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auf St. Pauli oder in St. Georg begangen, sondern im friedlichen Tonndorf nahe dem S-Bahnhof an der Strecke nach Rahlstedt. Freilich handelt es sich um recht merkwürdige Opfer, die sich erheben, wenn der Mann mit der Schirmmütze brüllt „Gestorben“ oder „Im Kasten“ oder „Schluss für heute“. Dann eilen die „Toten“ zum Abschminken, oder plaudern noch ein paar Minuten mit den Kollegen, schimpfen auf Drehbuch und Regisseur, über Beleuchter und Komparsen, und versichern sich gegenseitig, wenn das Finanzamt mit seiner unverschämten Nachforderung nicht so hartnäckig dränge, würden sie nie und nimmer ein solches Miniröllchen in so einer schmalzigen Knall-Schote angenommen haben.

      „Gehen wir noch ein Bier trinken?“

      „An sich gerne, aber ich muss noch für meine neue Rolle lernen.“

      „Spielst du wieder Theater?“

      „Oh ja. Weißt du, eine richtige Bühne und ein lebendiges Publikum – da spüre ich meine wahre Berufung. Und ein ordentlicher Szenenapplaus ersetzt jede Zeitungskritik.“

      Letzteres ist nicht einmal gelogen; denn in den Zeitungskritiken werden höchstens die Hauptdarsteller namentlich erwähnt, nie aber die vielen Zimmermädchen, Barfrauen, Verkäuferinnen, Bedienungen und eben auch nicht – die Leichen, die nach einem brutalen Raubüberfall auf die Tankstelle oder nach dem bleihaltigen Bankraub dekorativ postiert und mit Theaterblut verschmiert am Tatort zurückbleiben.

      1

      „Du meine Güte, die ist doch wohl verrückt. Bei diesem Wetter nackt auf der Böschung.“ Susanne, eine kleine zierliche Blondine, gab sich immer alle Mühe zu beweisen, dass die Blondinen-Witze keine Berechtigung hatten. Doch diesmal wollte niemand lachen, sondern alle rückten zur Seite, um Susanne einen ungehinderten Blick auf die Leiche zu ermöglichen. Susanne schrie leise auf und schlug eine Hand vor den Mund. „Die ist ja wirklich tot.“

      Daran bestand kein Zweifel. Die recht attraktive Frau lag regungslos in dem kalten, nassen Gras der Rahlauböschung, unter der linken Brust steckte ein schwarzer Messergriff, von der Klinge war nichts zu sehen, das lange brünette Haar war wie ein Schleier um den Kopf ausgebreitet. Rund um die Einstichstelle bildete getrocknetes Blut eine Art Kranz, den der seit zwei Stunden fallende eiskalte Nieselregen zum Teil schon aufgeweicht und abgewaschen hatte. Der Körper glänzte feucht. Die Zuschauer standen stumm auf dem asphaltierten Weg, der oben auf dem Damm verläuft, und rührten sich erst, als Polizisten mit rotweißen Bändern und Eisenstangen erschienen, um eine Absperrung rings um den Frauenkörper zu stecken. Niemand wollte gehen, im Gegenteil, immer neue Passanten blieben, von dem Auflauf angelockt, bei der Gruppe stehen und warteten darauf, dass etwas geschah.

      Es dauerte fast eine halbe Stunde, bis ein Trio erschien und sich energisch einen Weg durch die Neugierigen bahnte. Der Arzt hatte sich schon die Handschuhe angezogen und kniete neben der Leiche nieder. Der Polizeifotograf begann mit seiner Arbeit. Eine schlanke, energische Frau, gefolgt von einem großen, breitschultrigen Mann, wandte sich an die Neugierigen. „Kennt jemand die Tote?“

      „Ja.“ Ein älterer Mann mit einem Dreitagebart hob die Hand. „Sie heißt Gunda Harsfeld.“

      „Und wer hat die Leiche gefunden?“

      „Ich.“

      „Darf ich nach Ihrem Namen fragen?“

      „Ich heiße Peter Schröder.“

      „Und woher kennen Sie Frau Harsfeld?“

      „Ich bin Inspizient drüben in einer Studiofirma.“ Mit dem Daumen deutete er über die Schulter auf die Gebäude in seinem Rücken. „Frau Harsfeld war eine Kleindarstellerin.“ Aus der Gruppe ertönte zustimmendes Gemurmel. „Gunda hat gelegentlich bei uns gedreht.“

      „Und wo wohnte Frau Harsfeld?“

      Jetzt antwortete eine mollige Frau. „Da unten im Wöschenhof.“

      Die Kriminalbeamtin runzelte die Stirn. „Wer oder was ist der Wöschenhof?“

      Schröder lachte gutmütig. „Sagen Sie bloß, Sie kennen den Wöschenhof nicht. Die stadtberühmte Verlängerung der Tonndorfer Schulstraße?“

      „Nein“, antwortete Lisaweta Koschwitz gereizt.

