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wo immer sie konnte, und hortete das Ersparte mit einer Wonne, dass es dem Alois Pöltl das Herz zusammenkrampfte.

      »Und? Hast du heut’ endlich den Baron Strauch gefragt?«

      Alois, der nach einem langen Arbeitstag müde und hungrig heimgekommen war, schlüpfte in die Hausschuhe und schwieg bockig.

      »Wann wirst du ihn endlich fragen?«

      Nun schüttelte Alois den Kopf, zog die Schultern ein und schlurfte ins Esszimmer zum gedeckten Tisch. Er setzte sich, seine beiden älteren Töchter kamen und schmiegten sich an den Vater. Er streichelte zärtlich über ihre Köpfe und bemerkte mit Bedauern, dass es heute schon wieder Graupensuppe gab. Seine Frau goss ihm zwei Schöpfer in den Teller und zischte:

      »Wenn du nicht Manns genug bist, ihn zu fragen, dann werde ich es tun. Mir reicht es allmählich. Meine Schwester und ihr Herr Gemahl sind inzwischen Millionäre geworden. Und warum? Weil sie schon vor drei Jahren ihr Geld an der Börse angelegt haben.«

      Alois löffelte hungrig die Suppe. Nachdem er den Teller geleert und somit den ersten Hunger gestillt hatte, lehnte er sich mit einem Seufzer zurück und sagte:

      »Gar nix wirst du tun. Und wennst wirklich was tust, wird’s nix fruchten.«

      »Und warum nicht?«

      »Weil ich den Herrn Baron heute neuerlich gefragt hab’.«

      »Und was hat er geantwortet?«

      »Zuerst hat er getan, als ob er meine Frage überhört hätte. Als ich dann die Rasur beendet hatte, hab ich ihn noch einmal g’fragt.«

      »Ja und?«

      »Nix und. Er hat bezahlt, mir einen Batzen Trinkgeld gegeben und sich verabschiedet.«

      »Und er hat wirklich gar nix g’sagt?«

      »Im Hinausgehen hat er schon was g’sagt, aber das wird dir net g’fallen.«

      »Und was war das?«

      »Dass ich die Finger von Börsenpapieren lassen soll.«

      *

      Der, den seine Mutter jahrelang Rotzpip’n genannt hatte, wälzte sich im Bett hin und her, gejagt von Ängsten zu versagen und verzehrt von Hass. Ein Hass, der seit vielen Jahren in ihm brodelte. Und manchmal, wenn er nicht einschlafen konnte, überkam es ihn mit aller Macht. Wie eine riesige Welle, die ihn erfasste und auf und davon trug. Er schwamm dann in einem Meer aus Gewalt, in dem geköpft, gemordet, verstümmelt und gehängt wurde. So wie damals, als er es als dreizehnjähriger Gymnasiast nicht mehr daheim aushielt, sondern hinausstürmte und sich unter die aufgebrachte Menschenmasse mengte. In diesem Meer von Zorn und Erregung, von blinder Wut und rasender Empörung schwamm er dahin und landete vor dem Kriegsministerium am Platz Am Hof. Hier tobte die Menge ganz besonders, hier wallte der Hass. Und plötzlich, als der Befehl an die vor dem Kriegsministerium aufgestellten Kanoniere erfolgte, ihre Kanonen in die Menge abzufeuern, gab es kein Halten mehr. Kartätschensplitter pfiffen ihm um die Ohren, aber das war ihm vollkommen gleichgültig. Gemeinsam mit Hunderten anderen wurden die Kanonenstellungen überrannt, und dann ging es hinein ins Kriegsministerium. Durchs Stiegenhaus rannten sie hinauf, durch Gänge und Säle. Weiter, immer weiter. Was ihnen im Weg stand, wurde zerschlagen, Soldaten worden niedergeprügelt. Hinauf in den vierten Stock. Und plötzlich wüstes Triumphgeschrei. Rundum hielt man inne. Er aber drängte sich in den Raum, aus dem die Brüllerei erklang. Und dann sah er das Unglaubliche: Aus dem offenen Kamin des Zimmers wurde der zappelnde und sich verzweifelt wehrende Graf Latour gezerrt. Kaum war der Kriegsminister aus seinem Versteck heraußen, begann ein Mann mit einer Eisenstange, auf ihn einzuschlagen. Latour schrie wie eine Sau beim Abschlachten, die mit Orden geschmückte Uniform wurde zerfetzt und in Blut getränkt. Als sich der erste Furor gelegt hatte, schnappten die Revolutionäre den leblosen Körper und schleppten ihn durchs Treppenhaus hinunter auf den Platz. Die Menge tobte.

