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schüttelte den Kopf. »Wie du schon wieder aussiehst!« Bevor ich was vom Aprikosenkuchen kriegte, mußte ich mir die Hände waschen gehen.

      Auf dem Flur vor der Dachkammer mit den Gästebetten stand Omas Nähmaschine, ein Trumm aus Gußeisen mit einem Fußpedal. Wenn man das bewegte, drehte sich oben die Handkurbel, und die Nadel fuhr auf und ab.

      Um im Kämmerchen durch die Dachluke den Schloßturm sehen zu können, mußte ich auf die Kommode klettern. Die Federbetten waren dicker als bei uns, und beim Umdrehen knarrte das Bettgestell. Hier gebe es bestimmt auch Mäuse, sagte Renate. Ihr würden die Mücken genügen.

      Beim Frühstück lief das Küchenradio. Hör mol ’n beten to!

      Plattdeutsch sei eine eigenständige Sprache und kein Dialekt, sagte Opa. Ich kriegte Honigbrot und ein Tüt-Ei, wie Oma das nannte. Renate hatte schon sechs Mückenstiche, einen am Rücken, zwei am Fuß und drei am Hals.

      Gustav schlief noch, und ich ging ihn wecken. Er stieg aus dem Bett und fragte mich, ob ich schon mal eine Gangschaltung gesehen hätte. Dabei faßte er durch den Pyjama seinen Piepmatz an und drehte ihn in verschiedene Richtungen: »Erster Gang – zweiter Gang – dritter Gang – vierter Gang!«

      Draußen bimmelte der Milchmann. Oma drückte mir zwei Stück Würfelzucker in die Hand, für die Pferde, und ich lief nach unten. Oma stakste hinterher.

      Außer Milch verkaufte der Milchmann auch Käse, Butter und Eier. Mit seinem Fuhrwerk hielt er den ganzen Verkehr auf.

      Die Pferde waren riesengroß und dunkelbraun. Sie trugen Scheuklappen und schnauften laut. An ihren Hängebäuchen konnte man die Adern sehen.

      »Nu man los, die beißen nicht!« rief Oma, und der Milchmann lachte. Ich hielt dem einen Pferd die Hand mit den Zuckerstücken hin. Es fraß mir mit seinen dicken Lippen alle beide von der Hand. Das Pferd hatte gelbe Zähne. Jetzt kackte es auf die Straße. Die Pferdeäpfel waren gelb und pelzig.

      Im Schloßgarten fütterten Renate und ich die Enten. Oma hatte uns altes Brot dafür mitgegeben. Die Enten stritten sich um jeden Krümel, so als ob die halb verhungert wären. Wir versuchten, auch denen was zuzuwerfen, die sonst nichts abkriegten.

      Wenn die Schwäne kamen, gingen sie auf einen los und schlugen mit den Flügeln. Dann warf man am besten alles hin und lief weg.

      Woanders im Schloßgarten schrie der Pfau. Als wir ihn gefunden hatten, verdrückte er sich gerade unter die Büsche. Seine Federn schleiften auf der Erde, hinten schon ganz zerschlissen.

      Aus der Stadt brachte Oma Tee mit. In der Packung war ein Karl-May-Bild zum Sammeln: Männer mit Turban, nachts an einem Lagerfeuer in der Wüste, und daneben ein Kamel. Das Bild, das gut nach Tee roch, durfte ich behalten.

      Es gab Heringe mit Pellkartoffeln und zum Nachtisch Erdbeeren mit süßer Sahne. Dann machten Oma und Opa Mittagsschlaf, und wir mußten leise sein. Die Türklinken hatten Schnörkel und waren golden, und auf einem Teller auf dem Tisch im Flur lag Zierobst, das nicht eßbar war.

      Vom Balkon aus konnte man die Mühlenstraße sehen, die Fußgängerampel und die Anton-Günther-Straße. Wenn man Glück hatte, gab es einen Unfall. Einmal schepperten zwei Autos an der Straßenecke zusammen. Bei dem einen war die Stoßstange ganz verbeult.

      Aus dem Edekaladen an der Ecke liefen Leute raus. Dann kam auch ein Polizeiauto, und die anderen Autos mußten im Bogen um die Stelle rumfahren.

      Im Vorgarten strich mir Frau Apken über die Haare. »So ein hübsches Mädchen«, sagte sie. Die war nicht mehr ganz richtig im Kopf. Ich sagte ihr, daß ich ein Junge sei, und sie patschte in die Hände und rief: »So ein entzückendes Mädchen!«

      Mit einem Stock drehte ich eine tote Amsel um, die ich auf dem Rasen vor der Veranda von Frau Apken gefunden hatte. Über den Bauch der Amsel krabbelten Ameisen. Ich holte Opa. Er sah sich die Amsel an und sagte, die sei wohl gegen das Fenster geknallt und habe sich das Genick gebrochen. »Nicht anfassen, da holt man sich wer weiß was weg!«

      Auf einem Spaten trug Opa die tote Amsel hinters Haus und begrub sie zwischen den Haselnußsträuchern.

