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      „Sie sollen allein und unbewaffnet zu den New York City Railroad Piers kommen.“

      „Wann?“

      „Um zweiundzwanzig Uhr.“

      „Wird Jimmy da sein?“

      „Das weiß ich nicht. Man sagte mir nur, dass Jimmy seine Freiheit wiederbekommt, sobald man Sie hat.“

      Allein und unbewaffnet, dachte Bount Reiniger. Das kommt einem Himmelfahrtskommando gleich. Die Gangster hatten schon einmal versucht, ihn aus dem Weg zu räumen, weil er für sie ein unbequemer Zeitgenosse war.

      Wie aber sollte er das verhindern? Er hätte die Möglichkeit gehabt, nicht hinzugehen.

      Aber dann würde Jimmy Taylor das büßen müssen. Die Kerle blufften nicht. Die brachten den Jungen wirklich um, wenn ihre Forderung nicht erfüllt wurde. Man müsste sie austricksen, dachte Bount Reiniger. Ihnen ihren Trumpf wegnehmen.

      Aber wie? Bount konnte davon ausgehen, dass sich Jimmy Taylor nicht bei den Piers befand, und es war fraglich, ob sie den Jungen laufenlassen würden, sobald sie Bount hatten. Vielleicht behielten sie Jimmy in ihrer Gewalt. Niemand konnte sie zwingen, ihn freizulassen.

      Der Junge tat Bount leid. Was auf Jimmy in letzter Zeit alles einstürmte, war nicht leicht zu verkraften. Würde Jimmy diesen Höllentanz ohne Schaden überstehen?

      All das ging Bount Reiniger in Gedankenschnelle durch den Kopf. Es entstand nur eine ganz kurze Pause. Bount hörte Maggie zaghaft fragen: „Werden Sie die Piers aufsuchen, Mister Reiniger?“

      „Es wird mir nichts anderes übrigbleiben.“

      „Was werden diese Leute mit Ihnen tun, Mister Reiniger?“

      „Belasten Sie sich nicht damit. Denken Sie lieber an Ihren Jungen, und beten Sie für ihn“, sagte Bount und schob den Hörer in die Halterung. Eine ohnmächtige Wut erfüllte ihn.

      Nach wie vor diktierten diese Verbrecher das Geschehen. Es wurde Zeit, dass sich das änderte. Bount blickte auf die Uhr. 20 Uhr. Dir bleiben noch zwei Stunden bis zur Ewigkeit, sagte er sich. Nütze sie.

      Als erstes wollte er June March aus Arthur Douglas’ Bar holen und nach Hause schicken. Anschließend würde er sich zu den Piers begeben, um vorzeitig da zu sein und Vorkehrungen treffen zu können, die ihm das Weiterleben sicherten.

      Aber es sollte anders kommen. Ganz anders.

      Ein Wagen fuhr an Douglas’ Bar vorbei. Glas klirrte, und dann explodierte im Lokal eine Bombe. Bounts Kopfhaut zog sich schmerzhaft zusammen, denn in der Bar befand sich June March!

      19

      Im Inneren des Lokals war ein grellroter Feuerball entstanden, der von einem dumpfen Knall begleitet wurde.

      Die Druckwelle drückte das große Fensterglas aus dem Rahmen. Es fiel klirrend auf den Gehsteig, und dann herrschte eine Stille, die Bount Reiniger nie vergessen würde.

      Totenstille!

      Bount Reiniger rammte den Wagenschlag auf und sprang aus dem Mercedes. Jetzt ertönten die ersten Schreie. Panik griff in der Bar um sich. Die Gäste ergriffen die Flucht.

      Verletzte schrien. Es war ein Inferno – und June March steckte mittendrin. Das trieb Bount Reiniger den kalten Schweiß aus allen Poren. Er rannte zur Bar. Rufe nach Polizei und Rettung wurden laut.

      Bount war der einzige, der in das Lokal hinein wollte. Alle anderen drängten heraus. Es war unmöglich, durch die Tür in die Bar zu gelangen. Bount hastete zum Fenster.

      Das Feuer fraß sich mit unvorstellbarer Gier über Vorhänge und Stoffbezüge. Die Explosion hatte etliche Schnapsflaschen zertrümmert. Der Alkohol brannte lichterloh, während glosende Schaumdämmplatten gefährlich giftige Rauchgaswolken absonderten.

