereich. „Wat nu“, riefen wir fast wie im Chor. Die Wirtschaft hatte schon längst die Polizeistunde beachtet und mögliche verbliebenen Trunkenbolde nach Hause geschickt. Dort vielleicht noch die restlichen Soleier oder alten Frikadellen zu erwischen, war also unmöglich.

      Einer meiner Freunde, Paul, meinte zu seinem etwa fünf Jahre älteren Bruder Klaus: „Was meinst du, ob Mutter heute schon die Eier aus den Nestern gerafft hat?“

      „Ich glaube, sie war noch nicht dazu gekommen, als ich vorhin zu Hause war. Du kannst ja mal gucken“, war dessen Antwort.

      Wir übrigen deuteten dies als die beste Nachricht zu dieser Nach-Mitternachtsstunde: Es würde noch etwas zu futtern geben. Eine derart zündende Idee hatten die Brüder mehrmals, wenn wir nach unseren nächtlichen Sangesrunden wieder im Zentrum an der Straßengabelung nach Jünkerath landeten. Vor dem Haupteingang ihres Zweiseitenhofs lag die kleine private Hühnerfarm, unmittelbar angrenzend an den großen Gemüsegarten, mit sehr vielen gefiederten Eierproduzenten. Schwuppdiwupp war Paul auf der Hühnerpritsche verschwunden. Unsere Augen glühten vor Erstaunen und Freude. Zehn oder fünfzehn frische Eier von den fleißigen Hühnern der Familie lagen nach erfolgter Diebestour in einem geflochtenen Korb. Aber nun rasch alle ins Haus. Die fast erloschene Glut der Briketts im Küchenherd kam mit einigen Scheiten trockenen Holzes rasch auf volle Flamme. Die Pfanne aus dem unteren Schrank hervorgekramt und die Prozedur konnte starten. Für uns Burschen bestand kein Zweifel daran, dass gebratene Eier mit Schinken auf gutem Brot um diese Zeit ein Festmahl waren. Also zauberte unser Bratmeister in der Bauernstube für jeden einen köstlichen Strammen Max. Bier floss nicht mehr – das war nun nicht im Hühnerstall zu finden. Hm, einfach lecker! Von den Bauerssöhnen hörten wir niemals von Klagen oder Schimpfkanonaden ihrer Eltern. Es waren damals großzügige Bauern und sie freuten sich vielleicht, dass ihre Söhne im Junggesellenkreis so beliebt waren.

      Nach dem Wonnemonat Mai durften wir uns auf den Johannistag im Juni besonders freuen. Man soll es nicht für möglich halten: „Haribo macht Kinder froh und Erwachsene ebenso.“ Fast jährlich veranstaltete das Unternehmen etwas außerhalb des Dorfes ein Fest. Viele der Betriebsangehörigen kamen nach Schüller. Die Dörfler waren herzlich zum Feiern eingeladen. Es besaß dort, einen Kilometer entfernt an dem Verbindungsweg durch den großen Fichtenwald nach Steffeln, ein von einigen Bäumen und Sträuchern umrahmtes Grundstück. Was soll ich sagen? Für alles war gesorgt. Musik, genug zum Verspeisen und reichlich Bier und Wein. Bis weit nach Mitternacht wurde gefeiert und gelacht. Meine Essgewohnheiten zu solchen Anlässen oder als Zuschauer auf dem Sportplatz haben sich etwas gewandelt. Wenn damals Bratwurst das Normale war, nehme ich jetzt lieber eine Currywurst. Das tollste Ereignis stellte das große Feuerwerk dar. Im nächtlichen dunklen Himmel funkelten die mehrfarbigen Leuchtraketen aus der chemischen Trickkiste eindrucksvoll.

      Hierzu fällt mir während meiner Messdienerzeit noch ein Besuch in Bonn17 und Koblenz ein. Nach der Besichtigung bei HARIBO erhielt jeder eine silberne, mit herrlichen Motiven strukturierte Blechkiste. Die Augen wurden groß und größer, je näher der Inhalt inspiziert wurde. Viele unterschiedliche bunte Lakritze und die bekannten schwarzen Lakritzrollen kamen zum Vorschein. Herrliche Süßigkeiten. Auch in dieser Hinsicht hat sich mein Geschmack geändert. Mein robuster Magen benötigt kein Lakritz als Therapie, Bitterschokolade schmeckt mir besser, ist zudem gesünder. Das weitere Programm beinhaltete in Koblenz die Besichtigung der Coca-Cola-Fabrik. Ich konnte mit dem Geschmack bei bestem Willen nichts anfangen. Meine geschenkten Flaschen gab ich an meinen Freund Felix weiter, der sich riesig freute.

      An ein tolles Ereignis unserer harmlosen Streiche erinnere ich mich nur allzu gerne.

      Je nach Laune und wenn uns nichts Besseres einfallen wollte, meinte Hans-Josef: „Wollen wir nicht mal wieder Kläpperchen machen?“

      Eine Erläuterung des Ausdrucks erscheint mir für die heutige Jugend wichtig: Also, ganz einfach. Man nehme eine sehr lange Kordel, daran wird ein Nagel befestigt, sodass noch eine gewisse Länge verfügbar ist, um von einer Quersprosse eines Fensters nach unten an das Glas anschlagen zu können. Aufgepasst: Die Kordel wird nicht zu fest am Holz mit Reißbrettstift befestigt. Auf leisen Schustersohlen das Weite suchen und dann aus gehöriger Entfernung an der mindestens zwanzig Meter langen Kordel ziehen. Das machte aber nur derjenige, welcher am schnellsten laufen konnte. Sobald es gehörig am Glas klappert, die Beine in die Hand nehmen und laufen, laufen. Jedes Mal kam ein Mann wie auf Befehl zornig brüllend aus der Haustüre und rannte hinter uns her. Genau das war es doch, was wir erhofften. Ansonsten hätte es keine Freude bereitet. Mir ist sehr gut in Erinnerung, kein schneller Läufer gewesen zu sein. Zweckgemäß befand ich mich daher bei jeder Aktion bereits weit genug entfernt. Die Schnelligkeit des Mannes war uns bewusst. Letztendlich gab er auf und wir hofften auf ein neues Laufabenteuer mit ihm bei nächster Gelegenheit.

      Eine besondere Gaudi des Dorflebens darf nicht im Keller der Versenkung, des Vergessens verschwinden. Schleifen

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