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S’ umsatteln und Bankier werden?«

      »Nein, um Gottes willen! Ich möchte Ihnen nur diesen kurzen Artikel zeigen. Der ist über die Börse.«

      Und schwuppdiwupp drückte Pöltl seinem überraschten Kunden das zusammengefaltete »Illustrierte Wiener Extrablatt« in die Hand. Heinrich von Strauch warf einen erstaunten Blick darauf, überflog den Artikel und legte das Blatt kommentarlos zur Seite. Dann lehnte er sich zurück, stieß einen kleinen Seufzer aus, schloss die Augen, und der Barbier begann mit dem Einseifen und mit dem Rasieren. Pöltl legte sich heute besonders ins Zeug. Mit noch mehr Sorgfalt, als er es normalerweise zu tun pflegte, schabte er Heinrich von Strauchs Bartstoppeln am Kinn und an den Wangen ab. Liebevoll schnipselte er den Moustache zurecht und fassonierte mit Bedacht die Koteletten des Herrn Baron. Als er schließlich dessen Gesicht mit kalten, feuchten Tüchern erfrischte, öffnete Heinrich die Augen und fragte lächelnd:

      »Sie wollen sicher wissen, was ich vom derzeitigen Börsenaufschwung halte. Nicht wahr?«

      »Genauso ist es. Weil … weil …«

      »Ihre Freunde und die Mitglieder Ihrer Familie alle an der Börse mitspielen. Ist Ihnen eigentlich das Prozedere der Gründung einer Aktiengesellschaft klar?«

      »Na ja … Es finden einige Personen zusammen, die die Idee zu einer Gesellschaft haben, einen Plan derselben ausarbeiten, einen Gesellschaftsvertrag entwerfen, die Gesellschaft mit Kapital ausstatten und …«

      »Langsam, langsam, mein lieber Maître Pöltl! Grundsätzlich haben Sie recht. Aber die Gründer oder Entrepreneurs, wie man zu sagen pflegt, sind heutzutage in den seltensten Fällen daran interessiert, das Aktienkapital selbst aufzutreiben, vollständig zu zeichnen und einzubezahlen. Heute wird meist folgender Weg beschritten: Die Entrepreneurs bringen kein oder minimal Kapital ein. Sie legen vielmehr das Aktienkapital ihres Projektes öffentlich zur Zeichnung auf, machen massiv Reklame und laden zum Beitritt der noch zu gründenden Gesellschaft ein. Eine auf diese Weise errichtete Aktiengesellschaft hat demnach zwei Gründungen durchgemacht: eine Primitivgründung unter den Entrepreneurs und die Zeichnung aufgrund des Projektes.«

      »Ja, aber wenn genug Kapital von den Anlegern eingezahlt wird, dann ist diese Gesellschaft doch lebensfähig und kann Gewinne machen, an denen dann die Aktionäre beteiligt sind.«

      »Theoretisch ja. In der Praxis geschieht Folgendes: Das Produkt der Gründung, die Aktie, wird zu einem Gegenstand der Agiotage. Schon der Gründer oder Entrepreneur trachtete – und das ist laut Gründervertrag völlig legal –, weniger für eine Aktie zu bezahlen als jeder fremde Aktionär. Dadurch gibt es eine Kursdifferenz, an der der Entrepreneur verdient. Er liefert weniger an die Aktiva der gegründeten Gesellschaft ab als die fremden Aktionäre. Die junge Aktie hat somit zwei verschiedene Kurse: den Gründerkurs und den Emissionskurs. Übernimmt ein Bankhaus oder ein Syndikat von Börsengrößen die Einführung der Aktien, so entsteht noch ein Kurswert, zu dem diese Börsenkräfte die Aktien übernehmen. Mit der Einführung an der Börse wird die Aktie dann Gegenstand einer weiteren Reihe von Geschäften, bei denen es stets um Agiogewinn geht. Der ganze Gründungs- und Emissionsapparat wirkt dabei mit, den Aktienkurs hinaufzutreiben. Dies geschieht mit Reklame aller Art, mit Unterstützung durch die Presse und durch Agenten sowie durch Scheinspekulationen. Das Schicksal des auf diese Aktien gegründeten Unternehmens interessiert niemanden. Es interessiert einzig das Schicksal der Aktie und das Steigen ihres Kurswertes. Und da in der Regel dann viel mehr Personen an der Aktie interessiert sind, als es tatsächlich Aktien gibt, kommt es auf den Besitz der Aktien selbst gar nicht an.«

      »Aha! Wie ist das zu verstehen?«

      »Es kommt einzig und alleine auf die Kursdifferenz an. Der Haussespekulant kauft, um an einem bestimmten Liefertag wieder zu verkaufen. An diesem Tag verzichtet er aber auf die Lieferung der gekauften Aktien und lässt sich den Differenzbetrag, um den die Aktie seit dem Tag des Kaufes gestiegen ist, ausbezahlen. Der Baissespekulant verkauft die Aktie, die er gar nicht besitzt, auf Lieferung und rechnet damit, dass ihr Kurs bis zum Lieferungstag gefallen ist. Wenn dies zutrifft, liefert er aber nicht, sondern lässt sich die Differenz zwischen dem höheren Vertragsabschlusskurs und dem niedrigeren Kurs am Lieferungstag ausbezahlen. Diese sogenannten Differenzgeschäfte drehen sich manchmal um zehnmal mehr Stücke, als von dem Spekulationspapier überhaupt vorhanden sind.«