      »Jetzt häng’ ma die Kanaille auf!«

      »Aufg’hängt wird!«

      Atemlos folgte er den Männern, die den leblosen Grafen quer durch die Menge schleiften und ihn schließlich am gegenüberliegenden Ende des Platzes an einer Gaslaterne aufhängten. Als dies vollbracht war, wurde eine Freudensalve in den Oktoberhimmel geschossen. Immer wenn diese Szenen vor seinem inneren Auge abliefen, bekam er einen Schweißausbruch. Sein Körper begann wie bei einem starken Fieberanfall zu zittern. Er knirschte mit den Zähnen, ballte die Fäuste, das Gesicht zu einer Grimasse verzerrt. Minutenlang durchlebte er Spasmen des Hasses.

      *

      Meister Pöltl wartete unausgeschlafen und ungeduldig auf den Baron Strauch. Seine Alte hatte ihm am Vorabend die Ohren mit Vorwürfen vollgesungen. Eine endlose Suada über die Chancen, die er verpasste, weil er sich weigerte, sein Erspartes an der Börse zu investieren. Im Gesicht ganz blass vor Zorn hatte sie gekeift:

      »Wennst jetzt Effekten kaufst, kannst in kürzester Zeit zehnmal mehr verdienen als mit deiner nebbichen Friseur-Quetsch’n. Da! Da, lies!«

      Die Herabwürdigung seines meisterhaft betriebenen Handwerks hatte ihn wie ein Schlag ins Gesicht getroffen. Schlussendlich hatte er sich widerwillig einen Artikel auf der Börsenseite des »Illustrierten Wiener Extrablatts« angesehen:

      Der vorsichtige Kapitalist.

      Vom Geldmarkt. – Im Handumdrehen ist der Geldstand auf einmal ein überaus flüssiger geworden und unterstützte die wiedererwachte Haussetendenz in wirksamster Weise …

      Auf seine Frage, was Haussetendenzen denn bedeutete, antwortete seine Frau:

      »Das hat mir der Onkel Ferry erklärt: Eine Hausse ist dann, wenn die Kurse steigen. Wennst wirklich viel Geld an der Börse verdienen kannst.«

      Pöltl hatte genickt und weitergelesen:

      In dieser Woche alleine sind, zweier Subskriptionen nicht zu gedenken, die jungen Aktien der Industrial-Baubank, der Vorschußbank, der Pester Baubank, der Bau- und Parzellirungs-Gesellschaft und der Salzburger Bank zu beziehen; außerdem folgende Einzahlungen zu leisten: Innerberger Hauptgewerkschaft, Graz-Köflacher-Bahn, Türkenlose, Transportgesellschaft, Nordwestböhmische Kohlengewerkschaft, »Haza«, Hochofen-Gesellschaft, Eisen- und Stahlgewerkschaft in Komotau und Prag-Wiener Waggon-Fabrikgesellschaft …

      Seine Frau hatte also recht. An der Börse war die Hölle los. Alle Welt investierte und verdiente sich eine goldene Nase. Dieser Artikel war die Ursache für eine von wirren Träumen geplagte Nacht gewesen. Nun, am nächsten Morgen, steckte die Zeitung zusammengefaltet mit der Börsenseite nach oben in seinem weißen Arbeitsmantel. Mit Mühe konzentrierte er sich auf das Frühgeschäft, das aus Börsenleuten und hohen Beamten bestand, die sich vor dem Beginn ihres Arbeitstages rasieren ließen. Danach flaute, so wie an jedem Vormittag, der Kundenandrang ab. Nun war die Zeit gekommen, um die von seinem Lehrbuben Schurli gebrachte Melange zu schlürfen, darin ein mürbes Kipferl einzutunken und voll Ungeduld auf das Erscheinen des Herrn Barons zu warten. Endlich, gegen halb elf Uhr am Vormittag, betrat er das Geschäft und Pöltl atmete mehrmals kräftig durch. Als Heinrich von Strauch es sich auf dem Barbierstuhl bequem gemacht und er ihm einen frischen blütenweißen Umhang umgelegt hatte, fragte er leise:

      »Darf ich dem Herrn Baron etwas zeigen?«

      »Die neueste Bartmode aus Paris?«

      »Nein, nein! Ganz was anderes.«

      »Ein neues Rasierwasser?«

      Vorsichtig applizierte Pöltl

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