      „Wie gut, dass Sie nicht bei der Feuerwehr arbeiten“, pflaumte der Mann sie gutmütig an.

      „Dann hätten wir längst die Schläuche eingekuppelt und Sie alle abgeduscht.“

      Der Arzt richtete sich auf. Vielleicht wollte er ein Blutbad verhindern; er kannte Lisaweta Koschwitz und ihr Temperament, das sehr oft im falschen Moment überschäumte. „Ein einziger Stich, genau ins Herz, Lisa.“

      „Und wann?“

      „Gestern gegen siebzehn Uhr. Pi mal Daumen geschätzt. Sie hat aber nicht die ganze Zeit hier gelegen. Schau dir mal die Leichenflecken an! Die Wunde muss außerdem scheußlich geblutet haben. Aber hier ist kaum Blut in den Boden gesickert.“

      „Wann ist die Leiche hier abgelegt worden?“

      „Ich würde denken, gegen Mitternacht, als der Regen noch nicht begonnen hatte. Aber Näheres …“

      „… erst nach der Obduktion“, ergänzt Lisa Koschwitz ergeben. „Anzeichen für eine Sexualtat?“

      „Nix. Es sieht nach einem sauberen Mord aus.“

      „Na dann. Mögliche Fußspuren auf dem Rasen und auf dem Weg haben die freundlichen Gaffer zertreten. Ihr dürft sie haben.“ Der Fotograf packte seine Kamera ein, nachdem er sie sorgfältig abgetrocknet hatte.

      Zwei Männer mit einer Art Bahre traten heran und legten die Leiche auf das Segeltuch. Einer deckte endlich ein Tuch über den nackten Frauenkörper, und für die Mehrheit schien das eine Art Kommando zu sein. Die Gruppe zerstreute sich und Lisa winkte Schröder heran. „Wo finde ich Sie nachher?“

      „Gebäude L wie Ludwig, achter Stock. Ordania-Film.“

      „Okay, dann bis nachher.“

      Lisas Begleiter hatte schon mit dem Präsidium telefoniert.

      „Harsfeld, Wöschenhof 39. Die Saling ist zuständig und kommt, wenn ihre Verhandlung nicht so lange dauert.“

      „Die Kollegen sollen sich mal nach der Kleidung, Handtasche und den Schuhen umsehen. Bei der Temperatur müsste es eigentlich auch einen Mantel oder eine dicke Jacke geben.“

      Der Polizeitrupp rückte ab, und Lisa Koschwitz winkte Kai Ringel heran. „Du musst Klinken putzen, Kai. Tut mir leid, aber vielleicht ist einem Nachbarn heute Nacht etwas aufgefallen.“

      „Und du?“

      „Ich rede mit diesem Schröder. Wer zuerst fertig ist, ruft an, damit wir uns die Wohnung anschauen. Die Spurensicherung soll so lange warten.“

      2

      In der Ordania-Film herrschte gedämpfte Aufregung. Männer und Frauen standen auf dem Flur und tuschelten hastig miteinander. Heute würde es dauern, bis von regulärer Arbeit die Rede sein konnte.

      Schröder bot Lisa einen bequemen Stuhl und einen großen Becher Kaffee an, verzog allerdings das Gesicht, als Lisa Koschwitz ihr kleines batteriebetriebenes Aufnahmegerät aus der Handtasche puhlte.

      „Danke für den Kaffee. Bei diesem Scheißwetter …“

      Schröder holte aus einem Stahlschrank mit Hängefächern eine Akte heraus. Rechts oben war ein Portraitfoto aufgeklebt, darunter eine Reihe von Daten getippt, mehrere gefaltete DIN-A4-Blätter waren mit einer farbigen Büroklammer an der Personalkarte befestigt. „Die Filmtitel, Produktionsdaten und -nummern, außerdem Szenendauer und die dazugehörigen Szenennummern, in denen Gunda aufgetreten ist.“ Schröder begegnete Lisas Blick. „Ja, das sind alle Auftritte Gundas in unseren Filmen.“

      „Können

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