      Hitze, Feuer, Qualm … Wo war June March? Bount brüllte ihren Namen. Er stolperte über Tische und Stühle, die die Druckwelle umgeworfen hatte. Die Hitze nahm ihm den Atem.

      „June!“, schrie er aus vollen Lungen.

      Beißender Rauch stürzte sich in seinen Hals und zwang ihn, zu husten.

      „June!“

      Die Luft waberte. Prasselnd fraß sich das Feuer durch das Lokal. Bount entdeckte einen Verletzten. Er eilte zu ihm, schleuderte alles zur Seite, was auf dem Mann lag, half ihm auf die Beine und führte ihn zum Ausgang. Irgend jemand übernahm den Verletzten, und Bount kehrte um.

      Er kämpfte sich durch die Flammen bis zum Tresen vor. Arthur Douglas lag dahinter. Tot. Die Flammen leckten über Douglas’ Jackett. Bount ließ den Toten nicht liegen.

      Schwitzend und keuchend zerrte er den Mann hinter dem Tresen hervor und schleppte ihn zum Fenster, wo sich jemand fand, der ihm den Leichnam abnahm.

      „Kommen Sie heraus!“, rief ihm ein Mann zu.

      „Kann ich nicht!“, erwiderte Bount Reiniger aufgewühlt. Er war in großer Sorge um June March, deren Schicksal immer noch ungewiss war.

      „Sie bringen sich um!“, schrie der Mann.

      „Ich muss zurück!“, keuchte Bount und hetzte davon. „June! June!“

      Er hielt die Arme schützend vors Gesicht und hatte das Gefühl, verrückt zu werden, weil sich June nicht meldete. In einer Ecke des Lokals fand er sie schließlich.

      Ihm blieb das Herz vor Schreck stehen. June trug das Trikot eines Service-Girls. Es war jetzt unwichtig, wie sie es erreicht hatte, zu einem solchen Trikot zu kommen.

      Sie lag auf dem Rücken, hatte die Augen geschlossen, regte sich nicht. Die Fülle ihres Blonden Haares war um ihren Kopf auf dem Teppichboden ausgebreitet.

      Bount schob seine Arme unter ihren Körper und stand mit ihr auf. Draußen traf inzwischen die Feuerwehr ein.

      Bount schritt mit seiner Last durch das Feuer. Sein Gesicht wirkte in diesem Augenblick wie aus Granit gemeißelt. Es hatte den Anschein, als hätte er June für immer verloren. Er wusste, dass er über diesen Verlust nie hinwegkommen würde.

      Feuerwehrleute stürmten mit Atemschutzmasken in die Bar und begannen sogleich mit der Brandbekämpfung. Jemand wollte Bount das Mädchen abnehmen, doch er gab June nicht her.

      Mehrere Ambulanzfahrzeuge erreichten die Bar. Um Bount herum wurde alles seltsam unwirklich. Er vernahm aufgeregte Stimmen, ohne zu verstehen, was die Leute sagten.

      Vor seinem geistigen Auge erschien June March, strahlend frisch, quicklebendig, mit einem Lächeln, das ihm die Seele wärmte.

      „Bitte, Sir!“, sagte jemand eindringlich zu ihm. Er schien es schon zum zweiten Mal zu sagen. „Geben Sie uns das Mädchen!“

      Bount sah, dass der Mann zur Ambulanzbesatzung gehörte. Er überließ ihm und seinem Kollegen das Mädchen. Sie legten sie auf eine fahrbare Trage, stülpten ihr eine Sauerstoffmaske über das Gesicht, und rollten sie fort.

      „Wohin bringen Sie sie?“, hörte sich Bount fragen.

      Man nannte ihm den Namen des Hospitals. Wie in Trance machte Bount Reiniger kehrt.

      Er setzte sich in seinen Wagen, fuhr los und erreichte das Krankenhaus in wenigen Minuten. Was für ein Fall, dachte er wütend. Was für ein gottverdammter Fall!

      Jimmy Taylors Leben hing an einem seidenen Faden. Die Gangster verlangten, dass er, Bount, sich freiwillig in ihre Gewalt begab. June March lebte möglicherweise nicht mehr … Jay Pepper – tot. Arthur Douglas – auch tot!

      Bount riss sich zusammen. Er musste wieder klarkommen, das war jetzt ungemein wichtig, sonst geriet auch er unter die Räder. Er eilte in das Hospital und entdeckte in der großen Halle die Bahre, auf der June March lag.

      Er

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