      »Mir schwirrt der Kopf.«

      »Sehen Sie, mein lieber Maître Pöltl, deshalb sollten Sie ein vorsichtiger Kapitalist sein.«

      »Und wie geht das?«

      »Bewahren Sie Ihre Ersparnis daheim unter der Matratze auf. Spielen S’ auf keinen Fall an der Börse mit.«

      »Aber das tun doch alle!«

      »Ohne dass ihnen bewusst ist, dass der Kapitalismus grausamer als das grausamste Raubtier ist.«

      *

      Versonnen spielte er mit dem dichten Busch ihres Achselhaares. Er genoss die sanfte Strenge des Schweißes, die aus ihrer Achselhöhle strömte und die sich auf eine betörende Art mit dem sonst eher süßlichen Aroma ihres entspannt daliegenden nackten Körpers verband. Antonia Kotcheva lag auf dem Rücken und atmete gleichmäßig. Hin und wieder entwich ihrem leicht geöffneten Mund ein zarter Schnarchlaut. Das Mädel ist ein Wunder an Natürlichkeit, dachte er. Sie war bei Weitem nicht so erfahren wie zum Beispiel seine Kammerdienerin oder wie die Huren in den Freudenhäusern am Spittelberg. Das war schon außergewöhnlich. Jedes Mal, wenn er sie besuchte, trat er in eine andere Welt ein, die bodenständiger und simpler war als die, in der er selbst lebte. Antonia war unverdorben und hatte eine fast kindliche Freude am Liebesakt. Er ließ ihr Achselhaar durch Daumen und Zeigefinger gleiten und dachte an den heutigen Tag zurück. Mein Gott! Er hatte den Schritt vollzogen. Den entscheidenden. Heute hatte er die von seinem Vater geerbte Privatbank in eine Aktiengesellschaft umgewandelt. Die Gründungsversammlung hatte in den Geschäftsräumen der A. Strauch Bank stattgefunden, die ein stattliches Vermögen in die neu gegründete Strauch & Compagnon Bank-Actiengesellschaft einbrachte. Damit verfügte diese Neugründung im Gegensatz zu den meisten anderen frisch gegründeten Banken über eine solide finanzielle Basis. Umso mehr auch deshalb, da Heinrich von Strauch den Baron Epstein als Teilhaber gewinnen konnte. Einen Privatbankier alten Schlags, der ebenfalls beträchtliche finanzielle Mittel in die neue Gesellschaft eingebracht hatte. Ein weiterer Teilhaber war sein alter Freund Huber, den er zum Generaldirektor der neuen Gesellschaft gemacht hatte. Für den lieben Ernstl hatte es bei dieser Gründung keine Ausnahme gegeben, und so hatte der zweihunderttausend Gulden einbringen müssen. Nicht in Form von irgendwelchen windigen Papieren oder stark überbewerteten Grundstücken, sondern bar. Ihm war durchaus bewusst gewesen, dass das Aufbringen dieser Summe für den Ernstl eine nicht zu unterschätzende Hürde dargestellt hatte, aber er hatte sie gemeistert. Als Anerkennung dafür und nach Rücksprache mit Baron Epstein hatte er seinem Schulfreund die Führung der neuen Aktiengesellschaft überantwortet. Eine Lösung, die ihm sehr behagte. Ernstl würde die Geschäfte führen, und er würde ihm dabei als Vorsitzender des Verwaltungsrates auf die Finger sehen und die Grundzüge der Geschäfte der Bank festlegen. Alles andere würde der Ernstl erledigen. Und dabei sehr gut verdienen. Heinrich von Strauch drehte sich etwas zur Seite, betrachtete die groß und flach daliegende linke Brust Antonias, die von einer wohlgeformten rötlich glänzenden Brustwarze gekrönt war. Wie Pudding mit einer Kirsche darauf, dachte er und begann, an der Brustwarze zu lecken. Antonia stöhnte mehrmals, drehte sich zu ihm, und er vergrub seinen Kopf zwischen ihren Brüsten.

      Draußen plätscherte das Wasser in die Badewanne, und er hörte Antonia fröhlich vor sich hin summen. Er selbst verspürte keinerlei Lust aufzustehen. Nein, er sponn lieber die Gedanken fort, bei denen er zuvor unterbrochen worden war. Als Gründungsmitglied hatte der Ernstl die Aktien der neuen Bank wesentlich günstiger bekommen, als alle zukünftigen Käufer sie bekommen würden. Da Heinrich von Strauchs Bank und Epsteins Bank heute ein Syndikat zur Einführung der Aktien gegründet hatten, würde der Ernstl als Teilhaber der neu gegründeten Bank am Kurswert der Aktien mitschneiden. Ja, der Ernstl wird bald seine zweihunderttausend investierten Gulden zurückverdient haben. Und ich, ich werde kaum Arbeit haben. Der Ernstl wird alles regeln, und ich werde mir eine goldene Nase verdienen.

      »Einzi!

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