      Durchs Gartenfenster sah uns der alte Herr Kaufhold zu. Er war im Unterhemd und hustete. Im Keller hatte er einen Friseursalon, wo er Soldaten aus Upjever das Haar schnitt, aber das sollte ich niemandem sagen. Das hatte Oma mir eingeschärft.

      Renate pflückte rote Johannisbeeren. Für hundert Gramm ohne grüne Strünke zahlte Oma sechs Pfennig. Ich pflückte mit, aber Renate war schneller. Sie hatte schon fast zwei Mark verdient, als ich erst dreißig Pfennig beisammenhatte. Die lagen in einer alten Zigarrenkiste von Opa.

      Mit einem heulenden Elektroquirl stellte Oma Bananenmilch für uns her. Ich sah ihr vom Flur aus zu, durch Gustavs blaues Um-die-Ecke-Kuck-Rohr, das innen zwei Spiegel hatte.

      Einmal brach ein Gewitter los, als wir im Garten waren. Wir liefen zum Schuppen. Sonst ging ich da nicht rein, wegen der vielen Weberknechte, aber auf der Bank zwischen Renate und Opa hatte ich keine Angst. Es blitzte und donnerte, und dann fing es an zu regnen wie verrückt.

      Die Entfernung eines Gewitters konnte man berechnen, wenn man die Sekunden zwischen Blitz und Donner zählte und die Zahl mit irgendwas malnahm.

      Im strömenden Regen rannte ein Eichhörnchen über den Rasen.

      Spinnen waren auch auf dem Speicher viele, aber da war mehr Platz als im Schuppen, und man konnte besser ausweichen.

      Auf dem Speicher stand Gustavs Eisenbahnplatte. In den Tunneln lagen Figürchen, die vor das Bahnhofsgebäude gehörten. Der Trafo war hinüber, und die Eisenbahn fuhr nicht mehr.

      An der Wand standen Kisten mit Gribbelgrabbel: Gürtel, Schürzen, Schlipse, muffige Kittel und Holzpantinen. Solche Botten würden die Holländer tragen, sagte Renate und klabasterte damit rum.

      Es gab auch einen Kaufmannsladen mit einer klingelnden Registrierkasse und einer kleinen Waage. Brühwürfel, Erbsen und Ochsenschwanzsuppe. Die Schachteln waren leer, aber bunt bedruckt.

      Bis Oma hier oben mal was bei mir einkaufen kam, mußte ich lange betteln. Als sie dann raufgestiefelt war, verlangte sie ein Pfund Mehl, aber ich hatte kein Mehl. »Was ist denn das für ’n Kaufmannsladen, in dem’s kein Mehl gibt«, schimpfte Oma. Ich bot ihr Brühwürfel an, die Schachtel für eine Mark. »Also dann eben Brühwürfel«, sagte Oma und zählte mir Luft hin. Das hatte ich mir anders vorgestellt.

      Der Speicher von Frau Apken war abgeschlossen. Durch die Ritzen der Tür war nicht viel zu sehen, nur ein Stapel Dachziegel und ein Handfeger.

      Bei einer Radtour nach Waddewarden nahm Oma mich auf ihrem Fahrrad mit, das vorne einen Kindersitz hatte und zwei Klinken zum Ausklappen, auf die ich die Füße stellen konnte. Gustav fuhr auf seinem eigenen Rad und Renate auf dem von Opa, das ihr viel zu groß war. Sie konnte nur im Stehen fahren.

      In Waddewarden fand ein Sommerfest statt. Es gab ein Münzkarussell, und wir tranken Sinalco.

      Als Mama im Auto mit Wiebke hergekommen war, machten wir einen Spaziergang durchs Moorland. Opa erzählte uns, was hier alles kreuchte, fleuchte und gedieh: Braunkehlchen, Kiebitze, Lerchen und Bachstelzen, Kuckuckslichtnelken, Schwertlilien, Blutweiderich und Wiesenschaumkraut.

      Der Schloßturm war zwiebelförmig, weil Jever mal zu Rußland gehört hatte.

      Ein Rebhuhn flatterte auf, und Wiebke fing in ihrem Wägelchen zu drinsen an. Um sie abzulenken, zeigten wir ihr eine Muhkuh auf der Weide.

      Der Moorlandweg führte zum Waldschlößchen, einem Gasthof mit einem Holzkarussell im Garten, das nur schwer in Schwung zu bringen war, aber wenn es sich mal drehte, dann lange. Darauf sei sie selbst schon als Kind gefahren, sagte Mama.

      Ich kriegte ein Erdbeereis. Die Tischdecken waren rotweiß gewürfelt, und in einer Ecke standen Käfige mit Kaninchen und Zebrafinken.

      Wir gingen noch in den Forst Upjever und sammelten Heidelbeeren. Neben dem

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