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Sieben Martin Schlosser Romane in einem Band. Gerhard Henschel
Читать онлайн.Название Sieben Martin Schlosser Romane in einem Band
Год выпуска 0
isbn 9783455005011
Автор произведения Gerhard Henschel
Жанр Контркультура
Издательство Readbox publishing GmbH
Ich hatte schon geschlafen, als unter meinem Bett am Kopfende ein Wolf rauskam und rief: »Ich bin der große böse Wolf und will dich fressen!«
Von meinem Geschrei wurde Mama wach. Volker sagte, daß ich nicht mehr alle Tassen im Schrank hätte. In meinem Bett wollte ich nicht mehr schlafen, und ich durfte ausnahmsweise zu Mama und Papa.
Am Morgen hatte ich wieder Kopfweh, und mir lief die Nase. Mama machte mir eine Schwitzpackung. Vorher mußte ich Pipi machen, ein Medikament schlucken und mich nackt ausziehen. Dann mußte ich mich im Bett auf ein heißes, feuchtes Badelaken legen. Mama wickelte mich damit ein, so daß ich die Arme nicht mehr bewegen konnte. Ich kriegte noch zwei Decken obendrauf, ein warmes Tuch um den Hals und eine Wärmflasche an jede Seite, und dann mußte ich Fliedertee trinken.
Weil meine Arme eingewickelt waren, konnte ich nicht mal Bilderbücher bekucken. Mir war so heiß, daß ich die Handtücher wegstrampelte, aber vorsichtig, damit Mama nichts merkte, wenn sie raufkam, um mir die Nase zu putzen.
Vom Bett aus konnte ich an der Wand das schwarze Plastikbild von Max und Moritz sehen, die im Schornstein von der Witwe Bolte nach den Hühnern angeln. Der eine Zopf von Moritz war irgendwann abgebrochen.
Mama wollte wieder Fieber messen und nahm die Decken weg. Da sah sie, daß ich die Handtücher alle ans Fußende befördert hatte, und schimpfte mit mir, und ich kriegte eine neue Schwitzpackung.
Als Renate aus der Schule kam, las sie mir was aus ihrem Buch über den kleinen Mann vor, der Mäxchen Pichelsteiner hieß und in einer Streichholzschachtel schlief. Seine Eltern waren auch ganz klein gewesen und im Zirkus als Artisten aufgetreten. Als Mäxchen sechs Jahre alt war, hatte der Wind die Eltern in Paris vom Eiffelturm geweht, und seitdem paßte der Zauberkünstler Jokus von Pokus auf den kleinen Mann auf. Er wollte Katzen dressieren, aber die gehorchten ihm nicht. Die bissen seine hübsche Lackpeitsche mittendurch.
Mittags fütterte Mama mich mit Grießbrei, aber ich konnte nicht viel davon und auch von der Götterspeise zum Nachtisch nicht.
Mama brachte mich zum Kinderarzt, der mir mit einem Holzstück die Zunge runterdrückte, wovon ich fast brechen mußte.
Ich hatte Grippe. Um keinen anzustecken, kam ich in Renates Zimmer, und Renate kam zu Volker. Mama schmierte mir die Brust mit gelber Salbe ein, von der mir die Augen tränten. Dann mußte ich den Kopf in den Nacken legen und kriegte Nasentropfen, die mir innen durch die Nase in den Mund liefen und bitter schmeckten.
Bei Renates Klappbett konnte man die Vorhänge zuziehen und sich vorstellen, daß man in einem Indianerzelt wohnt. Man konnte auch die Schrauben aus den Stoppern an den Vorhangschienen drehen, aber nicht, wenn man eine Schwitzpackung hatte.
Ich hörte Mama den Wohnzimmerteppich saugen. Wir hatten einen Klopfstaubsauger. Die gute Wahl – Hoover.
Später kriegte ich noch einen Löffel roten Hustensaft, und als ich die Arme wieder frei hatte, brachte Renate mir ein Pixibuch. Frau Entes großer Tag. Wie Frau Ente ans Meer reist und da von den Wellen untergespült wird und dann doch lieber wieder nachhause fährt zu ihrem Teich.
Im Klappbett träumte ich, daß ich sterbe, weil Kalli mir im Wäldchen ein Messer in den Rücken gestochen hat. Als ich aufwachte, war mein Nacken pitschnaß und das Kopfkissen auch.
Beim Schlafen sickerte in der Nase der Schnött immer auf die Seite, die unten war. Dann mußte man sich umdrehen.
Nach ein paar Tagen ging es mir wieder besser, aber ich durfte noch nicht raus. Mama war einkaufen gegangen und hatte Wiebke mitgenommen. Volker war mit Kalli weg, und Renate war beim Zahnarzt, dem guten, bei dem sie die Hand heben durfte, wenn es ihr wehtat, und dann hörte er auf zu bohren.
