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Ernst Xaver Huber sich wie neu geboren. Das war nicht mehr das alte, von einem Rauschebart umgebene Gesicht eines hart arbeitenden Bankbeamten, sondern das elegante Gfrieß22 eines Entrepreneurs. Während er sich von seinem Spiegelbild kaum losreißen konnte, räusperte sich Meister Pöltl im Hintergrund und sagte in schmeichelndem Tonfall:

      »Fesch. Sehr fesch schaut er aus, der Herr Direktor.«

      Huber nickte zufrieden, stand auf, vereinbarte für den übernächsten Morgen einen Termin, zückte sein Portemonnaie, und im Zuge des Bezahlvorganges sagte Pöltl plötzlich:

      »Ich täte Euer Gnaden gerne etwas fragen.«

      »Worum geht’s denn?«

      »Ums Geld. Ums liebe Geld.«

      »Na, da sind S’ bei mir an der richtigen Adresse. Wollen S’ am Ende gar ein bisserl was in Aktien anlegen?«

      »Meine Frau drängt mich so. Viel hab’ ich ja nicht …«

      »Aber ich bitt’ Sie. Niemand muss heute viel Geld haben, um an der Börse zu investieren.«

      »Ah so?«

      »Es ist ganz einfach: Sie haben ein bisserl eigenes Geld, und dazu nehmen Sie einen Kredit zu, sagen wir … fünf Prozent … auf. Alles zusammen geben Sie mir, und wir machen ein sogenanntes Kostgeschäft.«

      »Ein Kostgeschäft?«

      »Jawohl. Sie kaufen mit dem eigenen und dem geborgten Geld Aktien. Diese Papiere geben Sie der Strauch & Compagnon Bank-Actiengesellschaft in Kost. Das heißt, Sie zahlen ein halbes Prozent per Woche dafür, dass wir die Papiere auszahlen und so lange aufheben, bis sie ihren Wert vervielfacht haben. Dann verkaufen Sie die Papiere, zahlen den Kredit zurück und streichen den Gewinn ein.«

      »Und das funktioniert?«

      »Ich bitt’ Sie! Viele, die an der Börse investieren, machen das nicht mit ihrem eigenen Geld.«

      »Ja, ich weiß, ich weiß.«

      »Na also. Besprechen S’ das Kostgeschäft in Ruhe mit Ihrer Frau Gemahlin und red’ ma das nächste Mal weiter. Ich empfehle mich und wünsche einen schönen Tag.«

      »Das wünsche ich Ihnen ebenfalls, Herr Direktor. À bientôt! Und danke für Ihren Rat. Herzlichen Dank. Danke, danke.«

      *

      Müde kam Alois Pöltl am Abend nach Hause. Anders als sonst wieselte Ehrenfrieda herbei und half ihm aus dem Mantel. Auch die Hauspatschen standen schon da. Als er nach seinem Hausmantel fragte, schüttelte sie den Kopf und reichte ihm die elegante Hausjacke, die er normalerweise nur zu Weihnachten, Ostern und an seinem Geburtstag tragen durfte.

      »Was ist denn los, Frieda?«

      Sie antwortete flüsternd:

      »Wir haben Besuch. Der Onkel Ferry ist da.«

      Oberst Ferdinand Ritter von Wiesner, der jüngere Bruder von Ehrenfriedas Vater Albrecht Wiesner, war ein Kriegsheld. Ein schneidiger Dragoner-Offizier, der im 1866er Krieg unzählige Preussen massakriert und im Zuge der Kampfhandlungen ein Bein verloren hatte. Zum Dank für seine militärischen Verdienste hatte er den Orden der Eisernen Krone erhalten und war in den Ritterstand erhoben worden.

      Und das nach einem langen Arbeitstag!, dachte Alois. Aber Selbstmitleid oder gar Flucht waren keine Option. Also stand er auf, atmete tief durch und straffte seine Haltung. Dann marschierte er zum Wohnzimmer, öffnete zackig die Tür, trat ein, stand stramm und schnarrte:

      »Gott zum Gruße, Herr Oberst. Servus, lieber Ferry.«

      »Servus, Loisl. Steh kommod und nimm bitte Platz.«

      Er führt sich auf, als wenn er der Herr im Hause wäre, schoss es Pöltl durch den Kopf und setzte sich, ohne zu antworten. Umgehend ärgerte er sich wieder, da der Oberst seiner Nichte befahl:

      »Ehrenfrieda! Nachdem du mich aufs Vortrefflichste versorgt hast, kümmer’ dich jetzt bitte um das leibliche Wohl deines Gatten.«

      In Pöltl stieg Wut hoch. Wie komme ich dazu, dass ich mir in meinem Haus dieses Theater bieten lassen muss?

