Скачать книгу

gehen. Er steuerte das barocke, von zwei mächtigen Atlanten flankierte Tor des Trattnerhofs an, durchschritt die Passage desselben und betrat die Restauration Zur großen Tabakspfeife. Er nahm nicht in dem von einem gewölbten Glasdach bedeckten Speisesaal, wo die der Restauration den Namen gebende große Pfeife in luftiger Höhe hing, Platz, sondern suchte sich einen freien Tisch in einem Stüberl. In diesem Raum war nur ein weiterer Tisch besetzt. An ihm saß ein etwa fünfzigjähriger Mann mit mächtigem Bart, der ihm auf eine Weise, die er nicht näher erklären konnte, bekannt vorkam. Beim erst nach einiger Zeit des Wartens erscheinenden Ober – eine Kellner-Unsitte, die in Wiener Lokalen seit jeher üblich war – orderte Heinrich von Strauch ein Krügel Bier. Er musste den Geruch von Kerzenrauch, Naphtalin und Kampfer, der ihm durch die Nase bis in den Rachen hineingekrochen war, fortspülen. Als der Ober mit dem Krügel daherkam, bestellte er eine Lungenstrudelsuppe und einen faschierten Rostbraten. Mit einer angedeuteten Verbeugung murmelte der Kellner »Bitte sehr, der Herr« und verschwand in Richtung Küche. Der andere Gast sah von seiner Zeitungslektüre auf, nickte ihm zu und sagte:

      »Eine ausgezeichnete Wahl, die Sie da getroffen haben. Ich hatte auch den faschierten Rostbraten, und er war vorzüglich.«

      »Sind Sie des Öfteren hier?«

      »Wenn ich in der Stadt bin, schon. Es geht schließlich nichts über eine anständige Wiener Küche.«

      »So! Jetzt brauch ich ein Verdauungsschnapserl.«

      Sein Tischnachbar blickte von seiner Lektüre auf und brummte:

      »Das ist eine hervorragende Idee.«

      Heinrich von Strauch, den nun wieder die Neugier überkam, wer sein Nachbar wohl sei, lud ihn auf einen Barack ein. Diese Einladung wurde mit einem freundlichen Nicken angenommen, und als der Ober die Schnäpse serviert hatte, erhob er sein Glas:

      »Sehr zum Wohl! Ich heiß’ übrigens Heinrich von Strauch. Prost!«

      »Prost! Ich bin der Ferdinand Kürnberger.«

      »Ah! Der Schriftsteller und Feuilletonist.«

      Kürnberger nickte.

      »Erst letzten Samstag habe ich einen Artikel von Ihnen gelesen. In der Presse war das …«

      »Ja, ja, darüber, wie sich Wien derzeit verändert.«

      »Sie haben bemäkelt, dass sich Wien in die falsche Richtung entwickelt.«

      Kürnberger lächelte und replizierte:

      »Und das in mehrfacher Hinsicht. Wien gehört ans Wasser!«

      »Wie meinen S’ denn das?«

      »Nun, dass Wien ans Wasser gehört!«

      »Sie glauben tatsächlich, die Stadterweiterung Wiens sollte sich zur Donau hin erstrecken?«

      »Dass sich Wien derzeit nach der Landseite entwickelt, ist höchstens das erste, aber nimmermehr das letzte Wort der Stadterweiterung. Jede Stadt, welche an einem schiffbaren Fluss liegt, besitzt verhältnismäßig mehr Hafenleben als Wien. Die Landstadt Wien hat seit jeher eine kindische Furcht, sich die Füße nass zu machen. Ich kenne keine andere Stadt, die an einem Fluss liegt und die sich von diesem im Zug ihrer Erweiterungen fortbewegt.«

      Nachdenklich orderte Heinrich von Strauch neuerlich eine Runde Schnaps, nachdem er Kürnberger der Ordnung halber gefragt hatte.

      »Das ist ein sehr interessanter Denkanstoß, den Sie mir da gegeben haben. Ich bin nämlich Bankier und Bauherr. Vielleicht sollt’ ich mir wirklich Gedanken über Bauprojekte machen, die an der Donau liegen.«

      Kürnberger nickte und begann zu philosophieren:

      »Wissen Sie, die paar Milliarden Ziegel, die in den letzten Jahren in Wien verbaut wurden, verherrlichen die Stadt noch lange nicht so wie die alten Erinnerungen, die mich zum Beispiel am Lugeck oder am Hafnersteig überkommen.«

      Der Schnaps wurde serviert, die beiden Herren prosteten einander zu, während Heinrich von Strauch fragte:

      »Sie sind nicht ständig in Wien?«

      »Nein. Ich habe in den letzten Jahren in allen möglichen deutschen Städten gelebt. Aber von Zeit zu Zeit sehe ich die Alte gern.«

      Kürnberger nahm einen Schluck Schnaps und fuhr dann fort:

      »Mit der Alten meine ich meine Heimatstadt Wien.«

      Jänner

      

      Die Messerklinge näherte sich schwungvoll seinem Hals. Nur nicht bewegen. Nicht zucken. Nicht durchatmen. Das kalte Metall setzte oberhalb des Kehlkopfs an und glitt dann energisch seinen Hals hinab. Brennender Schmerz.

      »Hab’ ich Ihnen weh’tan? Nix is g’schehn. Ein kleines Ritzerl nur. Ein bisserl einen Schwamm drauf, und das Bluten is augenblicklich gestillt. So. Is’ schon wieder in Ordnung.«

      Heinrich von Strauch atmete tief durch, bevor er seinen Hals aufs Neue darbot und es ihm schien, dass er sich dem Barbier auf Leben und Tod überantwortete.

      »Und, Herr Baron, wie laufen die Geschäfte?«

      »Ausgezeichnet. Danke der Nachfrage.«

      »Ich hätt’ a bisserl was auf die Seite gelegt. Wollen der Herr Baron mir nicht endlich einmal ein paar Aktien verkaufen? Ich hab’ Sie ja schon vor einigen Monaten einmal g’fragt. Aber da haben Sie sich taub gestellt.«

Скачать книгу