Ich hatte versprochen, keine Dummheiten zu machen. Eine Weile spielte ich auf Renates Blockflöte, die nach Stuhlbein schmeckte. Am lautesten war es, wenn man das Mundstück abnahm und mit voller Kraft reinblies.
Unter der Heizung lag einer von Renates Ballettschuhen. Den anderen fand ich in ihrem Puppenkleiderschrank, aber die Ballettschuhe paßten mir nicht.
Im Keller stand Papas Zeichenmaschine, die wir nicht anfassen durften. Hinten Hebel und Gewichte und unten Pedale. Die Bretter für den zweiten Komposthaufen lagen zum Trocknen auf Böcken und rochen nach Farbe. Volkers alter Roller, Mamas Gitarre mit dem Sprung in der Rückseite und Papptonnen mit Papierrollen drin. In einem Karton lagen Renates rostige Springschuhe.
Wenn ich mich auf die Zehen stellte, kam ich in der Küche an den Griff der Glasschütte mit Zucker.
Auf dem Brotschapp war vorne ein Bild von drei Männern, die Trompete spielten. Innen im Schapp lag das große Brotmesser mit den scharfen Zacken. Das Brot war alle, und die grüne Taschenlampe in der Küchenschublade ging nicht.
Ich machte das Küchenradio an und drehte an der weißen Scheibe, aber da kam nur Gebritzel. Dann kippte ich Ata ins Waschbecken und ließ Wasser drüberlaufen. Ata war giftig. Heißes Wasser aus dem Hahn und kaltes Wasser. Der Abfluß gluckerte.
Das Frühstückstablett stand oben auf dem Kühlschrank, und ich mußte einen Stuhl aus dem Eßzimmer holen. Erdbeermarmelade, Honig und Kirschmarmelade. Ich leckte die Deckel aus.
Dann brachte ich den Stuhl zurück, ging ins Wohnzimmer und versuchte, den Fernseher anzumachen. Der weiße Knopf war der Ausknopf. Ich versuchte auch die anderen, aber da kam nichts.
In der Ecke stand der Papierkorb, beklebt mit Bildern von Pfeifen und Tabaksbeuteln. Einer davon sah so aus, als ob er einen böse ankuckt. Als ob man was ausgefressen hätte.
Ich kniete mich auf den Stuhl an Papas Schreibtisch und nahm den Telefonhörer ab. Es tutete. Irgendwo anrufen, in den Hörer rülpsen und wieder auflegen? Ich wählte was, aber dann ließ ich es doch lieber bleiben. Nachher war da noch die Polizei dran oder Papa im Büro.
Pfeifenständer, Locher, Stiftebecher. Der Magnet, der die Büroklammern festhielt, und die Haut über Mamas Schreibmaschine.
Neben der großen Karte von New York hing der Scherenschnitt von Renate und Volker an der Wand. Renate mit Pferdeschwanz. Den hatte sie schon lange nicht mehr. Und die Fotos von Oma und Opa Schlosser. Opa Schlosser war schon tot. Schwarzer Opa hatte Renate den genannt, weil er nie was anderes als schwarze Sachen angehabt hatte.
Solange ich allein war, konnte ich auch den Wohnzimmertisch raufkurbeln und wieder runterkurbeln oder mit Hausschuhen an auf dem Sofa hüpfen. Oder alle Sofakissen aufstapeln, mich obendrauf setzen und wippen, bis der Stapel umfiel. Oder die großen Ozeanmuscheln an die Ohren halten und das Meer rauschen hören.
Ich holte mir das Witzebuch aus dem obersten Regal. Knaurs lachende Welt: der Regenwurm, der am Angelhaken hängt und einen Fisch auffrißt. Der Butler, der Rauchringe mit dem Spazierstock auffängt. Der Fakir mit der Hose aus Stacheldraht und der Engel, der seine Flügel bügelt.
Als ich das Buch zurückstellen wollte, fiel es runter und knickte ein Blatt vom Gummibaum halb ab. Ich suchte in Papas Schreibtischschubladen nach der Uhutube, weil ich das Blatt wieder ankleben wollte, aber als ich die Tube gefunden hatte, kriegte ich den Deckel nicht auf. Stattdessen machte ich das Blatt dann ganz ab und riß es in kleine Schnipsel, die ich auf dem Komposthaufen verstreute.
Mama konnte ich damit jedoch nicht hinters Licht führen, und ich kriegte eine gescheuert.
Mit dem Roller fuhr ich die Straße neben dem Haus runter. Der Roller fuhr schnell. Hinten konnte man mit der Hacke auf die Bremse treten, aber die ging nicht. Abspringen konnte ich auch nicht mehr. Ich knallte gegen den Bordstein und fiel hin.
Mein eines Knie war blutig. Als ich aufstand, prickelten mir die Hände so doll, daß ich heulen mußte.
Mama machte mir ein Pflaster aufs Knie, und Renate ging den Roller holen. Der Vorderreifen war platt.
Das Abziehen der Pflaster tat mehr weh als alles andere.
Wiebke