      Doch Ehrenfrieda machte vor ihrem Onkel einen Knicks und flötete:

      »Jawohl, Onkel Ferry.«

      Sie schenkte den beiden Herren aus einer am Tisch stehenden Karaffe Rotwein ein und verschwand in Richtung Küche. Pöltl erhob sein Glas, knurrte »Sehr zum Wohl« und nahm einen kräftigen Schluck. Der Oberst tat es ihm gleich, ließ den Wein über die Zunge rollen, schluckte und verkündete mit Kennermiene:

      »Gar nicht so übel, der Rote, den du da zu Hause hast.«

      »Der ist aus Sooß.«

      »Wir Stabsoffiziere bevorzugen halt einen Vöslauer. Im Kasino hat’s immer nur Vöslauer gegeben.«

      Alois’ Wut, die gerade am Abklingen war, kochte neuerlich hoch. Er nahm noch einen Schluck und wollte gerade dem Oberst eine gepfefferte Antwort geben, als Ehrenfrieda das Zimmer betrat und ihrem Mann einen dampfenden Teller Rindsuppe, in der zwei strahlend weiße Grießnockerln schwammen, servierte. Er schluckte seinen Ärger hinunter und begann hungrig wie ein Wolf, die Suppe zu löffeln. Wunderbar! Frieda war einfach eine gute Köchin. Während er aß, schwieg der Oberst. Er trank sein Glas leer, und Ehrenfrieda schenkte nach.

      »Der scheint dir ja trotzdem zu schmecken. Obwohl’s kein Vöslauer is’ …«

      »Ich sagte ja bereits: gar nicht so übel. Und im Übrigen: Variatio delectat.«

      Nach der Mahlzeit lehnte er sich wohlgesättigt zurück und zündete sich eine Virginier an. Der Oberst nuckelte an seiner Pfeife, während man Frieda gemeinsam mit dem Dienstmädel in der Küche rumoren hörte. Alois genoss die Stille, die allerdings nicht lange dauerte. Denn der Oberst griff in die Innentasche seines Sakkos und legte die aktuelle Ausgabe der »Österreichisch-ungarischen Wehr-Zeitung« auf den Tisch. Er begann zu blättern, faltete die Zeitung zusammen und legte Alois eine Seite vor die Nase, auf der zwei riesengroße Inserate prangten. Das obere hatte die Überschrift Domus, Gesellschaft zur Erbauung billiger Wohnungen. Des Oberst Zeigefinger tippte aber auf die untere Anzeige, deren Titel folgendermaßen lautete: Ohne Risico höchste Fructificirung von Baargeld. Alois schluckte, plötzlich wurde ihm klar, woher der Wind wehte. Da er sich bisher standhaft geweigert hatte, sein Erspartes in irgendwelchen Effekten anzulegen, fuhr Frieda nun schwere Geschütze auf. Sie hatte ihren Onkel Ferry eingeladen, um seine Kapitulation zu erzwingen. Der Oberst beugte sich vor, blickte Alois in die Augen und sagte in väterlichem Tonfall:

      »Das solltest du dir anschauen. Das ist einmalig. So eine Gelegenheit gibt’s vielleicht nie wieder. Ich weiß, dass du ein fleißiger Mann bist und dass du einiges Geld im Sparstrumpf hast. Das liegt dort tot herum und arbeitet nicht. Geld muss arbeiten, mein lieber Alois. Vertrau mir. Ich habe vor zwei Monaten bei diesem Bankhaus mein bescheidenes Vermögen angelegt. Und weißt du was? Monatlich, genauso wie es hier geschrieben steht, werden mir die Zinsen in bar ausgezahlt. Es ist wie ein Wunder.«

      Voll Widerwillen nahm Alois die Zeitung und las:

      J. B. Placht

      Bankhaus für Fonds-Spekulationen

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